Dometscher in NRW

Helfer berichten

Teilen

„Wir sind das Sprachrohr für Flüchtlinge“

Zwei Männer, zwei Schicksale. Im Interview erzählen Hamid N. und Khawaja M. von ihrem Berufsalltag als Dolmetscher für Flüchtlinge.

Hamid kam bereits mit fünf Jahren aus Afghanistan nach Deutschland, wo er sich nun mit dem Nebenjob Dolmetscher das Informatikstudium finanziert.

Khawaja lebt seit 26 Jahren in Bielefeld und arbeitet als freiberuflicher Dolmetscher, unter anderem für die Ausländerbehörde und den Arbeitskreis Asyl.

Was hat Sie dazu bewogen, sich als Dolmetscher zu engagieren?

Hamid: Ich weiß aus eigener Erfahrung, was es heißt zu fliehen, in einem fremden Land zu leben und nicht zu verstehen, was Menschen dir sagen wollen. Zum Glück konnte ich bereits vor meiner Ankunft in Deutschland ein bisschen Deutsch. Diese Vorkenntnisse aus der Schule haben mir sehr geholfen. Ich habe aber mitbekommen, dass andere Flüchtlinge sich nicht artikulieren konnten, was ein großer Nachteil für sie war. Ihnen möchte ich Gehör verschaffen.

Khawaja: Soziales Engagement ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Ich floh aus meiner Heimat Pakistan, weil ich einer religiösen Minderheit angehörte und dort meine wahre Identität verheimlichen musste. Ich musste die Flucht und die Folgen meiner Flucht alleine bewältigen und weiß, wie schwer das ist. Mit einem Dolmetscher an deiner Seite funktioniert Vieles einfacher. Ich möchte, dass die Flüchtlinge und Migranten es einfacherer haben als ich damals.

Wie sieht der berufliche Alltag eines Dolmetschers aus?

Hamid: Ich begleite, vor allem minderjährige Flüchtlinge zu den Behörden und zum Jugendamt.

Khawaja: Ich bekomme zurzeit Aufträge vom Verwaltungsgericht Minden. Meine Arbeit als Dolmetscher spricht sich bei Flüchtlingen aber auch durch Mund zu Mund Propaganda rum. Ich begleite Flüchtlinge und Migranten bei Gerichtsbesuchen und muss ihre Aussagen dort wahrheitsgemäß auf Deutsch übersetzten. Ich übersetze die Sprachen Englisch und Urdu.

Welche persönlichen Voraussetzungen müssen Dolmetscher erfüllen?

Khawaja: Wichtig ist, dass man nicht nur die Sprache beherrscht, sondern auch über den kulturellen Hintergrund des Klienten Bescheid weiß. Zudem sind Allgemeinbildung und Menschenkenntnis von großer Bedeutung. Für die Menschen, die wir begleiten, geht es um Alles oder Nichts. Sie sind in einer Extremsituation. Das müssen wir immer im Hinterkopf behalten. Wir haben viel Verantwortung. Von uns hängen die Schicksale vieler Menschen ab. Aber das Wichtigste ist, unparteiisch zu sein und professionell zu arbeiten, denn das erwarten beide Seiten von dir. Nicht umsonst werden Dolmetscher von den Gerichten vereidigt.

Welche Herausforderungen bringt der Beruf mit sich?

Hamid: Der Beruf des Dolmetschers verlangt einem Einiges ab. Manchmal ist es sehr schwer, die persönlichen Schicksale der Menschen nicht zu nah an sich ranzulassen und sich auf die harten Fakten zu konzentrieren. Aber genau das ist unsere Aufgabe. Wir sind das Sprachrohr der Flüchtlinge und nicht ihre Berater. Wenn ich zum Beispiel die Vorgeschichte eines Flüchtlings kenne und weiß, dass er vor einem Krieg geflohen ist, er aber vor den Behörden etwas anderes erzählt, bin ich gezwungen, das wiederzugeben, was er in der Situation gesagt hat. Auch wenn ich weiß, dass das für ihn negative Folgen haben wird. Ich kann ihm dann nicht sagen, dass das was er gerade erzählt, ihm nicht weiterhelfen wird und er etwas anderes erzählen soll.

Sie erleben tagtäglich dramatischte Geschichten. Kann man am Abend überhaupt abschalten oder verfolgt Sie die Arbeit?

Khawaja: Natürlich nimmt man die Geschichten mit nach Hause. Dolmetschen ist kein normaler Bürojob. Ich erlebe jeden Tag etwas Neues und lerne jeden Tag neue Menschen, mit verschiedenen Schicksalen, kennen. Man braucht viel innere Stärke, um genügend Distanz zum Geschehen zu wahren. Am Ende des Tages bin ich einfach dankbar. Dankbar, dass es mir besser geht und dass ich nicht in einer solchen Situation stecke.

Wie bewerten Sie die aktuelle Flüchtlingssituation in Deutschland?

Khawaja: Meiner Meinung nach sind die Behörden überfordert und können nicht mit dem großen Flüchtlingsansturm umgehen. Die Bevölkerung ist, seit ich vor 26 Jahren nach Deutschland gekommen bin, toleranter geworden. Dennoch ist der Alltagsrassismus allgegenwärtig. Viele Menschen sind skeptisch gegenüber Flüchtlingen und Migranten. Es muss mehr Geld in Aufklärungskampagnen investiert werden. Mein Rat an alle ist: Geht menschlich mit den Flüchtlingen um!

Dolmetscher in NRW  RF2109311_IMG_5888_1_.jpg