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Zwangsrückführungen verschlimmern Afghanistans Krise

Hunderttausende Flüchtlinge aus Afghanistan kehren aus Pakistan in ihr Land zurück. Doch was sie in Afghanistan erwartet, ist ein ungewisser Neuanfang, ohne Arbeit oder Unterkunft. Erfahren Sie, wie die Rückkehr vor dem Hintergrund einer sich vertiefenden humanitären Krise das Schicksal von Hunderttausenden verändert.

Abdul traf innerhalb weniger Stunden die Entscheidung, Pakistan zu verlassen, das Land, in dem er seine gesamten 23 Jahre verbracht hatte.

Er und seine Familie, zu der auch ein kleiner Sohn gehört, packten in der Nacht in aller Eile, was sie konnten, und machten sich am nächsten Morgen auf den Weg zur Grenze nach Afghanistan. Es war nur ein Tag vor dem 1. November, dem von der pakistanischen Regierung gesetzten Stichtag, bis zu dem über eine Million Ausländer ohne Papiere in ihre Länder zurückkehren sollten. Nach Ablauf dieser Frist würden die Maßnahmen zur Durchsetzung der Einwanderungsbestimmungen angewandt werden.

Flüchtlinge wie Abdul waren offiziell von dem am 3. Oktober verkündeten Rückführungsplan der Regierung ausgenommen, doch dem UNHCR und anderen UN-Organisationen liegen Berichte vor, wonach registrierte Flüchtlinge und andere Afghan*innen, die im Besitz legaler Dokumente sind, ebenfalls von den Strafverfolgungsbehörden unter Druck gesetzt werden, Pakistan zu verlassen.

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Abdul hatte ähnliche Berichte von afghanischen Gemeindeleiter*innen in Karatschi gehört. "Es war besser zu gehen, als von der Polizei erwischt und verhaftet zu werden", sagte er. "Innerhalb von 24 Stunden hat sich unser Leben verändert."

Insgesamt sind seit der Ankündigung mehr als 350.000 Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt, und die Zahl derer, die erschöpft und hilfsbedürftig an den Grenzen ankommen, wächst weiter.

Bei Null anfangen

Pakistan beherbergt 1,3 Millionen registrierte afghanische Flüchtlinge, während weitere 840.000 eine Staatsbürgerschaftskarte besitzen, die ihnen einen gewissen Schutz gewährt. Weitere 1,5 Millionen Afghan*innen leben Schätzungen zufolge ohne Papiere in Pakistan, darunter etwa 600.000, die nach der Übernahme Afghanistans durch die de-facto-Behörden im August 2021 in das Land kamen. 

Tage nach seiner Ankunft in Afghanistan ist Abdul immer noch fassungslos über die plötzliche Abreise seiner Familie. In einem UNHCR-Zentrum in Samarkhel, in der nordöstlichen Provinz Nangarhar, haben sie eine Schutzberatung erhalten und wurden unter anderem mit einem Rückkehrgeld, Impfungen und Gesundheitschecks unterstützt. Abdul ist jedoch weiterhin besorgt über seine Zukunft. Wie viele der Ankömmlinge ist auch er zum ersten Mal in Afghanistan. Er wurde in Pakistan geboren, wo er als Ladenbesitzer arbeitete und Stoffe auf einem lokalen Markt verkaufte.

Mein Vater ging als Flüchtling nach Pakistan und fing bei Null an, so wie wir es jetzt tun."

"Ich bin der ältere Sohn und verantwortlich für die Familie. Unsere größte Sorge ist es, Arbeit zu finden", sagte er. "Mein Vater ging als Flüchtling nach Pakistan und fing bei Null an, genau wie wir jetzt."

Die Mitarbeiter des UNHCR und die humanitären Partner bemühen sich, den großen Zustrom zurückkehrender Afghan*innen, die an den beiden offiziellen Grenzübergängen zu Pakistan - Torkham in der Provinz Nangarhar und Spin Boldak in der Provinz Kandahar - ankommen, zu beobachten und zu unterstützen. Dies ist eine gewaltige Aufgabe, die noch zu der anhaltenden humanitären Krise in Afghanistan hinzukommt, von der über zwei Drittel der Bevölkerung betroffen sind.

Am Grenzübergang in Spin Boldak ist der achtfache Familienvater Assadullah gerade mit einem bunt bemalten, mit Hab und Gut beladenen Lastwagen aus Pakistan angekommen. Er verließ Afghanistan im Alter von acht Jahren nach der sowjetischen Invasion 1979 und verbrachte 44 Jahre in Quetta, Pakistan. Trotz der vielen Jahre, die er dort verbracht hat, hatte er das Gefühl, dass er keine andere Wahl hatte, als zu gehen.

Wir dachten, es würde besser werden, aber es wurde von Tag zu Tag schlimmer".

"In letzter Zeit haben wir so viele Schikanen erlebt. Sie durchsuchten unsere Häuser, verhafteten uns auf der Straße, nahmen unser Geld und akzeptierten unsere Flüchtlingskarten nicht. Wir dachten, die Dinge würden sich bessern, aber sie wurden von Tag zu Tag schlimmer."

Die von der pakistanischen Regierung verhängten Beschränkungen bedeuten, dass die Rückkehrer nicht mehr als 50.000 Rupien (etwa 160 Euro) in bar mitbringen dürfen. Wie Abdul ist auch Assadullah besorgt über einen Neuanfang in Afghanistan. "Wir haben kein Haus, keine Arbeit, nichts. Aber wenigstens herrscht hier Frieden, und niemand schikaniert uns".

Konkurrierende humanitäre Bedürfnisse

In den letzten Jahren war die Zahl der afghanischen Flüchtlinge, die sich für eine Rückkehr im Rahmen des UNHCR-Programms zur freiwilligen Rückkehr entschieden haben, relativ gering - 6.424 im Jahr 2022. In diesem Jahr haben sich mehr Flüchtlinge an den UNHCR gewandt und um Rückkehr gebeten. Die Zahl der Flüchtlinge stieg im Oktober nach der Ankündigung der Rückkehrfrist durch Pakistan dramatisch an und erreichte Mitte November 24.000. Das Programm des UNHCR unterstützt die zurückkehrenden Flüchtlinge unter anderem mit Schutzmaßnahmen und Bargeldzuschüssen.

Viele Neuankömmlinge, wie der zwölffache Vater Obaidullah, wohnen derzeit bei Verwandten in Jalalabad, bis sie eine Wohnung und Arbeit finden.

"Ich habe eine große Familie und mache mir Sorgen, wie ich sie ernähren soll und wie wir eine angemessene Wohnung finden können. Es fällt mir schwer, eine tägliche Arbeit zu finden."  

Sein ältester Sohn, Imran, versucht, einen Pass zu bekommen, um Arbeit zu finden und die Familie zu unterstützen. Seine englischsprachige Tochter, die 18-jährige Kainat, ist über den Umzug am Boden zerstört. "Ich habe in Pakistan studiert und mein Traum war es, Ärztin zu werden. Diese Möglichkeit ist mir in Afghanistan verwehrt", sagte sie.

  • Auto
    © UNHCR/Oxygen Empire Media Production

    Nach der Ankündigung der pakistanischen Behörden vom 3. Oktober, rund 1,7 Millionen Menschen ohne Papiere, vor allem Afghan*innen, in ihr Heimatland zurückzuschicken, ist die Zahl der Einreisen nach Afghanistan stark angestiegen. Mehr als 278.000 Menschen sind aufgrund dieser Richtlinie in ihr Heimatland zurückgekehrt.

  • Busse
    © UNHCR/Oxygen Empire Media Production

    Die Menschen, die an den Grenzen ankommen, sind erschöpft und verängstigt und sehen sich mit Entbehrungen und Risiken konfrontiert. Viele wurden vertrieben, inhaftiert und sehen einer ungewissen Zukunft entgegen. Mit dem nahenden Winter wird der Bedarf voraussichtlich noch weiter steigen.

  • Kinder
    © UNHCR/Oxygen Empire Media Production

    Frauen und Mädchen sind außerdem in ihrer Bewegungsfreiheit, ihrer Bildung und ihrer Teilnahme am öffentlichen Leben eingeschränkt.

  • Anmeldung
    © UNHCR/Oxygen Empire Media Production

    Der UNHCR hat gemeinsam mit Partnern und anderen Organisationen seine Arbeit und Präsenz an den offiziellen Grenzübergängen Afghanistans verstärkt, da Zehntausende Afghan*innen aus Pakistan ankommen.

Die abrupte Rückkehr Hunderttausender Afghan*innen kurz vor dem Wintereinbruch dürfte die ohnehin schon schwere humanitäre Krise des Landes noch verschärfen, da der Wettbewerb um die knappen Ressourcen - darunter Wohnraum, Gesundheitsdienste und Arbeitsplätze - noch größer wird. Gleichzeitig haben die humanitären Organisationen mit erheblichen Finanzierungsengpässen zu kämpfen und versuchen, auf die verheerenden Erdbeben in der westlichen Provinz Herat im Oktober zu reagieren.

"Die Massenankünfte hätten zu keinem schlechteren Zeitpunkt erfolgen können", sagte der UNHCR-Vertreter in Afghanistan, Leonard Zulu. "Wir haben es mit vielen konkurrierenden humanitären Bedürfnissen zu tun und nun mit einer riesigen Zahl von Neuankömmlingen, von denen viele keine familiäre Unterstützung oder Bewältigungsmechanismen hier haben. Das sorgt für einen sehr düsteren Winter und eine schwierige Zeit."

Die De-facto-Behörden und die afghanische Bevölkerung unterstützen die Neuankömmlinge mit Zelten, Bargeld für Familien, Transportmitteln, Lebensmitteln und anderen Dingen, doch die Herausforderungen sind enorm.

 

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