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Afghanistan: Tragödie ohne Ende

Gastbeitrag: Zum Welttag des Buches schreibt Jugendbuchautor Dirk Reinhard eindringlich über die Entstehung seines neuen Buchs und gibt Einblicke in Fluchtschicksale aus Afghanistan.

Autor: Dirk Reinhard

"Im Jahr 2016 erzählte mir eine junge Frau, die aus Afghanistan nach Deutschland geflohen war, eine Geschichte, die ich zuerst kaum glauben konnte. Sie schilderte, wie sie in ihrem Heimatland als Junge aufwachsen musste, um die Ehre ihrer Eltern zu retten, die ohne Sohn geblieben waren, wie sie aufgrund dieser Doppelexistenz Probleme mit den Taliban bekam und schließlich das Land verlassen musste.

Ich war damals auf einer Lesereise durch die Schulen mit dem Roman „Train Kids“, der den Weg fünf junger Migranten aus Mittelamerika nachzeichnet, die als blinde Passagiere auf Güterzügen Mexiko durchqueren, um in die USA zu gelangen. Eigentlich sollte der Nachfolgeroman ein völlig anderes Thema behandeln, aber dann kamen nach den Lesungen immer wieder Schüler oder Schülerinnen zu mir, die von eigenen Fluchterfahrungen berichteten. Viele stammten aus Syrien, aus dem Irak oder aus afrikanischen Ländern, am tiefsten beeindruckten mich aber die Erzählungen junger Flüchtlinge aus Afghanistan.

Zu meinen Gesprächspartnern zählte nicht nur die eingangs erwähnte junge Frau, sondern auch ein Junge aus einer Nomadenfamilie, der ebenso sehr vor den Folgen des Klimawandels wie vor der politischen Situation geflohen war. Ich sammelte ihre Geschichten und viele weitere, recherchierte zu den Hintergründen und verarbeitete alles in einem Roman über das Mädchen Soraya und den Jungen Tarek, die Afghanistan verlassen und (so der Titel des Buches) „Über die Berge und über das Meer“ fliehen müssen, um eine neue Heimat zu finden.

Der Roman erschien Anfang 2019. Seitdem hat sich die Situation in Afghanistan nicht verbessert. Die Amerikaner und die Taliban führen zwar Friedensverhandlungen, aber die Amerikaner sind nicht an einer echten politischen Lösung interessiert, sondern nur daran, das Land gesichtswahrend zu verlassen. Seit mehr als 40 Jahren, beginnend mit dem Einmarsch der Sowjets 1979, ist Afghanistan ein Spielball fremder Interessen, seitdem herrscht fast ununterbrochen Bürgerkrieg. Der Abzug der westlichen Truppen würde zu einem neuen Krieg führen, aus dem vermutlich die von Pakistan unterstützten Taliban als stärkste Kraft hervorgehen werden. Eine neue Flüchtlingswelle in Richtung Europa wird die Folge sein.

Viele der Flüchtlinge, die aus Afghanistan zu uns kommen, sind minderjährig, so wie die, mit denen ich gesprochen habe. Auf der Flucht werden sie mit Situationen der Gewalt, der Verzweiflung und des Verlustes konfrontiert, die sie für ihr ganzes Leben prägen oder sogar traumatisieren.

Die Not in Afghanistan ist jedoch so groß, dass sie diese Gefahren in Kauf nehmen. Welcher Mut dazu gehört, einen solchen Weg zu gehen, kann man nur verstehen, wenn man sich die Mühe macht, ihnen zuzuhören.

Deutschland und die EU ringen um den richtigen Umgang mit Flüchtlingen. In der Corona-Krise wird momentan zu Recht betont, dass der Schutz von Menschenleben oberste Priorität hat und wichtiger ist als finanzielle oder ökonomische Belange. Es ist zu hoffen, dass diese Einsicht überdauert. Die Flüchtlinge aus Afghanistan, vor allem die Kinder und Jugendlichen, sind unverschuldet in existenzielle Not und Gefahr geraten.

Sie haben nicht nur verdient, dass wir ihnen helfen, sie haben auch ein Recht darauf."

Über den Autor: Dirk Reinhardt ist Kinder- und Jugendbuchautor. Er sieht es als seine Aufgabe an, junge Menschen für die Literatur und das Lesen zu begeistern, indem er ihnen zum einen spannende Geschichten bietet, in denen sie sich und ihre Lebensrealität wiederfinden, zum anderen aber auch darüber hinausgeht, Einsichten vermittelt, Denkprozesse anregt, Dinge aus ungewohnten Perspektiven zeigt oder auf Probleme hinweist.

Die Besprechung zu seinem neuen Buch "Über die Berge und über das Meer", mit dem er 2020 auch für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert ist, finden Sie hier.

 

 
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