Nothilfe im Syrienkonflikt

Nothelfer im Syrienkonflikt

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Syriens Kinder beeindrucken und berühren

Die Arbeit der Nothelfer ist anstrengend und entbehrungsreich. Sie müssen schnell reagieren, sich immer wieder auf veränderte Bedingungen einstellen. Oft gibt es wochenlang keine Freizeit und nur selten Kontakt zur eignen Familie. Doch dann gibt es auch immer wieder Erlebnisse, die auch hart gesottene und erfahrene Krisenmanager persönlich tief bewegen. Dazu zählen insbesondere Begegnungen mit Kindern, die selbst Schreckliches erlebt haben, aber dennoch eine Freude und Zuversicht ausstrahlen, die beeindrucken.

Einige unserer Kollegen haben diese Momente für uns nieder geschrieben und wir wollen sie mit Ihnen gerne teilen:


Nida und Amneh

Zerschlagen von der vielen Arbeit ging ich aus meinem Büro-Container, um ein wenig Luft zu schnappen. In der gegenüberliegenden Ecke sah ich ein kleines Mädchen sitzen: Staub bedeckt, kaute sie an ihren Nägel. Sie sah so verängstigt aus. Behutsam näherte ich mich ihr.

Ich sah, wie ihr die Tränen aufs Kinn herabliefen, ihre kleinen, staubigen Wangen. Ganz still weinte sie. Ich fragte sie, ob wir Freunde sein wollen. Sie sah mich an und nickte.

Ich setzte sie auf meinen Schoß, hielt sie in meinen Armen, versuchte sie zu beruhigen. Ich konnte kaum ihre Füße erkennen, die in verstaubten, kleinen Slippern steckten. Sie reagierte nicht. Und dann, während ich so mit ihr auf meinem Schoß da saß und sie tätschelte, schaute sie endlich zu mir auf, direkt in meine Augen und sagte: „Wasser.“

Jetzt brach ich in Tränen aus. Amneh, ein vierjähriges Flüchtlingsmädchen, das mein Herz berührte.  

Nida Yassin, Jordanien (Flüchtlingslager Zaatari)


Marwa und Tareef

Ich traf Tareef als wir im Norden Ägyptens syrische Flüchtlinge registrierten. Es war das erste Mal, dass ich ein Flüchtlingskind befragte, und wir waren beide etwas aufgeregt. Er sprach mit sanfter Stimme, war zeitweise sprachlos. Teils, weil er meinen ägyptischen Akzent nicht verstand, aber auch, weil er von Natur aus eher still und schüchtern ist.

Er berichtet mir, er sei bei seiner Großmutter aufgewachsen, nachdem sein Vater gestorben war und seine Mutter wieder geheiratet hatte. Er sagte, er sei glücklich gemeinsam mit seiner Großmutter und seinen Onkeln zu leben, fügte aber hinzu: „Ich vermisse meine Mutter. In Syrien habe ich sie alle zwei Wochen getroffen. Nun kann ich sie nicht mehr sehen. Und ich weiß nicht, wann ich sie jemals wiedersehen werde.“ Obwohl er schon seit langer Zeit nicht mehr mit ihr zusammenlebt, leuchten seine Augen auf, wenn er von ihr spricht.

Tareef erzählte, dass er damals in Syrien ständig die Bombardements und Explosionen hörte, und dass ihm das große Angst machte. Ich spürte einen Kloß in meinem Hals.

Ich dachte an meine zwölfjährige Tochter und stellte mir vor, wie es wäre, wenn wir getrennt würden. Meine Tochter und ich erlebten vor einigen Monaten ein versuchtes Kidnapping. Tränen schossen aus ihren Augen, sie schrie: „ Mami, Mami, sie werden uns umbringen!“ Zum Glück konnten wir entkommen; aber meine Tochter ist traumatisiert. Oft nehme ich sie in die Arme, um sie zu trösten – ein Luxus, der Tareef und seiner Mutter nicht vergönnt ist.

Im Laufe des Gesprächs wurden wir beide redseliger. Tareef fragte mich sogar, ob er meine Handynummer haben, mich manchmal anrufen könnte. Tränen füllten meine Augen, mein Herz zog sich zusammen. Oft denke ich an ihn. Bisher hat er sich nicht gemeldet, aber ich hoffe, eines Tages wird er es tun.

Marwa Hashem, Ägypten


Barthoul und Diyaa

Ich betrat ein Klassenzimmer in Tripoli, im Norden Libanons. Hier sorgen UNHCR und der Norwegische Flüchtlingsrat dafür, dass syrische Flüchtlingskinder, die regulär nicht zur Schule gehen können, trotzdem unterrichtet werden.

Zwanzig kleine Gesichter schauen mich direkt an. Manche schüchtern, andere lächelnd und neugierig. Sie springen von ihren Sitzen auf, um mich zu begrüßen. Nachdem ich sie begrüßt habe, erwidern sie in harmonischem Unisono: „Hallo, Miss!“ Mein Herz schmilzt.

In der ersten Reihe sitzt ein kleiner Junge in einem gelben Poloshirt, seine Augen leuchten. Er strahlt mich an. Neben ihm lehnen zwei Krücken an seinem Pult. In der Erwartung einen Gipsverband an seinem Fuß zu sehen, gehe ich auf ihn zu. Ich dachte, er hätte sich beim Spielen verletzt.

Erst dann realisierte ich, dass er nur noch ein Bein hat. Ich lächelte, aber tief im Inneren war ich bestürzt und traurig.

Der Kleine ist außergewöhnlich. Nicht wegen seiner Verwundung, sondern wegen des Funkelns in seinen Augen. Ich wollte unbedingt mehr über ihn herausfinden, aber vor den anderen Kindern kein Aufhebens machen. Ich verabschiedete mich und verließ das Klassenzimmer.

Später erfuhr ich, dass er Diyaa heißt. Dieser Name passt perfekt zu ihm. Diyaa bedeutet „ein helles Licht ausstrahlen“. Und das tut er wahrhaftig. Bei einer Bombenexplosion vor einem Jahr verlor Diyaa ein Bein. Seine Lehrerin sagte mir: „Diyaa ist eines der unbeschwertesten Kinder in der Klasse. Er lässt nicht zu, dass seine Verletzung ihn behindert.“ Sie sorgte sich, er könnte Schwierigkeiten mit der Treppen zum Klassenraum haben. Aber er sagte: „Ich will zur Schule gehen. Ich schaffe das.“ Und er bewältigt den Weg ohne Hilfe.

Dieser Junge lehrt mich Demut. Mit nur acht Jahren zeigt er die Stärke eines erwachsenen Mannes.

Barthoul Ahmed, Libanon


Lisa und Sharifa

Ihre Augen zogen mich magisch an: Sie waren traurig, aber auch lebendig, mit einem Funken Hoffnung. Ihre Katze Loulou lag über ihrem Arm. Sie sah unsere Kamera und war sofort begeistert, eifrig interessiert zu lernen, wie sie funktioniert.

Ihr Name ist Sharifa und an diesem Tag hatte sie frei. Normalerweise steht sie um vier Uhr morgens auf, um auf den Feldern zu arbeiten und Kartoffeln zu ernten. Ursprünglich kommt sie aus Homs in Syrien. Nun lebt sie mit ihren Eltern und ihren fünf Geschwistern im Osten Libanons.

Vor zwei Jahren – kurz nachdem der Konflikt begann – floh ihre Familie dorthin. Zuerst lebten sie in einer Mietwohnung, doch dann ging das Geld aus und sie mussten ausziehen. Obwohl die Familie seit acht Monaten nur in einer schäbigen Hütte lebt, müssen fast alle Kinder der Familie arbeiten, um ihrem Vater zu helfen, die Ausgaben zu decken – auch die erst zwölfjährige Sharifa.

Sharifa spricht sehr gut Englisch und wir unterhielten uns eine Zeit lang. Wenn sie nicht arbeitet, hilft sie ihrer Mutter beim Essen kochen, erzählte sie mir. Ich fragte, was sie am meisten aus Syrien vermisst. Ihr englisches Buch und das Spielen mit Freunden nach der Schule, anwortete sie. Sharifa hatte versucht, sich in einer benachbarten Schule anzumelden, aber dort gab es keinen Platz für sie. Eine andere Schule können sich ihre Eltern nicht leisten. Die Fahrt zur Schule ist zu teuer.

Als ich gehen musste, schaute ich wieder in diese Augen: Sharifa weiß, in welcher Situation sie sich befindet. Sie versteht die Nöte der Familie. Dennoch ist sie voller Hoffnung, all dies hinter sich zu lassen – dafür ist sie bereit zu kämpfen. Als ich ging, versprach ich Sharifa, ihr zu helfen im nächsten Jahr wieder zur Schule gehen zu können. Seit diesem Treffen habe ich jeden Tag an Sharifa gedacht. Ich werde mein Bestes geben, mein Versprechen nicht zu brechen.

Lisa Abou Khaled, Libanon

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