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Unbegleitete Minderjährige in Deutschland

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Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge - auf Hilfe angewiesen

1992 trat in Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention in Kraft. Die Konvention besagt, dass das Kindeswohl bei allen staatlichen Handlungen im Vordergrund stehen muss. Zunächst galt sie jedoch nur eingeschränkt - ausländer- und asylrechtliche Fälle waren nicht erfasst. Im Juli 2010 wurden diese Vorbehalte durch die Regierung zurückgenommen. Jetzt steht auch unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ein ganzer Katalog von Rechten zu. Wie sich das Schicksal der Kinder entwickelt, hängt von den Personen und Institutionen ab, die sich ihrer annehmen.

Erste Schritte in einem fremden Land

Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, die ohne ihre Eltern nach Deutschland einreisen, gelten als unbegleitet. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind allein in einem fremden Land und damit ganz besonders auf fremde Hilfe angewiesen. Sie sprechen die Sprache nicht und haben weder Geld noch etwas zum Essen.

Minderjährige Flüchtinge genießen während ihres Asylverfahrens in Deutschland jedoch eine besondere Betreuung. Die Versorgung ist relativ unabhängig vom Aufenthaltsstatus und die Betroffenen durchlaufen ein abgewandeltes Asylverfahren. Im Jahr 2021 stieg die Zahl der Asylerstanträge unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter in Deutschland erstmals seit 2016 wieder an. Laut  BAMF waren rund 49 % aller Asylerstantragstellenden 2021 minderjährig. 2021 lag der Anteil begleiteter und unbegleiteter minderjähriger geflüchteter Mädchen und junger Frauen bei 55,8 %. Er nimmt seit mehreren Jahren kontinuierlich zu.

Nach der UN-Konvention müssen unbegleitete Minderjährige nach ihrem ersten Behördenkontakt in Deutschland direkt an das Jugendamt verwiesen werden. Dies ist jedoch nicht immer der Fall. Etwa die Hälfte der Bundesländer hat sogenannte Clearinghäuser eingerichtet, in denen die Kinder versorgt werden und unter anderem ermittelt wird, warum sie geflohen sind und ob es Verwandte gibt.
 

Das Verfahren bei der Ankunft minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge sieht wie folgt aus:

Erste Inobhutnahme und Erstscreening

Die minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge werden bei einer geeigneten Person oder Einrichtung untergebracht und der Gesundheitszustand, das Alter und eine möglicher Familienzusammenführung überprüft.

Verteilung und weitere Inobhutnahme

Nach dem Erstscreening werden die Kinder einem Jugendamt zugewiesen und soweit noch nicht geschehen bei einer geeigneten Person oder Einrichtung untergebracht.

Bestellung eines Vormundes

Ein Familiengericht entscheidet über einen Vormund, der bis zur Volljährigkeit bestehen bleibt. Anschließend beginnt ein Clearingverfahren, in dem der Aufenthaltsstatus geklärt wird.

Aufenthaltsstatus

Duldung: wird von der Ausländerbehörde ausgestellt.

Asylantragstellung: beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

Vormundschaften für unbegleitete minderjährige Kinder

Neben dem Jugendamt können sich auch Privatpersonen um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge kümmern und die Aufgaben eines Vormunds übernehmen. Ein Vormund ist der rechtliche Vertreter eines Minderjährigen bis zum 18. Geburtstag. Er übernimmt die elterliche Sorge, wobei der Jugendliche meist weiterhin in einer vom Jugendamt zugewiesenen Einrichtung wohnt.

Ein Vormund hat das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Erziehungsrecht und die Sorge für die Sicherstellung der Gesundheit. Der Vormund

  • hilft bei gesundheitlichen Problemen und vereinbart beispiels­weise Arzt­termine,
  • steht als Ansprech­partner für Schule oder Ausbildungs­betrieb zur Verfügung,
  • kümmert sich um den recht­lichen Aufenthalts­status, beispiels­weise das Asyl­verfahren.


Jugend­ämter oder Vereine, die auf unbe­gleitete Flücht­linge spezialisiert sind, schulen und qualifizieren Vormünder. Flücht­lings­initiativen vermitteln Rechts­beratung. UNHCR und der Informationsverbund Asyl und Migration haben eine Handreichung für Personen erstellt, die eine Vormundschaft übernommen haben oder übernehmen wollen. Dort wird Grundwissen zu einer Vielzahl von asyl- sowie zu aufenthaltsrechtlichen Fragen bereitgestellt, um den Einstieg in die komplexe aufenthalts- sowie asylrechtliche Materie zu vereinfachen. Weitere Informationen sowie einen Download-Link finden Sie hier.

Weitere Informationen finden Sie auch beim Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.

Zahlreiche Missstände

Die Umsetzung von Kinderrechten verläuft in manchen Bundesländern nicht optimal - vielfach fehlt geeignetes Personal. Deutsche Gesetze wurden den UN-Standards noch nicht vollständig angepasst. Um eine Gleichstellung mit deutschen Kindern, wie die Kinderrechtskonvention sie verlangt, zu gewährleisten, sollte die Versorgung von Flüchtlingskindern vor allem in den Bereichen Bildung, Unterbringung und Betreuung verbessert werden.

Seitdem Deutschland die Vorbehalte gegen die UN-Kinderrechtskonvention zurückgenommen hat, werden mehr Minderjährige kindgerecht in Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht. Zu viele werden aber noch immer in Flüchtlingsheimen untergebracht und müssen relativ lange warten, bis sie in eine Schule gehen können.

Oft fehlen in den Behörden Mitarbeiter*innen, die für den Umgang mit Flüchtlingskindern ausgebildet sind. Noch immer gibt es Probleme mit der Altereinschätzung von Jugendlichen. Obwohl es berechtigte Bedenken gegen die Praxis der medizinischen Alterseinschätzung gibt, wird sie noch immer durchgeführt. Werden Jugendliche dann frühzeitig als volljährig eingestuft, fallen sie aus dem Versorgungssystem für Minderjährige heraus.

Besondere psychische Belastungen

Nach den Asylgesetzen sind Jugendliche mit 18 Jahren verfahrensfähig. Völlig verunsichert müssen sie oft in behördlichen Anhörungen ihre traumatischen Erlebnisse schildern. Übermitteln sie ihre Geschichte nicht glaubwürdig genug, kann sich das entscheidend auf ihre weiteren Möglichkeiten in Deutschland auswirken. Das ist besonders für diejenigen schwierig, die bereits von schrecklichen Erlebnissen mit der Polizei und den Behörden in ihrer Heimat geprägt sind. Nicht selten belastet die Angst um Angehörige in der Heimat die jungen Geflüchteten. Solche Erfahrungen allein durchzustehen, ist für einen jungen Menschen sehr belastend.

Abschiebung von minderjährigen Flüchtlingen

Unbegleitete Minderjährige sind in der Regel vor einer Abschiebung geschützt. Vor einer Abschiebung muss sichergestellt sein, dass im Rückkehrstaat eine sorgeberechtigte Person oder eine geeignete Aufnahmeeinrichtung die Betreuung der Minderjährigen übernimmt. Dies ist in der Praxis schwer erfüllbar, so dass Abschiebungen unbegleiteter Minderjähriger kaum vorkommen. Bis zur Volljährigkeit wird unbegleiteten Minderjährigen daher in der Regel eine Duldung erteilt.

Viele Chancen

Wenn die Kinder Glück haben, gibt es in ihrer Nähe eine Einrichtung, die soziale, psychologische und rechtliche Beratung in effektiver Teamarbeit anbietet. Hier werden die Kinder in allen Lebenslagen untersützt und zum Lernen motiviert. Sie werden kindgerecht behandelt und haben eine echte Chance auf ein neues Leben in Deutschland.

Minderjährige Asylsuchende haben ein Recht auf Bildung und dürfen laut Gesetz deutsche Schulen besuchen. Im August 2021 veröffentlichten UNHCR und UNICEF Deutschland Empfehlungen zum Bildungszugang asylsuchender Kinder in Erstaufnahmeeinrichtungen in Deutschland.

Die UNO-Flüchtlingshilfe unterstützt verschiedene Projekte in Deutschland, die sich auf die psychosoziale Betreuung von Flüchtlingen spezialisiert haben. Therapien sind besonders bei Kindern dringend nötig, damit ein Neuanfang gelingen kann.

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