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„Ich bekomme so viel zurück.“

Warum sich ehrenamtliches Engagement lohnt, berichtet uns eine engagierte Helferin aus Köln.

Irina begann kurz nach der russischen Invasion im Februar 2022, sich ehrenamtlich für in Köln ankommende ukrainische Flüchtlinge zu engagieren. Seitdem ist die 35-Jährige unermüdlich im Einsatz.

Wie sie hilft und was sie dabei antreibt, hat sie uns im Gespräch erzählt.

Wodurch wurde Dein Engagement für Flüchtlinge ausgelöst?

Ich stamme selbst aus Juzhnoukrainsk, in der nähe von Mykolajiw in der Ukraine und als die russische Invasion im Februar 2022 begann, konnte ich zunächst nicht glauben, was gerade passiert. 

Ich bekam ständig Nachrichten von Freunden und Verwandten aus der Ukraine und ich machte mir große Sorgen um sie. Es dauerte ungefähr drei Wochen bis ich überhaupt in der Lage war, zu akzeptieren und zu verstehen, was sich in meiner alten Heimat abspielte.
Dann war mir relativ schnell klar: 

Ich kann nicht die Welt retten, aber ich kann hier und jetzt helfen.“

Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, ohne Sprachkenntnisse in einer völlig neuen und ungewohnten Umgebung zu sein. Ich kam 2002 mit meinen Eltern und meinem jüngeren Bruder als Spätaussiedler aus der Ukraine nach Deutschland.

Unsere erste Zeit in Deutschland war hart. Nachdem wir zunächst im Grenzdurchgangslager Friedland lebten, ging es für uns nach einem kurzen Zwischenstopp in Unna weiter nach Köln. Dort lebten wir 14 Monate in einer Flüchtlingsunterkunft: zu viert in einem Zimmer, mit einem Gemeinschaftsbad auf dem Flur und vielen Menschen, deren Sprache ich nicht verstand und die mir Angst machten. Ich habe mich dort sehr unwohl gefühlt und war so froh, als wir endlich unsere eigene Wohnung bekamen.

Diese Erlebnisse helfen mir heute, mich in die Situation der Flüchtlinge zu versetzen. Und gleichzeitig hätte ich nie damit gerechnet, dass ausgerechnet mein eingerostetes Ukrainisch einmal so wertvoll sein könnte.

Was machst Du genau? 

Im letzten Jahr habe sich sehr viele verschiedene Sachen gemacht:
Angefangen hat es im März 2022. Ich hatte von einem Solidaritätskonzert in meinem Stadtteil erfahren und habe spontan entschlossen, mich mit einem ukrainischen Lied zu beteiligen. Ich bin ausgebildete Musikerin und ich musste einfach dabei sein.

Im Anschluss an meinem Auftritt wurde ich von vielen Menschen angesprochen, sowohl von Anwohner*innen als auch anwesenden Flüchtlingen und ab diesem Konzert bin ich in die praktische Hilfe eingestiegen.

Es hat sich herumgesprochen, dass ich bei Übersetzungen helfe. Ich bin dann auch in verschiedene privat organisierte Messengergruppen eingetreten und so in den Kontakt mit mehreren Flüchtlingsfamilien gekommen.

  • Ich habe ihnen bei Anträgen beim Job-Center und Sozialamt geholfen oder auch bei der Suche nach einer eigenen Wohnung. 
  • Ich habe Möbel und Kleidung für die Erstausstattung organsiert und bei Verträgen für die Stromversorgung oder Handytarifen geholfen.
  • Ich habe den Unterschied zwischen Kalt- und Warmmiete erklärt oder wie die Mülltrennung bei uns funktioniert.
  • Und ich informiere die Familien über Flohmärkte oder besondere Angebote wie Museumsführungen auf Ukrainisch. 

Die Themen sind wirklich sehr vielfältig und abwechslungsreich.

Mittlerweile arbeite ich neben meinem ehrenamtlichen Engagement auch als Übersetzerin in einer Flüchtlingsunterkunft und bin bei den Gesprächen mit den dortigen Sozialarbeiter*innen dabei. Dort organisiere ich auch Konzerte für Kinder und wir singen auf Ukrainisch, Russisch und Deutsch und machen sogar kleine Konzerte, zusammen mit anderen Musiker*innen.

Gleichzeitig habe ich mich im letzten Frühjahr natürlich auch um meine alten Freunde in der Ukraine gesorgt und mich bei ihnen erkundigt, wie es ihnen geht und meine Hilfe angeboten.

Darunter war auch meine ehemals beste Freundin Svetlana. Sie war vor einem Jahr mit ihren beiden kleinen Kindern aus Kiew in den Westen der Ukraine geflohen und erst als klar war, dass auch ihr Mann die offizielle Erlaubnis hatte, ausreisen zu dürfen, konnte ich sie davon überzeugen, zu mir nach Deutschland zu kommen. Da war ich sehr froh. Denn wenn ich an meine Kindheit und Jugend in der Ukraine denke, dann ist da Svetlana. Ich musste ihr einfach helfen. Und die Hilfe für sie ist eine absolute Herzensangelegenheit. Für sie und ihre Familie tue ich alles.

Glücklicherweise habe ich es geschafft, ihnen eine Wohnung bei uns in der Nachbarschaft zu organisieren. Und wir sehen uns jetzt fast jeden Tag. Wir sind sehr eng miteinander, aber jeder hat seine Privatsphäre – das ist auch wichtig.
Und auch wenn ich noch nie so viel zu tun hatte wie im letzten Jahr, gibt es mir doch so viel zurück. Ich bin froh, dass ich aufgrund meiner eigenen Erfahrungen helfen kann und etwas zurückgeben kann.

Ich kann nicht anders. Ich muss einfach helfen.“

Wie hat sich Dein Engagement im Lauf der Zeit verändert?

Während sich am Anfang alles um Anträge und offiziellen Papierkram drehte, geht es jetzt immer mehr um Fragen im Alltag. Meine betreuten Ukrainer*innen möchten nichts falsch machen und fragen sich häufig, wie bestimmtes Verhalten bei „den Deutschen“ ankommt und umgekehrt verstehen sie manchmal auch deutsche Verhaltensweisen nicht, weil es in der Ukraine ganz anders gemacht wird. 

So gab zum Beispiel eine junge Mutter der Kita-Erzieherin drei verschiedene Garnituren Wäsche für einen Tag mit und sagte: „Das hier ist für vormittags, das zum Schlafen und dieses hier für den Nachmittag.“ Die Erzieherin war sehr irritiert und meinte nur, dass sie die Kinder nur dann umziehen, wenn sie nass oder verdreckt sind. Das hat bei der ukrainischen Mutter zu großer Verwunderung und Unsicherheit geführt, denn in der Ukraine ist es üblich, dass die Kinder in der Kita mehrfach am Tag umgezogen werden – egal, in welchem Zustand die Kleidung ist.

Was bedeutet Dir die Zusammenarbeit mit Flüchtlingen?

Ich habe durch mein Ehrenamt so viele tolle Menschen kennen gelernt. Neben den Flüchtlingen selbst, auch Nachbarn oder völlig Fremde, die ihre Hilfe und Unterstützung angeboten haben. Es sind zum Teil richtige Freundschaften entstanden und ich habe einfach die Gesellschaft für mich völlig neu entdeckt. Die Hilfsbereitschaft und das Vertrauen von wildfremden Menschen sind wahnsinnig inspirierende Erfahrungen. Und ich bin sehr froh und dankbar, dass ich die machen durfte.

Hast Du ein Beispiel für uns?

Ich bekam einmal einen Anruf, dass ich eine junge Frau am Flughafen abholen soll. Ihre kleine Schwester war in Charkiw beim Gassigehen mit dem Hund von einer Bombe schwer verletzt worden.

Gemeinsam mit der Mutter, die ebenfalls medizinisch behandelt werden musste, war sie bereits nach Köln ausgeflogen worden. Die junge Frau ist der Familie nachgereist und brauchte nun dringend eine Unterkunft.

Nach ein paar Telefonaten hatte ich eine Adresse in der Hand und fuhr direkt vom Flughafen mit der jungen Frau dorthin. Es stellt sich heraus, dass es ein Haus in einer sehr wohlhabenden Gegend in Köln war. Die Besitzerin begrüßte uns herzlich, übergab uns den Schlüssel zum Haus und stellt eine komplette Etage kostenfrei zur Verfügung. Gleichzeitig sagte sie, dass sie und ihre Familie die nächsten drei Wochen im Urlaub sei. Dieses Vertrauen in mich und in die junge Ukrainer*in, die ja völlig fremd für sie waren, hat mich zutiefst beeindruckt. 

Und das höre ich auch oft von meinen ukrainischen Familien, die ich betreue. Sie sind zutiefst beeindruckt, welche Offenheit und welches Vertrauen ihnen entgegengebracht wird. Das wissen sie sehr zu schätzen und sind unsagbar dankbar dafür.

Gibt es auch schwierige Momente? Wie kannst Du abschalten?

Ja, es ist auch anstrengend, aber ich bin gut organisiert und ich habe gelernt, mich abzugrenzen. Mir gelingt es sehr gut, zwischen meiner Übersetzungstätigkeit und meinem eigenen Leben zu trennen. Ich habe meinen Beruf, meine Familie und somit auch andere Themen in meinem Leben, die mir wichtig sind. Gleichzeitig ist diese Hilfe aber auch für mich ein Weg, den Krieg zu verarbeiten.

Gibt es etwas, dass Du von den Flüchtlingen oder im Rahmen Deines Engagements gelernt hast? 

Die Schicksale der Flüchtlinge sind so unterschiedlich. Manche sind sehr mutig und motiviert, ihre Zeit hier in Deutschland bestmöglich zu nutzen. Andere sind eher depressiv und gedanklich noch zuhause in der Ukraine. Sie schaffen es nicht, hier neu anzufangen.

Generell bin ich aber dankbar, dass ich durch die Flüchtlinge die ukrainische Gesellschaft neu für mich entdecken konnte. Egal ob Busfahrer, Ärzte oder Musiker*innen – sie sind alle hier. Und ich bereue es ein wenig, dass ich die letzten 15 Jahre nicht in der Ukraine war. Es sind so tolle Menschen.

Und ich habe so schöne ukrainische Kinderlieder kennengelernt. Das finde ich klasse!

Zudem habe ich durch meine Übersetzungshilfe für die Sozialarbeiter auch selbst viel gelernt, was zum Beispiel den Umgang mit Behörden angeht oder auch medizinische Zusammenhänge. Das ist ein positiver Nebeneffekt. Wenngleich ich mir natürlich Nichts mehr wünsche, dass es nie zu dieser Situation gekommen wäre und die Menschen in Frieden in der Ukraine leben könnten.

Es macht mich sehr zufrieden und glücklich, anderen helfen zu können.“

Was ist Dir wichtig? Was wünschst Du Dir?

Ich finde es schön, dass mein Sohn sieht, wie man anderen in Not helfen kann und auch, wie wichtig und wertvoll Sprachen sind. Ich möchte hier einfach ein gutes Vorbild für mein Kind sein.

Und ich möchte, dass wir hier in Deutschland auch das Positive sehen, dass man das Potential der Flüchtlinge erkennt und sie nicht nur als Belastung wahrnimmt.

Die Menschen, die ich betreue sind gut ausgebildet. Darunter sind Ärzt*innen, Lehrer*innen, Anwält*innen, Handwerker*innen oder Pflegepersonal. Sie bringen so viel mit. Auch wenn die meisten Ukrainer*innen, die ich kenne, wieder nach Hause zurück möchten, werden doch einige auch hier bleiben wollen oder müssen. Sie können so eine Bereicherung für Deutschland sein. Und selbst wenn die Familien zurückkehren, so haben ihre Kinder Deutsch gelernt und wer weiß, vielleicht kommen sie eines Tages zum Studium zurück nach Deutschland und bauen sich hier ein Leben auf.

 

Vielen Dank Irina, dass Du uns diesen privaten, aber auch sehr inspirierenden Einblick in Dein Leben gegeben hast. Wir wünschen Dir und "Deinen" betreuten Familien alles Gute!

 

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