„Nicht wegsehen“ – eine Reise an die Grenze des Ertragbaren
Seit 2023 tobt im Sudan ein Bürgerkrieg, der eine der größten humanitären Katastrophen unserer Zeit ausgelöst hat. 12 Millionen Menschen sind auf der Flucht – 1,3 Millionen von ihnen sind in den Tschad geflohen.
Als Vertreterin der UNO-Flüchtlingshilfe bin ich im November 2025 gemeinsam mit dem Nationalen Direktor Mark Ankerstein in den Tschad gereist, um einen unmittelbaren Eindruck von der Situation im Land und der Hilfe des UNHCR zu gewinnen.
Auf dem Weg nach Adré – die Grenze zwischen Hoffnung und Verzweiflung
Während des 13-stündigen Flugs von Düsseldorf nach N’Djamena, der Hauptstadt des Tschad, habe ich viel Zeit, mir Sorgen zu machen. Was wird uns erwarten? Wie groß wird das Leid der Menschen sein?
Am frühen nächsten Morgen geht es weiter in den Osten des Landes, nach Adré, direkt an die Grenze zum Sudan.
Schon die Nutzung des Humanitären Flugdienstes der Vereinten Nationen (UNHAS) macht klar, wie schwierig das Arbeiten in diesem Land ist. Unter mir breitet sich eine endlose Trockensavanne:
- beige und brüchig,
- durchzogen von ausgetrockneten Flussadern,
- mit kleinen grünen Tupfern, die sich an Flussreste klammern,
- winzige Pfade, die sich wie Fäden durch die Landschaft ziehen.
Die UNHAS-Maschinen sind hier unverzichtbar – zu groß die Entfernungen, zu schlecht die Wege. Die meisten Orte im Osten des Tschad sind nur über holprige Sandpisten erreichbar.
Als wir in Adré landen, erwartet uns eine kleine staubige Landebahn und ein improvisiertes Flughafengebäude. Der Präfekt begrüßt uns freundlich und betont – fast trotzig –, dass Flüchtlinge im Tschad willkommen sind. Aber ohne internationale Unterstützung gehe das Land unter.
An der Grenze zwischen Hoffnung und Verzweiflung
Adré ist ein pulsierender Handelsort, voll von Eselkarren, Hütten, Marktleben. Die Grenze selbst ist jedoch kaum mehr als ein Tor aus Metallstangen. Dort erfahren wir, dass allein am Morgen 50 Flüchtlinge angekommen sind – Frauen, Kinder, ältere Menschen. Das Militär kontrolliert sie auf Waffen und lässt sie dann passieren.
Ich bin tief beeindruckt von dieser humanitären Großzügigkeit:
Ein Land, das selbst so wenig hat, hält seine Türen offen.“
Im Registrierungszentrum übernimmt der UNHCR Aufgaben, die der Staat selbst nicht leisten kann. Die Registrierung ist überlebenswichtig – sie öffnet den Zugang zu Lebensmitteln und Schutz. Wie wichtig sie ist, zeigt sich im Gespräch mit vier Geflüchteten, die seit Tagen unterwegs waren.
Sie berichten, dass ihnen auf der 10-tägigen Flucht aus El Faschir das Wenige, was sie mitnehmen konnten, geraubt wurde. Familien wurden auseinandergerissen: So hat Ambusa, 23 Jahre alt, zum Beispiel ihren Mann seit drei Monaten nicht gesehen; Andere wurden von ihren Familien getrennt und warten verzweifelt auf Nachrichten. Alle berichten von Gewalt – mehr sagen sie nicht, vielleicht auch, weil es zu viel für diesen Moment ist.
Warten im Niemandsland
In bedrückter Stimmung verlassen wir das Registrierungszentrum und gelangen zu einem von Mauern begrenzten größeren Areal, wo dicht gedrängt in der immer heißer werdenden Spätmittagssonne viele Geflüchtete - nur teilweise geschützt durch provisorisch angebrachten Plastikplanen - darauf warten, vom UNHCR in Flüchtlingscamps im Landesinneren übergesiedelt zu werden.
Wir sind schnell von vielen aufgeregten und neugierigen Kindern umringt, so dass es schwierig ist, den Erläuterungen des UNHCR-Mitarbeiters zu folgen. Ich versuche den Kindern Aufmerksamkeit zu schenken, gleichzeitig sehe ich: Die Trucks für den Transport der kärglichen Habe der Geflüchteten stehen bereit.
Doch die Kapazitäten reichen nicht aus, um alle Familien zügig in Sicherheit zu bringen.
Das Ausmaß des Elends wird noch sichtbarer, als wir eine spontan entstandene Flüchtlingssiedlung vor Ort besuchen.
Von einer kleinen Anhöhe aus sehen wir:
- eng gedrängte Hütten aus abgenutzten Planen und Ästen,
- Müll und Unrat dazwischen.
Hier leben 235.000 Menschen, überwiegend aus dem Sudan.
Es gibt es keine strukturierte Versorgung und keine langfristigen Investitionen. Manche wollen bewusst in Grenznähe bleiben, in der Hoffnung, Arbeit im quirligen Adré zu finden oder nahe an ihrer Heimat zu bleiben. Dafür nehmen sie Unsicherheit, Wasserknappheit und hygienische Mängel in Kauf.
Licht, Dunkelheit und bedrückende Stille
Am späten Nachmittag brechen wir auf nach Farchana. Unsere Jeepkolonne wird aus Sicherheitsgründen von einem Militärfahrzeug begleitet.
Die Sonne versinkt in einem spektakulären Farbspiel. Dann wird es schnell dunkel – die Konturen der Savanne verschwinden, nur ab und zu leuchtet ein Feuer vor einer Hütte auf.
Die Fahrt dauert zwei Stunden, gefühlt aber länger. Alles, was ich sehe, atmet Härte und Mangel.
Im Guesthouse des UNHCR angekommen, treffe ich am Abend lokale Mitarbeitende verschiedener UN-Organisationen. Ihr Engagement beeindruckt mich zutiefst: Sie arbeiten mit sehr begrenzten Mitteln und Möglichkeiten – und trotzdem mit ungebrochener Entschlossenheit.
Zwischen Struktur und Mangelverwaltung
Am nächsten Tag besuchen wir das vom UNHCR betreute Flüchtlingscamp Farchana. hier leben mehrere zehntausend sudanesische Geflüchtete sudanesische Geflüchtete nahe einer Ortschaft mit etwa 15.000 Einwohner*innen.
Das Camp besteht aus Reihen von UNHCR-Zelten und Hütten, mit Kochstellen, Toilettenanlagen und Wasserstellen. Es gibt Geld- oder Nahrungsbeihilfen, allerdings nicht mehr in ausreichender Maße. Auch hier hören wir, dass die Familien am Ende des Tages nicht satt geworden sind.
Besonders schwer wiegt, dass wegen geschrumpfter Budgets die Lehrergehälter nicht mehr bezahlt werden können. Der Schulbesuch wurde eingestellt. Dies ist ein herber Einschnitt für die Zukunftsperspektive. Die Bildung der Kinder ist auch aus Sicht der Flüchtlinge existenziell für die Hoffnung auf ein besseres Leben.
Nachhaltige Zusammenarbeit von Flüchtlingen und lokaler Bevölkerung
Trotz der Not gibt es auch ermutigende Beispiele.
Wir besuchen ein Projekt zur Gewinnung von Wasser, mit dem die Bewässerung die Bewirtschaftung von Feldern in verschiedenen Arealen ermöglicht und das Camp versorgt wird.
Zunächst gelangen wir zu einem riesigen ausgetrockneten sandigen Flussbett, das die Trockenheit und den Wassermangel anschaulich macht. Hier erklären uns der Ortsvorsteher und die Präsidentin des Flüchtlingskomitees zu Recht stolz, wie Wasser in der Regenzeit durch eine technische Konstruktion verstärkt in den Boden geleitet und dann über verschiedene Brunnen entnommen wird.
Dies geschieht durch den Bau von tief in den Boden reichenden Stahlbetonmauern, mit der die Fließgeschwindigkeit des Wassers reduziert wird und größere Mengen des Wassers in den Boden sickern können. Das Grundwasser wird so in der kurzen Regenzeit vermehrt aufgefüllt, sodass der Anbau von Gemüse, Getreide und Erdnüssen maßgeblich gesteigert werden konnte.
Später sehen wir die Wirkung: eine grüne Zone mit gut bestellten Feldern. 120 Flüchtlingsfamilien und einige Angehörige der lokalen Bevölkerung versorgen sich hier selbst und können bei guter Ernte etwas verkaufen. Ihr Stolz und ihre Zuversicht sind spürbar.
Der UNHCR ist das Rückgrat der humanitären Hilfe – doch ihm fehlen die Mittel
Auf dem Weg nach Abeche stoppen wir noch in zwei weiteren Flüchtlingscamps. Auch dort hinterlässt die Unterfinanzierung bereits tiefe Spuren.
Die Versorgung und Logistik sind überlastet. Wir gelangen zu mehreren nicht mehr für den Unterricht genutzten Schulgebäuden, wo dichtgedrängt Flüchtlinge untergebracht sind. Die Blicke vieler Kinder wirken leer, die Frauen fast hoffnungslos. Noch während unseres kurzen Besuchs beraten die mit uns reisenden Mitarbeiter*innen des UNHCR mit den lokalen Kolleginnen und Kollegen, wie diese Situation verbessert werden könnte. Sehr schwierig angesichts der geschrumpften Mittel und der wachsenden Zahl der Schutzsuchenden im Tschad!
Der UNHCR ist bemüht, die Versorgung von Millionen Menschen in Gang zu halten.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk ist im Tschad – wie überall auf der Welt – das Rückgrat der humanitären Struktur: Logistik, Registrierung, Schutz, Bildung, Wasser, Unterkünfte.
Doch die drastischen globalen Mittelkürzungen bedrohen das Überleben der Menschen, die vor Krieg und Gewalt fliehen.
Diese Reise hat mir gezeigt, wie nah Hoffnung und Verzweiflung beieinanderliegen – und wie sehr der UNHCR kämpfen muss, um zumindest das Allernötigste bereitzustellen.
“Wir dürfen nicht wegsehen. Wir müssen handeln – jetzt!” Sehr eindrucksvoll hat es Jens Hesemann, Assistant Representative des UNHCR im Tschad, vor Ort formuliert:
Do, whatever works“.
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Die humanitäre Hilfe steckt in einer schweren Finanzierungskrise.
Weltweit verlieren Flüchtlinge den Zugang zu lebenswichtiger Hilfe – weil das Geld fehlt.
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