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Willkommen in der Fremde

Nach der Flucht einen Neuanfang fernab der Heimat wagen zu können, erfordert ein respektvolles und offenes Miteinander – auf allen Seiten. Die Bergisch Gladbacher Zivilgesellschaft geht mit gutem Beispiel voran.

Ein Gastbeitrag von Ingolf Gritschneder

Inzwischen gehören sie zum Stadtbild in Bergisch Gladbach: der Busfahrer und der Rettungssanitäter aus Syrien, der Landschaftsgärtner aus Eritrea, der Bäcker, der Koch und einige Dutzend weitere 2015 aus Kriegs- und Krisengebieten Geflüchtete. Doch für viele war es bis dahin ein weiter Weg, begleitet von der Flüchtlingshilfe „WiSch – Willkommen in Schildgen“, einem Ortsteil der 110.000-Einwohner-Stadt am östlichen Rand von Köln. Rund 1.000 Flüchtlinge kamen seinerzeit, allein 80 waren in einem leerstehenden Hotel untergebracht, weitere 150 in zwei großen Zelten auf einem Sportplatz. Hier kümmerte sich die Apothekerin Claudia Frilling zunächst nur um die Bettwäsche:

Nachdem man nach und nach Näheres über die oft dramatischen Fluchtgeschichten, über Verfolgung, Haft und Folter erfahren hatte, war klar, dass man diesen meist noch sehr jungen Menschen helfen musste.“

Im Laufe der nächsten Jahre wurde aus dem „kleinen Ehrenamt“ wie bei Claudia Frilling ein Fulltime-Nebenjob. Spontan bildete sich eine Gruppe von einigen Dutzend Einwohnern, die kontinuierlich vor allem in dem ehemaligen Hotel präsent waren.

Unmittelbare Nachbarn schlossen das Haus ans Internet an, eine Gruppe pensionierter Lehrerinnen erteilte ehrenamtlich Deutschunterricht, noch bevor der Zugang zu offiziellen Sprachkursen möglich war. Die Initiative „Mobile Nachbarn“ stellte gebrauchte Fahrräder zur Verfügung, andere Bürger besorgten Möbel und Hausrat.

Das Ökumenische Begegnungscafé „Himmel und Ääd“ wurde zum regelmäßigen Treffpunkt für Geflüchtete und Einwohner. Dann die ersten Feste, das erste Weihnachten mit den überwiegend muslimischen Bewohnern, Begegnungen mit dem und den Fremden, die bald schon von vielen als Bereicherung empfunden wurden. Trotz mancher Schwierigkeiten entwickelte sich in der Bevölkerung eine wirkliche Willkommenskultur. Der pensionierte Diplom-Ingenieur Jürgen Glöckler organisierte die ersten Info-Veranstaltungen zur beruflichen Integration: „Aus meiner Sicht ging es vor allem darum, den Geflüchteten schnellstmöglich eine berufliche Perspektive aufzuzeigen. Das ist ja inzwischen auch bei der Politik angekommen.“

Glöckler brachte zunächst einen seiner Paten aus Eritrea beim eigenen Golfclub als Greenkeeper unter, inzwischen arbeiten drei weitere Landsleute bei örtlichen Gartenbetrieben. Zahlreiche Geschäftsleute stellten weitere Ausbildungs- und Arbeitsplätze zur Verfügung. „Manche unserer Paten durchliefen mit ihren Schützlingen eine komplette Ausbildung, andere schafften vieles alleine,“ blickt Jürgen Glöckler zurück.
 
Claudia Frilling hat alle Höhen und Tiefen der Integration mehrfach miterlebt, zum Beispiel mit Mohammed aus Syrien; auch er war nach einer dramatischen Flucht – überwiegend zu Fuß – in einem Zelt in Schildgen gestrandet. Unterstützt von seiner Patin bekam er eine Wohnung, dann einen Job als Rettungsschwimmer im Freibad und ist heute Rettungssanitäter beim Roten Kreuz.

Hilfe in Deutschland

Um Flüchtlingen das Leben in Deutschland zu erleichtern, fördert die UNO-Flüchtlingshilfe seit über 40 Jahren eine Vielzahl an Einrichtungen in ganz Deutschland, die zum Beispiel Asylsuchende rechtlich beraten, Flüchtlinge psychologisch und persönlich betreuen oder Bildungs- und Integrationsmaßnahmen für Geflüchtete anbieten.

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Viele Geflüchtete sind wie Mohammed in und um Bergisch Gladbach sesshaft und heimisch geworden, doch es gibt immer wieder auch Bedarf an Unterstützung und Hilfe. Immer noch werden kleine Feiern und Exkursionen wie ins Haus der Geschichte in Bonn oder zum Neanderthal-Museum veranstaltet, um die Integration, das Kennenlernen deutscher Kultur und Geschichte weiterhin zu unterstützen.

Zwischen ehemals Geflüchteten und Ehrenamtlichen sind mittlerweile Freundschaften entstanden. Heute betreut die Initiative auch zahlreiche Geflüchtete aus der Ukraine.

Finanziell wurde das Projekt neben Spenden und ehrenamtlicher Arbeit von beiden Kirchen getragen. Über das Erzbistum Köln konnte eine Teilzeitstelle für zwei Jahre eingerichtet werden, die Psychologin Margret Grunwald-Nonte koordinierte ab 2016 hauptamtlich die Aktivitäten der Gruppe, zusammen mit der Diakonin der Evangelischen Kirche Sabine Gresser-Ritter. „Learning bei Doing“ war von Anfang an das Motto der Initiative, das Asylverfahren musste zunächst selbst verstanden und dann auch den Betroffenen vermittelt werden, Dokumente mussten besorgt und übersetzt werden, die Wohnungssuche bleibt bis heute ein Problem.

„Die größte Herausforderung war jedoch zunächst der Umgang mit kulturellen Verschiedenheiten, Wertvorstellungen und Verhaltensweisen – und das auf beiden Seiten,“ sagt Margret Grunwald Nonte. Die Geflüchteten mussten mit der deutschen Bürokratie vertraut gemacht werden und sich an die Gepflogenheiten der neuen Heimat gewöhnen, das ehrenamtliche Helferteam an den gelegentlich laxen Umgang mit Fristen und Terminen. „Da sind auch manche illusionäre Vorstellungen schnell zerplatzt, zu optimistische Hoffnungen und Erwartungen an die neue Heimat“, so Diakonin Sabine Gresser-Ritter.

Inzwischen sind fast 80 Prozent der in Schildgen Gelandeten in Jobs, Ausbildung oder Studium, sogar ein Master-Abschluss konnte schon gefeiert werden – Ergebnis unermüdlichen ehrenamtlichen Einsatzes und verlässlicher Netzwerke.

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