Im Schatten des Donners

Es gibt diese Momente, in denen ein lauter Knall alles verändert.
Für die 20-jährige Viktoriia war es eine Kette von etwa zwanzig Explosionen – keine hundert Meter von ihrem Haus entfernt. Mit zwei kleinen Kindern und schwanger mit dem dritten hatte sie die Hoffnung lange nicht aufgeben wollen, in ihrem Zuhause in der Region Dnipropetrowsk bleiben zu können.
Doch als ihr Sohn bei jedem lauten Geräusch zusammenzuckte – selbst, wenn in der Küche nur etwas herunterfiel – wurde ihr klar: Es gibt keine andere Wahl mehr.
Ich habe lange gezögert, aber als diese Angriffe begannen, wurde mir klar, dass wir sofort wegmüssen“
erzählt sie. Ihr Ehemann ist beim Militär, sie selbst ist nun allein mit den Kindern unterwegs. Die Entscheidung, das Zuhause zu verlassen, war keine freiwillige.
Tausende auf der Flucht – die Front rückt näher
Viktoriia und ihre Kinder gehören zu den Zehntausenden Ukrainerinnen und Ukrainern, die in den letzten Monaten aus Gebieten entlang der mehr als 1.000 Kilometer langen Frontlinie im Osten und Süden des Landes fliehen mussten.
Seit Mai 2024, als russische Streitkräfte eine neue Offensive in der Region Charkiw starteten, haben ukrainische Behörden in mehreren Gebieten verpflichtende Evakuierungen angeordnet – zuletzt in der Region Dnipropetrowsk, wo die Kämpfe sich weiter ausbreiten. Dort liegt die Frontlinie nur noch wenige Kilometer von bewohnten Orten entfernt.
Schätzungen zufolge sind in diesem Jahr bereits über 190.000 Menschen aus diesen Gebieten geflohen – zusätzlich zu den Millionen, die seit Beginn der großangelegten Invasion 2022 oder bereits seit dem Konfliktbeginn 2014 ihr Zuhause verlassen mussten.

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In Sicherheit – aber nicht sicher
Die meisten Menschen wollen möglichst nah an ihrer Heimat bleiben. Laut Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) verblieb mehr als die Hälfte der Binnenvertriebenen im vergangenen Jahr in derselben Region.
Auch Viktoriia floh nur bis nach Dnipro, dem Verwaltungszentrum der Region Dnipropetrowsk. Sie wollte, dass ihre Kinder sich nicht völlig entwurzelt fühlen. In einem Notunterkunftszentrum bekam sie erste Hilfe – darunter lebensnotwendige Dinge, da sie bei der Flucht kaum etwas mitnehmen konnte. Die UNHCR-Partnerorganisation Proliska half ihr außerdem bei der Vermittlung medizinischer Versorgung während der Schwangerschaft und bei der Beantragung staatlicher Sozialleistungen.

Heute lebt Viktoriia mit ihren Kindern in einer kleinen Mietwohnung – es fehlt an fast allem. Nicht ein mal einen Kühlschrank haben sie. Geld ist knapp, das Leben bleibt schwer. Und doch strahlt sie eine enorme Stärke aus:
Wenn ich nur trauern und weinen würde – was wäre dann mit meinen Kindern? Sie spüren alles. Und mein ungeborenes Baby fühlt auch meine Gefühle. Natürlich gibt es Tage, an denen ich am liebsten aufgeben würde. Aber was ist dann mit meinen Kindern?“
Wohnraum: das drängendste Problem
Erschwinglicher und geeigneter Wohnraum ist eine der dringendsten Herausforderungen für Geflüchtete. Besonders für Menschen mit eingeschränkter Mobilität, ältere Personen oder Menschen mit Behinderungen, die oft noch in Einrichtungen leben, ist die Evakuierung und anschließende Unterbringung besonders schwierig.
Und selbst in relativer Sicherheit leben viele Vertriebene weiterhin unter der ständigen Bedrohung durch Drohnen, Luftangriffe und Raketenbeschuss. Die Eskalation der Angriffe in den letzten Monaten hat auch Städte getroffen, die zuvor als sicher galten.
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Ein Gebet in der Nacht
Die 37-jährige Nadiia floh bereits 2022 mit ihren beiden Töchtern aus ihrem Dorf in der Nähe der Frontlinie in der Region Saporischschja in die gleichnamige Stadt.
Doch im Mai 2025 wurde selbst diese Zuflucht zum Ziel schwerer Angriffe – in einem der schlimmsten Luftschläge seit Kriegsbeginn. Zuerst dachte sie, die Drohnen würden nur an ihnen vorüber fliegen. Doch dann: die erste Explosion. Sie hatte keine Zeit mehr, mit den Kindern den Schutzraum zu erreichen. Stattdessen drückten sie sich im Hausflur an die Wand – dem sichersten Ort in ihrer Wohnung.
Wir waren voller Angst. Ich habe einen Talisman, den ich halte, wenn ich mich fürchte. Ich habe ein Gebet immer wieder gesprochen, aber die Explosionen hörten nicht auf.“

Die Familie überlebte unversehrt, aber die Wohnung wurde beschädigt. Die Organisation Proliska unterstützte sie mit Notfallmaterialien – eine Hilfe, die UNHCR regelmäßig in Angriffszonen bereitstellt, gemeinsam mit psychosozialer Unterstützung, rechtlichem Beistand und Bargeldhilfen für akute Notlagen.
Die humanitäre Lage ist dramatisch – und unterfinanziert
Derzeit benötigen 12,7 Millionen Menschen in der Ukraine humanitäre Hilfe – viele davon leben in Frontgebieten oder unter ständigem Beschuss. Über 2,8 Millionen Binnenvertriebene suchen weiterhin nach Schutz, Sicherheit und einer Perspektive.
Trotz dieser riesigen Notlage ist der humanitäre Einsatz des UNHCR nur zu 41 Prozent finanziert – und das Jahr neigt sich bereits dem Ende zu.
Was wir tun können
Die Geschichten von Viktoriia, Nadiia und Tausenden anderen sind kein Einzelfall. Sie stehen stellvertretend für die Millionen Menschen, deren Leben durch den Krieg in der Ukraine aus den Fugen geraten ist – Menschen, die fliehen, kämpfen, hoffen und überleben.
Sie brauchen Unterstützung – nicht morgen, sondern jetzt.
Jede Unterstützung bedeutet ein Stück Menschlichkeit
Manchmal ist genau dies der Funke, der Hoffnung lebendig hält – selbst im Schatten des Donners.
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