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Wenn Unsicherheit und Hunger zum Alltag gehören

Stand: 08.11.2024

Afghanistan ist seit 40 Jahren von fortlaufender Unsicherheit und Konflikten sowie Vertreibung geprägt. Zusätzlich bedrohen extreme Wetterereignisse wie Erdbeben die Bevölkerung.

Mit dem Abzug der NATO- sowie US-Truppen im Herbst 2021 und der darauf folgenden Machtübernahme durch die Taliban erlebten große Teile der Bevölkerung erneut Angst und Schrecken. Seit 2021 flohen 1,6 Millionen Menschen aus Afghanistan. Ingesamt leben aktuell mehr als 5,8 Millionen Afghanen und Afghaninnen in den Nachbarländern.

Die Lage in Afghanistan ist nach wie vor sehr angespannt: Die restriktive Politik gegenüber Frauen und Mädchen hat sich weiter verschärft – was auch die Möglichkeiten Afghanistans einschränkt, seinen Weg aus der Krise zu finden. Neben den häufigen Naturkatastrophen wie dem jüngsten Erdbeben im Oktober 2023 und den extremen Witterungen im Frühjahr 2024 spitzt sich auch die Wirtschaftskrise immer weiter zu: 20 Millionen Afghanen und Afghaninnen leiden unter akuter Ernährungsunsicherheit. Insbesondere die 3,22 Millionen Menschen, die durch den anhaltenden Konflikt im Land vertrieben wurden, sind extrem gefährdet.

Die UN schätzen, dass 2024 über 23 Millionen Menschen dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen sind.

Alarmierende Lage durch Rückführungen aus Pakistan

Die bereits bestehende humanitäre Krise hat sich durch die verstärkte Rückführung von Menschen aus Pakistan seit September 2023 weiter zugespitzt. Der Rückstrom hat an den Grenzübergängen eine alarmierende Situation geschaffen. Viele dieser Rückkehrer*innen sind erschöpft, traumatisiert und dringend auf Unterstützung angewiesen, da sie in Eile und unter Angst nach Afghanistan zurückgekehrt sind.

Bis August 2024 sind knapp 690.000 afghanische Flüchtlinge aus Pakistan zurückgekehrt. 32.000 Menschen wurden deportiert. Bei 88% der Rückkehrer*innen handelte es sich um Afghan*innen ohne Dokumente. Im Juli 2024 beschlossen die pakistanischen Behörden die Rückführung von illegal im Land lebenden Flüchtlingen bis auf weiteres zu beenden.

Die Gruppe der Rückkehrer*innen umfasst viele schutzbedürftige Personen, darunter Frauen und Kinder, die nun vor den Herausforderungen eines bevorstehenden harten Winters stehen. Die ungewissen Zukunftsaussichten und insbesondere Bedenken bezüglich der persönlichen Sicherheit in Afghanistan schaffen zudem große Verunsicherung.

Der UNHCR reagiert auf diese Notsituation, indem er vor Ort an den Grenzen verstärkte Schutzmaßnahmen durchführt, um die am meisten gefährdeten Gruppen zu identifizieren und zu unterstützen. Zugleich bietet der UNHCR in Rückkehrgebieten dringend benötigte Hilfe an, da die meisten Rückkehrer*innen mit äußerst begrenzten Mitteln ankommen. Durch Bargeldhilfe, die Mittel für lebenswichtige Güter bereitstellt, versucht der UNHCR, das Überleben und die Würde dieser Gemeinschaften zu gewährleisten.

MEHR ZUR SITUATION IN PAKISTAN

Millionen leben in Afghanistan als Vertriebene im eigenen Land

Politische, sicherheits- und sozioökonomische Entwicklungen sowie verheerende Dürreperioden führten in den letzten Jahren dazu, dass aktuell 3,22 Millionen Afghaninnen und Afghanen als Binnenvertriebene im eigenen Land leben. 

Traditionell werden in Afghanistan die Vertriebenen häufig von der lokalen Bevölkerung unterstützt, wobei die Binnenvertriebenen sich auf die Stammesstrukturen und die Hilfe der Familie stützen. Doch diese Unterstützung ist für viele Menschen kaum noch aufrecht zu erhalten, da sie selbst in Armut leben. Mehrfache Vertreibungen, die wirtschaftliche Instabilität sowie die Folgen der klimatischen Veränderungen, Dürren und Überschwemmungen erschweren das Überleben der Binnenvertriebenen.

Ich hole altes Brot vom Bäcker und dann tunken wir es in Wasser, um es weicher zu machen.

Wenn er etwas Geld hat, kauft Ahmed etwas Gemüse. “Feuerholz können wir uns nicht leisten.” Darum verbrennt Ahmed in dem kleinen Ofen Teppichreste und Abfälle von der Straße, damit es die Kinder warm haben. Der Rauch beißt in den Augen.

Mehr zur Situation der Vertriebenen in Afghanistan lesen Sie in unserem Blogbeitrag:

Hunger, Kälte und Verzweiflung

 

Steigender Hilfsbedarf in Afghanistan

Bereits vor dem Abzug der internationalen Truppen und der Machtübernahme der Taliban brauchten Binnenvertriebene, Flüchtlinge und Rückkehrer*innen sowie die Aufnahmegemeinden dringend Unterstützung. Das Leben der Menschen war und ist geprägt von:

  • Lebensmittelknappheit
  • unangemessenen Unterkünften
  • fehlendem Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und Rechtsbeistand.

Aus diesem Grund benötigt Afghanistan Unterstützung bei der Stärkung der Infrastruktur sowie der Gemeinden, in denen Vertriebene und Rückkehrer*innen leben. Nur so kann eine nachhaltige Integration oder eine freiwillige Rückführung in die Heimat gelingen.

Aktuell stehen insbesondere Nothilfsmaßnahmen im Fokus. Der UNHCR ist vor Ort und tut sein Möglichstes, um die vertriebenen Afghanen und Afghaninnen zu unterstützen. Trotz der schwierigen Sicherheitslage haben der UNHCR und seine Partnerorganisationen weiterhin Zugang zu allen Provinzen.

So unterstützt der UNHCR 2023 Flüchtlinge und Vertriebene in Afghanistan

Im Jahr 2023 hat der UNHCR bis Ende September rund 750.000 Menschen unterstützt. Der UNHCR leistete lebensrettende Nothilfe, Infrastrukturprojekte wie der Bau von Schulen, Gemeindezentren, Wassersystemen und Gesundheitszentren.

259.900 Menschen haben Bargeldhilfe erhalten.

305.100 Menschen erhielten Unterstützung in Form von Sachleistungen.

210.000 Menschen wurden mit dauerhaften Unterkünften und Notunterkünften unterstützt.

Frauen in Afghanistan sind besonders bedroht

Nach dem Sturz des Taliban-Regime im Jahr 2001 hatte sich die Situation der Frauen zunächst verbessert. Mädchen konnten zur Schule gehen, Frauen studieren, einen Beruf ausüben oder auch selbständig sein. Die Zahl der Uniabsolventinnen stieg stetig und Afghanistan konnte sogar eine erste Wirtschaftsministerin verabschieden. Doch die Erinnerung an die Schreckensherrschaft der Taliban war noch stets präsent – besonders bei den Frauen. Auch zwei Jahrzehnte nach Anbruch einer neuen Ära, war die Sicherheitslage der Frauen schwierig. Immer wieder wurden sie gezielt Opfer von Femiziden, sexualisierter Gewalt und Bombenangriffen. Es kam wiederholt zu Anschlägen auf Geburtsstationen und Mädchenschulen.

Afghanischen Frauen werden Menschenrechte systematisch entzogen.

Seit dem Abzug der internationalen Truppen und spätestens seitdem die Taliban die Hauptstadt Kabul zurückerobert haben, fürchten die Frauen nun den Verlust ihrer Selbstbestimmung, der hart erkämpften Rechte und Freiheiten. Sie haben Angst vor sexualisierter Gewalt, bangen um die Zukunft ihrer Kinder und um ihr eigenes Leben. Die Taliban verfolgen das Ziel eines patriarchalen Gewaltsystems: eines Islamischen Afghanischen Emirates, in dem das Gesetz der Scharia gilt, in der Frauen- und auch andere Menschenrechte keine Gültigkeit mehr besitzen. Aktivist*innen oder Frauenrechtler*innen sind derzeit besonders in Gefahr. Die Frauen sind in Todesgefahr und fühlen sich alleine gelassen, wissen nicht was sie tun sollen und sind den Taliban schutzlos ausgeliefert. Sie brauchen so dringend wie nie internationale Hilfe. 

Seit Monaten nehmen die Taliban den afghanischen Frauen immer mehr Rechte, um sie systematisch vom sozialen, wirtschaftlichen und politischen Leben auszuschließen. Erst schlossen die Taliban Schulen für Mädchen nach der sechsten Klasse, dann kamen Reiseeinschränkungen und die Pflicht, sich in der Öffentlichkeit verschleiern zu müssen. Im Herbst 2022 wurde zudem Frauen verboten, Turnhallen, öffentliche Bäder sowie Parks zu betreten. Ende Dezember hat die Taliban Hilfsorganisationen aufgefordert, Frauen bis auf Weiteres von der Arbeit zu suspendieren und Frauen den Zugang zu Universitäten untersagt. Darüber hinaus werden weiterhin Rechtsverletzungen gemeldet, darunter Zwangsheiraten und Gewalt sowie die Inhaftierung von Demonstrantinnen, Frauenrechtsaktivistinnen und weiblichen Sicherheitskräften. All dies, zusammen mit Konflikten und durch den Klimawandel verursachten Katastrophen, führt zur Vertreibung von Frauen und Mädchen innerhalb und außerhalb des Landes.

Jetzt spenden & helfen

Das ist wichtig für uns. Mit dem Einkommen, das wir verdienen, können wir unseren Lebensunterhalt verdienen.

Die 40-jährige Khatima, Mutter und Rückkehrerin aus Pakistan, webt einen Kelimteppich. Ihre Arbeit ist eine wichtige Einnahmequelle für die Familie, da ihr Mann aufgrund gesundheitlicher Probleme kein stetiges Einkommen einbringen kann. Der UNHCR unterstützt Khatima mit Materialien für die Herstellung der Teppiche.

Wie hilft der UNHCR in Afghanistan?

Im Jahr 2024 konnte der UNHCR bis Ende September rund 455.500 Menschen unterstützen, vor allem mit Bargeldhilfe sowie Sachgegenständen. Rückkehrer*innen hat der UNHCR Gelder für die Reparatur oder den Wiederaufbau bereitgestellt und Projekte zur Schaffung von Existenzgrundlagen durchgeführt.

In diesem Jahr konnten bisher 251.000 Menschen mit Bargeld unterstützt werden, um ihre Grundbedürfnisse zu decken. „Cash-for-Work"-Programme, die den Bau von Straßen und die Säuberung von Kanälen beinhalten, verschaffen mehr als 4.000 Arbeiter*innen ein Einkommen und unterstützen rund 28.000 Familienmitglieder. 

Nach dem Erdbeben im Oktober 2023 lieferte der UNHCR Zelte, Haushaltswaren, Hygieneartikel und unterstützte die Betroffenen mit Bargeldhilfen. 

Nachdem UNHCR eine Reihe von Empowerment-Zentren eingerichtet hatte, in denen Frauen Computer- und Programmierkurse besuchen oder Schulungen und Unterstützung bei der Führung von Unternehmen erhalten können, wurden diese Projekte oftmals von der neu zur Macht gekommenen Taliban-Führung gestoppt. Im Dialog mit den Machthabern und in Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen wird versucht Frauenhaushalte mit Projekten zur Sicherung des Lebensunterhalts weiter zu unterstützen.

Die UNO-Flüchtlingshilfe unterstützte die Arbeit in Afghanistan 2023 mit über 3,5 Millionen Euro.

Unterfinanzierung der Hilfsmaßnahmen

Die Hilfen des UNHCR in Afghanistan waren in den letzten Jahren immer wieder stark unterfinanziert. Dadurch kam es immer wieder zu Einschränkung bei geplanten Projekten und Maßnahmen. Insbesondere die Bereiche Gesundheitsdienst, Schulbau und berufliche Aus- und Fortbildung müssen immer wieder gekürzt oder ausgesetzt werden.

In 2020 musste der UNHCR bereits die Anzahl der Schulen, die beim Bau unterstützt wurden, verringern. Und auch die Unterstützung durch Bargeldhilfen und Sachleistungen für Menschen mit besonderen Bedürfnissen – darunter fallen gefährdete Frauen, Überlebende von sexueller Gewalt oder Menschen mit Behinderung – musste gekürzt oder unterbrochen werden. Dies erhöht die Anfälligkeit der äußerst schutzbedürftigen Personen für Missbrauch und Ausbeutung. Aber auch Projekte in den Nachbar- und damit Aufnahmeländern sind immer wieder gefährdet. Darunter Bargeldhilfen, die medizinische Versorgung oder die Bereitstellung von Medikamenten.

Der Bedarf für die Nothilfe für Afghanistan in 2024 liegt bei über 455 Millionen Euro, von denen bis Oktober 2024 nur 47% finanziert wurden.

Um den Menschen in Not helfen zu können, brauchen wir dringend Ihre Unterstützung! Gemeinsam können wir dabei helfen, dass Finanzierungslücken geschlossen werden und überlebenswichtige Projekte weiterlaufen können.

 

 

Schülerinnen in Afghanistan

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Abschiebungen nach Afghanistan

Lange galt Afghanistan für die Bundesregierung als sicheres Herkunftsland. Bis Anfang August 2021 hatte sich das Bundesinnenministerium noch für Abschiebungen nach Afghanistan ausgesprochen, da man befürchtete, Afghan*innen sonst zu „motivieren“ nach Europa zu kommen. Seit dem 12.08.2021 werden nun jedoch Abschiebungen aus Deutschland nach Afghanistan bis auf Weiteres ausgesetzt. Die Gefahr für die abzuschiebenden Menschen, sowie deren Begleiter*innen (auf eine abzuschiebende Personen kommen im Durschnitt drei Begleitpersonen), ist zu groß.

40 Jahre Afghanistan: Eine Chronik von Konflikt & Gewalt

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