Wenn Unsicherheit und Hunger zum Alltag gehören
Stand: 11.05.2022
+++ Mehrere Erdbeben der Stärke 4,9 und 5,3 erschütterten am 17.1.2022 den Nordwesten Afghanistans. Mindestens 26 Menschen kamen ums Leben, hunderte Menschen wurden verletzt und viele Häuser und Unterkünfte zerstört. UNHCR hat Hilfsgüter, darunter Plastikplanen, Decken, Familienzelte, für mindestens 7.000 Menschen in die Region geschickt. +++
Afghanistan ist seit 40 Jahren von Konflikt und Vertreibung geprägt. Die Bevölkerung ist von fortlaufender Unsicherheit, Konflikten und extremen Wetterereignissen bedroht.
Mit dem Abzug der NATO- sowie US-Truppen im Herbst 2021 und der darauf folgenden Machtübernahme durch die Taliban, erlebten große Teile der Bevölkerung erneut Angst und Schrecken. Auch wenn sich die Situation etwas beruhigt hat, befinden sich immer noch rund 9,2 Millionen Afghan*innen innerhalb ihres Landes auf der Flucht oder benötigen als Rückkehrer Hilfe beim Wiederaufbau. 2,2 Millionen Flüchtlinge sind in den Nachbarländern registriert. Weitere 4 Millionen Afghaninnen und Afghanen mit unterschiedlichem Status leben in den Nachbarländern.
Die Grundrechte von Frauen und Mädchen in Afghanistan werden verletzt. Millionen Kinder gehen nicht zur Schule. Bauern und Hirten kämpfen mit der schlimmsten Dürre seit Jahrzehnten. Aufgrund der großen Unsicherheit leidet die Wirtschaft und die Armut nimmt zu. Die Hälfte der Bevölkerung Afghanistans leidet unter akutem Hunger. Ohne Unterstützung drohen Zehntausende Kinder an Unterernährung zu sterben, warnen UN-Organisationen.
Der UNHCR warnt davor, dass die winterlichen Temperaturen, die Auswirkungen der Corona-Pandemie sowie die anhaltende Dürre weiteres menschliches Leid mit sich bringen und appelliert, dass die notleidenden Afghan*innen nicht vergessen werden dürfen.
Hilfe wird dringend benötigt!
Winter verschlimmert die Not
Zu Beginn des Winters, warnt der UNHCR, dass die humanitäre Krise in Afghanistan eskaliert. Die Temperaturen können in höhergelegenen Regionen auf bis zu -25 °C fallen. Viele Menschen sind vor Kämpfen in ihren Heimatregionen in die Hauptstadt Kabul geflüchtet. Dort hausen sie in Unterkünften, die für den Winter nicht geeignet sind und leiden unter der unzureichender Lebensmittelversorgung im Land.
* Namen wurden aus Sicherheitsgründen verändert
UNHCR warnt vor Hungersnot
Fast 19,2 Millionen Menschen in Afghanistan haben keine ausreichenden Lebensmittel. Insbesondere Kinder und schwangere oder stillende Mütter sind unterernährt. Die Bereitstellung von Nahrungsmitteln zur Vermeidung von Hungersnöten sowie Winterhilfe hat unmittelbare Priorität.
24,4 Millionen Menschen – das sind 55 Prozent der Bevölkerung – sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Für die am stärksten gefährdeten Menschen werden dringend weitere Ressourcen benötigt – alleinerziehende Mütter ohne Unterkunft oder Nahrung für ihre Kinder, ältere Menschen, die vertrieben wurden, um verwaiste Enkelkinder zu versorgen, und diejenigen, die sich um Angehörige mit besonderen Bedürfnissen kümmern. Der UNHCR bringt Hilfsgüter mit LKW-Konvois auf der Straße durch die Nachbarländer sowie mit humanitären Luftbrücken ins Land.
Bitte unterstützen Sie die UNHCR-Nothilfe in Afghanistan mit Ihrer Spende!
Die wichtigsten Zahlen zu Flucht & Vertreibung in Afghanistan
Flüchtlinge weltweit
Binnenvertriebene
neue Binnenvertriebene im Jahr 2021
Zahl der Binnenvertriebenen in Afghanistan gestiegen
Politische, sicherheits- und sozioökonomische Entwicklungen sowie verheerende Dürreperioden führten in den letzten Jahren dazu, dass 3,5 Millionen Afghan*innen als Binnenvertriebene im eigenen Land lebten. Seit Januar 2021 flohen fast 790.000 Menschen innerhalb des Landes. Beinah 60 Prozent dieser Binnenvertriebenen sind Kinder und Jugendliche.
Traditionell werden in Afghanistan die Vertriebenen häufig von der lokalen Bevölkerung unterstützt, wobei die Binnenvertriebenen sich auf die Stammesstrukturen und die Hilfe der Familie stützen. Doch diese Unterstützung ist für viele Afghan*innen kaum noch aufrecht zu erhalten, da sie selbst in Armut leben. Mehrfache Vertreibungen sowie die COVID-Pandemie erschweren das Überleben der Binnenvertriebenen stetig.
Ich hole altes Brot vom Bäcker und dann tunken wir es in Wasser, um es weicher zu machen.
Wenn er etwas Geld hat, kauft Ahmed etwas Gemüse. “Feuerholz können wir uns nicht leisten.” Darum verbrennt Ahmed in dem kleinen Ofen Teppichreste und Abfälle von der Straße, damit es die Kinder warm haben. Der Rauch beißt in den Augen.
Mehr zur Situation der Vertriebenen in Afghanistan lesen Sie in unserem Blogbeitrag:
Hunger, Kälte und Verzweiflung

Steigender Hilfsbedarf in Afghanistan
Bereits vor dem Abzug der internationalen Truppen und der Machtübernahme der Taliban brauchten Binnenvertriebene, Flüchtlinge und Rückkehrer*innen, sowie die Aufnahmegemeinden dringend Unterstützung. Das Leben der Menschen war und ist geprägt von:
- Lebensmittelknappheit
- unangemessenen Unterkünften
- fehlendem Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und Rechtsbeistand.
Aus diesem Grund benötigt Afghanistan Unterstützung bei der Stärkung der Infrastruktur sowie der Gemeinden, in denen Vertriebene und Rückkehrer leben. Nur so kann eine nachhaltige Integration oder eine freiwillige Rückführung in die Heimat gelingen.
Aktuell stehen insbesondere Nothilfsmaßnahmen im Fokus. Der UNHCR ist vor Ort und tut sein Möglichstes, um die vertriebenen Afghan*innen zu unterstützen. Trotz der schwierigen Sicherheitslage haben der UNHCR und seinen Partnerorganisationen weiterhin Zugang zu allen Provinzen.
So unterstützte der UNHCR 2021 Flüchtlinge und Vertriebene in Afghanistan
Frauen in Afghanistan sind besonders bedroht
Rund 80 Prozent, der Menschen, die sich 2021 in Afghanistan auf die Flucht begeben haben, sind Frauen und Kinder. Ihre Lebensbedingungen sind besonders dramatisch und besorgniserregend.
Nach dem Sturz des Taliban-Regime im Jahr 2001 hatte sich die Situation der Frauen zunächst verbessert. Mädchen konnten zur Schule gehen, Frauen studieren, einen Beruf ausüben oder auch selbständig sein. Die Zahl der Uniabsolventinnen stieg stetig und Afghanistan konnte sogar eine erste Wirtschaftsministerin verabschieden. Doch die Erinnerung an die Schreckensherrschaft der Taliban war noch stets präsent – besonders bei den Frauen. Auch zwei Jahrzehnte nach Anbruch einer neuen Ära, war die Sicherheitslage der Frauen schwierig. Immer wieder wurden sie gezielt Opfer von Femiziden, sexualisierter Gewalt und Bombenangriffen. Es kam wiederholt zu Anschlägen auf Geburtsstationen und Mädchenschulen.
Seit dem Abzug der internationalen Truppen und spätestens seitdem die Taliban die Hauptstadt Kabul zurückerobert haben, fürchten die Frauen nun den Verlust ihrer Selbstbestimmung, der hart erkämpften Rechte und Freiheiten. Sie haben Angst vor sexualisierter Gewalt, bangen um die Zukunft ihrer Kinder und um ihr eigenes Leben. Die Taliban verfolgen das Ziel eines patriarchalen Gewaltsystems: eines Islamischen Afghanischen Emirates, in dem das Gesetz der Scharia gilt, in der Frauen- und auch andere Menschenrechte keine Gültigkeit mehr besitzen. Aktivist*innen oder Frauenrechtler*innen sind derzeit besonders in Gefahr. Die Frauen sind in Todesgefahr und fühlen sich alleine gelassen, wissen nicht was sie tun sollen und sind den Taliban schutzlos ausgeliefert. Sie brauchen so dringend wie nie internationale Hilfe.
"Das ist wichtig für uns. Mit dem Einkommen, das wir verdienen, können wir unseren Lebensunterhalt verdienen."
Die 40-jährige Khatima, Mutter und Rückkehrerin aus Pakistan, webt einen Kelimteppich. Ihre Arbeit ist eine wichtige Einnahmequelle für die Familie, da ihr Mann aufgrund gesundheitlicher Probleme kein stetiges Einkommen einbringen kann. Der UNHCR unterstützt Khatima mit Materialien für die Herstellung der Teppiche.

Wie hilft der UNHCR in Afghanistan?
Bis zur erneuten Machtübernehme durch die Taliban konnte der UNHCR in vielen verschiedenen Regionen und Bereichen die hilfsbedürftigen Vertriebenen unterstützen. Dies gehörte bis dahin zu seinen Hilfsmaßnahmen:
Der UNHCR
- … leistet lebensrettende Nothilfe vor Ort, indem Notunterkünfte und andere Hilfsgüter zur Verfügung gestellt werden.
- … stellt sicher, dass internationales Recht eingehalten wird und eine Rückkehr freiwillig, sicher und in Würde erfolgt.
- ... berät die Menschen vor Ort bei rechtlichen Fragen und bietet psychosoziale Unterstützung.
- … unterstützt in Regionen mit einer besonders hohen Zahl von Binnenvertriebene und Rückkehrer*innen, damit die Menschen sich eine eigene Lebensgrundlage aufbauen können.
- ... verbessert den Zugang zu Gesundheitsversorgung, fördert die Schulung von Hebammen und baut 2021 neun Gesundheitskliniken, von denen mehr als 300.000 Menschen profitieren werden.
- … fördert Bildungsmaßnahmen, z.B. durch Stipendien für ausgewählte Schüler*innen und renoviert oder baut Schulen in Gemeinden, in denen Rückkehrer oder Binnenvertriebene leben. In diesem Jahr arbeitet UNHCR an 38 Bildungsprojekten, bei denen u.a. 19 Schulen, darunter speziell zwei Mädchenschulen, gebaut werden.
In welchem Umfang diese Unterstütztung weiter fortgesetzt werden kann, hängt von den weiteren Entwicklungen und insbesondere der Sicherheitslage ab. Doch der UNHCR setzt alles daran, den verzweifelten Menschen die Hilfe zukommen zu lassen, die sie so dringend benötigen.
The international community is talking about leaving Afghanistan.
— Filippo Grandi (@FilippoGrandi) August 15, 2021
Surely, the situation is risky and dramatic, but as long and wherever it is possible to stay and help Afghan women and men at their time of greatest need, that should be the priority.
Afghanische Flüchtlinge in den Nachbarländern
In den letzten vier Jahrzehnten haben fast 90 Prozent der weltweit registrierten 2,2 Millionen afghanischen Flüchtlinge* Schutz in Iran und Pakistan gefunden, den unmittelbaren Nachbarländern, die seit Jahrzehnten und Generationen Gastfreundschaft und eine integrative Politik betreiben.
Mehr als 1 Million afghanische Flüchtlinge in Pakistan und Iran sind Kinder unter 14 Jahren. Drei Viertel der Flüchtlinge dort sind unter 25 Jahre alt.
Die meisten Menschen, die in den letzten Monaten fliehen mussten, sind derzeit Binnenvertriebene in Afghanistan. Sie sind es, die jetzt besonders dringend Unterstützung und humanitäre Hilfe benötigen.
(*Insgesamt leben rund sechs Millionen Afghan*innen mit unterschiedlichem Status in Iran und Pakistan.)
Unterfinanzierung der Hilfsmaßnahmen
Die Hilfen des UNHCR in Afghanistan waren in den letzten Jahren immer wieder stark unterfinanziert. Dadurch kam es immer wieder zu Einschränkung bei geplanten Projekten und Maßnahmen. Insbesondere die Bereiche Gesundheitsdienst, Schulbau und berufliche Aus- und Fortbildung, müssen immer wieder gekürzt oder ausgesetzt werden.
In 2020 musste der UNHCR bereits die Anzahl der Schulen, die beim Bau unterstützt wurden, verringern. Und auch die Unterstützung durch Bargeldhilfen und Sachleistungen für Menschen mit besonderen Bedürfnissen - darunter fallen gefährdete Frauen, Überlebende von sexueller Gewalt oder Menschen mit Behinderung - musste gekürzt oder unterbrochen werden. Dies erhöht die Anfälligkeit der äußerst schutzbedürftigen Personen für Missbrauch und Ausbeutung. Aber auch Projekte in den Nachbar- und damit Aufnahmeländern sind immer wieder gefährdet. Darunter Bargeldhilfen, die medizinische Versorgung oder die Bereitstellung von Medikamenten.
Im „Afghanistan Humanitarian Response Plan“, der größte, jemals veröffentlichte humanitäre Appell, veranschlagten die UN-Organisationen den Bedarf für die Nothilfe in 2022 für Afghanistan auf 4,44 Milliarden US-Dollar.
Um den verzweifelten Menschen helfen zu können, brauchen wir dringend Ihre Unterstützung! Gemeinsam können wir dabei helfen, dass Finanzierungslücken geschlossen werden und überlebenswichtige Projekte weiterlaufen können.

So können Sie helfen
Sie möchten Menschen auf der Flucht zur Seite stehen?
Dann unterstützen Sie unsere lebensrettende Hilfe noch heute mit Ihrer Online-Spende. Jeder Beitrag hilft!
Abschiebungen nach Afghanistan
Lange galt Afghanistan für die Bundesregierung als sicheres Herkunftsland. Bis Anfang August 2021 hatte sich das Bundesinnenministerium noch für Abschiebungen nach Afghanistan ausgesprochen, da man befürchtete, Afghan*innen sonst zu „motivieren“ nach Europa zu kommen. Seit dem 12.08.2021 werden nun jedoch Abschiebungen aus Deutschland nach Afghanistan bis auf Weiteres ausgesetzt. Die Gefahr für die abzuschiebenden Menschen, sowie deren Begleiter*innen (auf eine abzuschiebende Personen kommen im Durschnitt drei Begleitpersonen), ist zu groß. Gleichzeitig plädiert nun Margaritis Schinas, der Vizepräsident der EU-Kommission, für eine schnelles Übereinkommen bei der EU-Migrationspolitik.
40 Jahre Afghanistan: Eine Chronik von Konflikt & Gewalt
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Machtübernahme der Demokratischen Volkspartei Afghanistan
Die kommunistisch geprägte Demokratische Volkspartei Afghanistan (DVPA) putscht am 27. April 1978 gegen den damaligen Präsidenten Mohammad Daud. Darauf folgen mehrere Jahre der Schreckensherrschaft mit radikalen Land- und Bildungsreformen innerhalb des Landes.
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Einmischung der Sowjetunion
Die Sowjetunion als wichtigster Bündnispartner der DVPA hat Sorge vor einem Zusammenbruch der kommunistischen Regierung. Als Konsequenz besetzen die sowjetischen Truppen das Land Ende Dezember.
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Schauplatz des Kalten Kriegs
Afghanistan wird eines der wichtigsten Schlachtfelder des Kalten Kriegs zwischen den zwei Großmächten USA und UdSSR. Die afghanische Regierung führt die Funktion eines Marionettenregimes Moskaus aus. In dieser Zeit bilden sich die anti-kommunistischen Widerstandskämpfer, die Mudschaheddin, die finanziell von den USA und Saudi-Arabien unterstützt werden und sich gegen die sowjetische Macht auflehnen.
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Sowjetunion verlässt das Land
Abzug der sowjetischen Streitkräfte. Afghanistan versinkt im Bürgerkrieg.
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Herrschaft der Mudschaheddin
Zwischen den Jahren 1992 bis 1996 herrschen die anti-kommunistischen Mudschaheddin als regierende Macht in Afghanistan. Während dieser Herrschaftszeit entsteht die Taliban-Miliz.
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Übernahme der Taliban
Die Herrschaft der Mudschaheddin endet und die Taliban übernehmen die Macht in Afghanistan mit dem Ziel, den Gottesstaat "Islamisches Emirat" zu bilden.
Sie setzten strenge und extreme islamische Sitten durch und verhängen harte Strafen für Verstöße. Die Freiheiten der afghanischen Menschen werden stark eingeschränkt. Frauen müssen sich verschleiern, Sport, Musik und neue Technologien werden verboten und Bildungseinrichtungen müssen schließen. Unter der Herrschaft der Taliban ist Afghanistan ein Zufluchtsort für vielen Terrorgruppen wie Islamischer Staat und al-Qaida.
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Der Kampf gegen den Terror
Mit den von Afghanistan aus geplanten Terroranschlägen am 11. September 2001 beginnt ein rigoroser Kampf gegen den internationalen Terror von den USA und ihren Verbündeten wie der NATO. Die Vereinigten Staaten von Amerika und das Vereinigte Königreich stürzen die Taliban im Bündnis mit der afghanischen Nordallianz. Die internationale Gemeinschaft etabliert eine afghanische Übergangsregierung unter der Leitung der USA. Mehr als 40 Länder engagieren sich für einen dauerhaften Frieden in Afghanistan.
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Beginn des Friedensprozesses
Der Friedensprozess beginnt mit Friedensgesprächen auf dem Petersberg in Bonn und führt zunächst zu einer Übergangsregierung unter Führung Hamid Karzais. Um ihren Schutz zu garantieren, wird die International Security Assistance Force (ISAF) aufgebaut. In den folgenden Jahren wird eine neue Verfassung eingeführt und demokratisch präsidentielle und parlamentarische Wahlen abgehalten.
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Zerfall der neuen Regierung
Zwischen den Jahren 2007 und 2014 verliert die neue Regierung zunehmend an Legitimität. Es kommt vermehrt zu Aufständen und Gewalt im Land und die Sicherheitslage in der Islamischen Republik Afghanistan verschlechtert sich drastisch. Nach dem politischen Übergang in 2015 verschlechtert sich die Wirtschafts- und Sicherheitssituation weiter. Die Taliban werden von der Terrororganisation Islamischer Staat unterstützt und nehmen zeitweise die Stadt Kundus ein. In diesem Zeitraum fliehen mehr als 1 Million Menschen innerhalb Afghanistans.
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Abzug der Internationalen Kräfte
Ein Abkommen zwischen den USA und den Taliban vom Februar sieht den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan bis April 2021 vor. Eine Reduzierung der Größe der in Afghanistan stationierten US-Truppen findet bereits im Juni 2020 statt.
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Abzug und Machtergreifung der Taliban
Bis Ende August 2021 ziehen sich alle internationalen Truppen aus Afghanistan zurück. Am 29. Juni verlassen die letzten deutschen Soldat*innen das Land. Viele Menschen flüchten aufgrund der katastrophalen Sicherheitslage. Besonders die afghanischen Ortskräfte, die in der Vergangenheit für internationale Kräfte gearbeitet haben, sind in Gefahr. Anfang August setzt die deutsche Bundesregierung wegen der instabilen Sicherheitslage die Abschiebungen nach Afghanistan aus. Am 15. August 2021 nehmen die Taliban Kabul ein und errichten eine Übergangsregierung. Die internationale Gemeinschaft steht der neuen Übergangsregierung kritisch gegenüber.
Vorurteile vs. Fakten - Faktencheck zu Afghanistan
Die Entwicklungen in Afghanistan haben auch hier in Deutschland Ängste geschürt. Doch was ist dran an den Behauptungen und Fragen, die mitunter heftigst in Social Media und Co. dikskutiert werden? Lesen Sie hierzu unseren Faktencheck zu Afghanistan:
„Löst die Krise in Afghanistan eine Flüchtlingswelle wie damals in 2015 aus?"
Momentan sind 2,6 Millionen Afghan*innen auf der Flucht. Fast 90 Prozent aller Flüchtlinge aus Afghanistan finden Schutz in den Nachbarländern Iran und Pakistan. Ein relevanter Anstieg bei der Zahl der irregulären afghanischen Neuankömmlingen in der Türkei, Griechenland oder den westlichen Balkanstaaten konnte bisher nicht festgestellt werden und auch an den Grenzen zu Pakistan und dem Iran gab es keinen größeren Strom an Flüchtlingen aus Afghanistan. Die größte Herausforderung stellen derzeit vielmehr die 3,5 Millionen Afghan*innen dar, die innerhalb des Landes auf der Flucht sind.
Afghan*innen stellen zwar eine der größten Asylbewerbergruppen in Europa dar, von einer Situation wie 2015 kann jedoch bei Weitem keine Rede sein. So wurden im Jahr 2015 476.649 Asylanträge in Deutschland registriert, Hauptherkunftsland war damals Syrien. Dagegen wurden bis Juli 2021 96.528 Asylanträge in Deutschland gezählt, 48 Prozent von syrischen Staatbürger*innen und etwa 11 Prozent von Afghan*innen.
Zum Nachzulesen unter:
https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/Migrationsberichte/migrationsbericht-2015.html?nn=403964
https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Statistik/AsylinZahlen/aktuelle-zahlen-juli-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=2
„Wurden nur Männer und keine Frauen und Kinder evakuiert?“
Die Evakuierung von Ortskräften in Afghanistan im August 2021wurde gerade in den Sozialen Medien kontrovers diskutiert. Auf Twitter und Telegram wurden Fotos aus Flugzeugen geteilt, auf denen angeblich nur Männer zu sehen seien. Doch dabei handelt es sich um Falschinformationen, auch Frauen und Kinder wurden evakuiert. Bei der Evakuierung von Ortskräften aus Kriegs- und Krisengebieten durch die Bundeswehr werden auch ihre Familien ausgeflogen - also auch ihre Ehepartner und minderjährige Kinder.
Ein Bild, das häufig auf Twitter geteilt wurde, zeigt einen überfüllten Innenraum einer Militärmaschine. Das Foto sollte zeigen, dass lediglich Männer evakuiert wurden, doch es wurde nur ein bestimmter Ausschnitt des Bildes gezeigt. Das Original zeigt den Innenraum der U.S. Air Force C-17 Globemaster III, das am 15. August 2021 825 Afghan*innen aus dem Land evakuierte. Im Vordergrund sind dabei auch eindeutig Frauen und Kinder zu sehen.
Ein anderes Foto zeigt angeblich zwei Flugzeuge mit männlichen afghanischen Flüchtlingen an Bord, die aus Afghanistan ausgeflogen wurden. Das Foto ist allerdings manipuliert und aus dem Kontext gezogen worden. Es handelt sich dabei um ein einzelnes Bild, das auseinandergeschnitten wurde. Die Aufnahme zeigt afghanische Flüchtlinge, die aus der Türkei ausgewiesen und zurück nach Afghanistan geflogen wurden. Das Originalbild wurde 2018 auf der Nachrichtenseite Eurasia Diary veröffentlicht.
Zum Nachlesen unter:
https://www.bundeswehr.de/de/aktuelles/meldungen/evakuierung-afghanistan
https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/afghanistan-fotos-der-evakuierung-teils-aus-kontext-gerissen,SgRLI7i
https://www.dvidshub.net/image/6785986/c-17-carrying-passengers-out-afghanistan
https://correctiv.org/faktencheck/2021/08/18/nein-aus-afghanistan-werden-nicht-nur-maenner-sondern-auch-frauen-und-kinder-evakuiert/
„Wie konnten die Taliban so schnell die Macht ergreifen?“
Der schnelle Vormarsch der Taliban im August 2021 ließ bei vielen die Vermutung aufkommen, dass die afghanische Bevölkerung die radikalislamistische militärische Bewegung unterstützen muss. Gründe für den schnellen Sieg der Taliban sind jedoch andere:
- Der schnelle Abzug der internationalen Truppen spielte eine große Rolle dabei. Die afghanische Armee wurde praktisch blind zurückgelassen – militärische Unterstützung durch Soldaten, zivile Vertragskräfte, US-Luftunterstützung und nachrichtendienstliche Aufklärung vielen plötzlich weg.
- Die Taliban sicherte sich zudem einen wichtigen Vorteil, als sie gezielt wichtige Infrastrukturen angriffen und zu eigen machten, wie beispielsweise die Ring Road. Die Ring Road ist die wichtigste strategische Infrastruktur in Afghanistan, da sie die einzige Verbindung zwischen vielen Provinzhauptstädten ist. Bevor Kabul von den Taliban eingenommen wurde, wurden bereits viele Provinzhauptstädte wochenlang von den Taliban belagert und es kam zu einem Domino-Effekt. Durch die Besetzung der Ring Road bekamen die Verteidigungsringe um Städte keinen Nachschub mehr und konnten nicht mehr gehalten werden.
- Gleichzeitig wurde die Taliban gestärkt, weil sie Tausende Häftlinge aus den eroberten Gefängnissen befreiten, die sie wiederum unterstützten.
- Die Regierung und Regierungstruppen waren bereits durch Schwäche gekennzeichnet – die politischen und ethnischen Konflikte der afghanischen Gesellschaft spiegelten sich auch dort wieder. Kabul wurde schließlich kampflos von der Regierung aufgegeben, unter anderem auch, um blutige Gefechte zu verhindern.
Zum Nachlesen unter:
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/afghanistan-taliban-armee-staerke-ausbildung-100.html
https://www.deutschlandfunk.de/afghanistan-welche-strategie-verfolgen-die-taliban.2897.de.html?dram:article_id=501723
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/afghanistan-taliban-armee-staerke-ausbildung-100.html