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Vorurteile entkräften, Geflüchtete stärken

Beim Sächsischen Flüchtlingsrat erhalten Geflüchtete ein flächendeckendes Beratungsangebot: von der Asylverfahrensberatung über das Bleiberecht und die Duldung bis hin zur Unterstützung bei der Integration in den deutschen Arbeitsmarkt. Er arbeitet auch mit verschiedenen lokalen Initiativen und Organisationen zusammen – und trotzt damit Vorbehalten und Ängsten gegenüber Flucht und Migration. Mit Dave Schmidtke sprechen wir über die aktuellen Herausforderungen, aber auch über Chancen seines Arbeitsalltags.

Lieber Herr Schmidtke, welche Angebote beinhaltet die Arbeit des Sächsischen Flüchtlingsrat und an wen wenden sie sich?

Unsere Arbeit beginnt mit der Ankunft von Geflüchteten und den ersten Schritten danach, wie der Vorbereitung auf das Asylverfahren und die Betreuung währenddessen. Das Herzstück unserer Arbeit ist aber das Thema Bleiberecht. Im Gegensatz zu vielen anderen NGOs in Sachsen ist unser Angebot nicht vom Aufenthaltsstatus abhängig. Ein wichtiges Projekt ist beispielsweise „Perspectives“, das sich auf Menschen mit Duldung konzentriert. Hierbei versuchen wir, ihnen einen Spurwechsel zu ermöglichen, beispielsweise vom Duldungsstatus ins Chancenaufenthaltsrecht oder durch eine Beschäftigungsduldung eine langfristige Aufenthaltsperspektive zu schaffen.

Ein großer Schwerpunkt liegt auch auf der Arbeitsmarktintegration. Dazu haben wir mehrere Projekte initiiert, die sich zum Beispiel mit der Anerkennung von Schul- und Berufsabschlüssen beschäftigen oder Menschen dabei unterstützen, von einem Praktikum in eine Ausbildung oder feste Beschäftigung zu wechseln. Das Projekt EDA (Empowerment Digitalisierung am Arbeitsmarkt) ist speziell für geflüchtete, alleinerziehende Frauen konzipiert. Es erleichtert den Einstieg in den Arbeitsmarkt durch den Umgang mit digitalen Medien. Anschließend vermitteln wir die Teilnehmerinnen in andere Projekte oder direkt zu potenziellen Arbeitgebern. Dieses Projekt ist sehr gefragt und in ganz Sachsen ausgebucht.

Wie werden die Menschen auf das Angebot aufmerksam?

Wir als Flüchtlingsrat haben Büros in Dresden, Chemnitz und Leipzig. Das heißt, die Menschen, die in den drei urbanen Zentren in Sachsen wohnen oder in der unmittelbaren Umgebung können direkt Termine bei uns ausmachen oder in den offenen Sprechstunden vorbeikommen. Wir sind auch in einem breiten Netzwerk im ganzen Bundesland unterwegs: Unser Verein existiert seit über 30 Jahren in Sachsen und wir haben sehr viele Partnerorganisationen und Vereine, die auf lokaler Ebene ähnlich vorgehen wie wir. Dorthin können wir die Menschen dann vermitteln. Und wir bieten in abgelegeneren Landkreisen, also dort, wo ein persönliches Angebot nicht möglich ist, auch Online-Beratungen an. 

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Thumbnail Video Sächsischer Flüchtlingsrat

 

Was brauchen Ihre Klient*innen am dringendsten, wenn sie in Deutschland ankommen?

Auch wenn die Bedarfe je nach Lebenssituation und Herkunftsland recht individuell sind, stellen die Menschen im ersten Bedarfsgespräch meist die gleichen Fragen: Wann bekomme ich meinen Aufenthalt? Wie lange sichert er mir meine Bleibeperspektive und wie komme ich an Arbeit? Die Menschen möchten sehr schnell selbstständig sein und Arbeit ist dabei ein wichtiges Vehikel, um in der deutschen Gesellschaft als unabhängig und gleichberechtigt wahrgenommen zu werden. Wir liefern die Grundlage dafür, indem wir alle Informationen zur Sicherung des Aufenthalts zur Verfügung stellen, und das in der jeweiligen Herkunftssprache.

Daneben ist auch die Vermittlung in die lokalen Communities aus den entsprechenden Heimatländern ein relevanter Baustein, genauso wie ehrenamtliche Patenprogramme, die erste Begegnungen mit der deutschen Gesellschaft ermöglichen. Denn auch Einsamkeit ist ein großes Problem für viele Geflüchtete, insbesondere durch die Erfahrungen in den Erstaufnahmeeinrichtungen – ohne Privatsphäre und Handlungsspielraum, ohne soziale Bezugspunkte. 

Es ist extrem wichtig, dass die Menschen rauskommen aus der Gedankenspirale, in der die Traumata der Flucht immer wieder durchdacht werden und Unsicherheiten entstehen, ob man überhaupt in Deutschland eine Perspektive hat.

Hat dieses Gefühl der Unsicherheit auch etwas mit der aktuellen Stimmung in Sachsen zu tun?

In Sachsen wird jährlich eine Befragung zu den politischen Einstellungen der Bevölkerung durchgeführt, der sogenannte Sachsen-Monitor. Die Ergebnisse für 2023 sind erschreckend: Die Mehrheit der sächsischen Bevölkerung sieht sich durch Ausländer*innen bedroht und nimmt ihre Umgebung als überfremdet war. Der Populismus, der Migration nur einseitig beleuchtet, hat also bereits jetzt gefährliche Konsequenzen: Den Menschen, die in ihrem persönlichen Umfeld überhaupt keinen Kontakt zu Geflüchteten haben, ist erfolgreich Angst eingejagt worden. Dies führt zu einem angespannten Miteinander und einer steigenden Zahl von Übergriffen auf Geflüchtete.

Diese Bedingungen sind denkbar schlecht für Menschen, die nach einer Flucht neu anfangen wollen. Viele Geflüchtete, die eigentlich gute Chancen auf eine sichere Zukunft in Sachsen hätten, verlassen den Freistaat, sobald sie können. Dies liegt an den negativen Erfahrungen, die sie hier gemacht haben, einschließlich institutionellem Rassismus bei den Behörden, besonders in ländlichen Gebieten.

Welchen Herausforderungen begegnen Sie in Ihrem Arbeitsalltag, die Geflüchteten das Ankommen erschweren?

Ein großer Kritikpunkt, den wir als Flüchtlingsrat immer wieder anführen, ist der angewandte Ermessensspielraum bei der Vergabe des Aufenthaltsstatus von Geflüchteten. Wir sehen zum Beispiel, dass in den urbanen Zentren Beschäftigungs- und Ausbildungsduldungen viel häufiger ausgestellt werden als im ländlichen Raum. Die Kriterien sollten entweder zugunsten der Antragstellenden ausgelegt werden oder zumindest zentral definiert sein, damit unter ähnlichen Voraussetzungen die gleichen Entscheidungen getroffen werden.

Das aktuelle gesellschaftliche Klima in Sachsen wirkt sich auch auf die Integration in den Arbeitsmarkt aus: Bei unserer Arbeit haben wir immer wieder mit Unternehmen zu tun, die sich immer noch dagegen sperren, Geflüchtete außerhalb von Hilfstätigkeiten aufzunehmen und ihre Qualifizierung im Ausland anzuerkennen. Es gibt in Sachsen natürlich auch positive Beispiele, aber leider sind die negativen Stimmen aktuell lauter und beeinflussen dadurch potenzielle Arbeitgeber*innen. Was dabei viele vergessen oder einfach nicht erwähnen: Der Wohlstand, den wir aktuell hier in Sachsen und in Deutschland haben, der kann nur gesichert werden, wenn die Menschen, die zu uns kommen, auch dauerhaft hier bleiben.

Und da hilft es uns sehr wenig, wenn politische Stimmen sagen, dass man auch nach Syrien und Afghanistan abschieben sollte. Abgesehen davon, dass es allein aus bürokratischer Sicht unrealistisch ist, diese Abschiebungen durchführen zu können, ist das eine komplette Verklärung der Situation in den Ländern. Solche Aussagen sind für unsere Arbeit immer wieder ein herber Rückschlag. Und das zeigt sich auch in der Beratung von den Geflüchteten: Wie sie in den Behörden behandelt werden und wie sie im Alltag behandelt werden.

Ich wünsche mir, dass in der Gesellschaft auch die Ängste und Sorgen von Geflüchteten wahrgenommen werden und von den Menschen, die sich hier für ein demokratisches Miteinander einsetzen. Migration ist Teil der Menschheitsgeschichte und gerade jetzt, wo wir viele globale Krisen gleichzeitig erleben, ist es fatal, unbegründete Ängste zu schüren, die eine gemeinsame Basis verhindern.“

Wie blicken Sie auf die anstehende Landtagswahl? 

Wir gehen mit großer Sicherheit davon aus, dass durch das erwartete neue politische Kräfteverhältnis lokale Integrationsangebote künftig nicht mehr finanziert werden. Das heißt, dass natürlich auch die Stimmungsmache gegenüber Geflüchteten schärfer werden wird und dass sich sehr viele Menschen dann auch auf politischer Ebene in ihren Ressentiments und rechtsextremen Einstellungen bestätigt fühlen. Unsere Befürchtung ist, dass Hass und Übergriffe auf Geflüchtete auch im nächsten Jahr stattfinden werden und sogar noch zunehmen könnten.

Dieser Entwicklung, gerade im ländlichen Raum, setzen wir aktuell Angebote entgegen, um den Menschen dort eine Bleibeperspektive zu ermöglichen, auch wenn sie Gegenwind von den regionalen Institutionen erhalten. Es gibt dort natürlich Menschen, die auch in einem sächsischen Dorf, in der sächsischen Kleinstadt schon sesshaft geworden sind und dort gerne bleiben wollen, weil sie sich dort ein Umfeld, einen Freundeskreis aufgebaut haben. Diese Menschen unterstützen wir mit Beratungsangeboten und machen Aufklärungskampagnen, zusammen mit den lokalen Initiativen vor Ort. Das werden wir auch die nächsten Wochen und Monate forcieren. Das heißt, immer wieder unter der Überschrift „Fakten statt Populismus“ über Flucht aufklären, zur Realität von Fluchtursachen und was Menschen hier in Sachsen erleben.

Was kann die Zivilgesellschaft tun, um Geflüchteten das Ankommen zu erleichtern?

Die Zivilgesellschaft, die sich für Geflüchtete einsetzt, ist in Sachsen leider oft in der Minderheit. Unser Hauptanliegen ist es daher, dass sich Menschen untereinander vernetzen, um keine isolierten Parallelstrukturen entstehen zu lassen. Stattdessen sollen vorhandene Ressourcen gebündelt werden, um sich gegenseitig zu stärken und zu unterstützen. Und es ist uns wichtig, dass der Fokus nicht nur auf Integration liegt, sondern auf einem gegenseitigen Austausch. Dazu gehört auch, kulturelle Feste und Traditionen von Geflüchteten zu fördern, wie das Zuckerfest oder das afghanische Neujahrsfest Nowruz. Wir möchten, dass diese Feierlichkeiten von der Gesellschaft wahrgenommen und unterstützt werden, um ein echtes Miteinander zu fördern. 

Das schließt auch die Selbstorganisation, das Empowern von Geflüchteten mit ein: Wir wollen sie ermutigen und dazu befähigen, hier als selbstständige, politische Individuen agieren zu können. Man unterstützt die Menschen nicht, indem man ihnen die Hilfe abnimmt, die sie selbst leisten könnten. Sie wollen ihre Zukunft selbst gestalten, und davor sollte man immer Achtung haben.

Gemeinsam für den Flüchtlingsschutz in Deutschland

Während ihrer Projektbesuchen bei verschiedenen deutschen Trägern im ostdeutschen Raum sprach die Vorstandsvorsitzende der UNO-Flüchtlingshilfe, Dr. Ricarda Brandts auch mit dem Team des Sächsischen Flüchtlingsrat über aktuelle Herausforderungen und die gemeinsame Arbeit. Im Rahmen der nationalen Projektförderung unterstützt die UNO-Flüchtlingshilfe im Jahr 2024 vier Projekte des Sächsischen Flüchtlingsrats mit insgesamt ca. 119.000 Euro.

MEHR ZUR NATIONALEN PROJEKTFÖRDERUNG

Gibt es eine Geschichte oder ein bestimmtes Schicksal, was Ihnen in Ihrer Arbeit noch in besonderer Erinnerung ist?

Natürlich gibt es viele prägende Begegnungen, aber ich möchte besonders von Despina erzählen. Sie floh mit ihrer Familie aus Albanien und war bereits gut integriert, besuchte ein Gymnasium und stand kurz vor ihrem Abschluss. Trotz ihrer Mukoviszidose, die in Albanien nicht angemessen behandelt werden konnte, wurde die Familie letztes Jahr abgeschoben. Gemeinsam mit dem Mukoviszidose Verband Deutschland und dem Uniklinikum Dresden haben wir eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der wir betont haben, dass Despina ohne angemessene medizinische Versorgung nicht lange überleben wird. Das Oberverwaltungsgericht in Bautzen erkannte schließlich den Integrationsprozess der Familie an und erklärte die Abschiebung als rechtswidrig und Despina und ihre Familie duften zurückkehren. Heute geht es ihr gut, sie setzt ihre Ausbildung fort und hat sich gesundheitlich erholt. 

Es hat mich sehr berührt zu sehen, wie oft bei Abschiebungen in Sachsen über gesundheitliche Aspekte hinweggesehen wird und Menschen mit schweren Erkrankungen in Fliegern sitzen. Und dass es vor allem die Menschen trifft, die gar keine Gefährdung darstellen oder Straftaten begangen haben, sondern diejenigen, auf die leicht zugegriffen werden kann.

Was macht Sie in Ihrem Job glücklich?

Wenn ich sehe, dass unsere Kritik an Missständen in Erstaufnahmeeinrichtungen in Sachsen tatsächlich zu Verbesserungen führt oder sogar zur Schließung von unzumutbaren Unterkünften, wie etwa einer Turnhalle für ukrainische Geflüchtete ohne Privatsphäre. Ich freue mich auch, wenn die Fakten, die wir der Mehrheitsbevölkerung in Sachsen vermitteln möchten, tatsächlich ankommen und ich durch reale Beispiele vermitteln kann, wie wichtig und wertvoll diese Integration für unsere Gesellschaft ist – etwa durch die Tatsache, dass der Großteil von ausländischen Ärzten und Ärztinnen in Deutschland mittlerweile Menschen aus Syrien sind.

Was mich auch glücklich macht ist, wenn unsere Arbeit politische Reaktionen hervorruft. Ein Beispiel hierfür ist eine Frau aus dem Kosovo, die uns kontaktierte, weil sie Schwierigkeiten hatte, einen deutschen Pass zu erhalten. Sie musste nicht nur kosovarische, sondern auch serbische Dokumente vorlegen, was aufgrund der politischen Situation unmöglich war, da Serbien den Kosovo nicht anerkennt. Nachdem wir diese Ungerechtigkeit öffentlich gemacht hatten und die Frau aus dem Kosovo viele Interviews gab, führte dies zu einem Erlass des Innenministeriums, wonach Menschen aus dem Kosovo für die deutsche Staatsbürgerschaft keine serbischen Dokumente mehr vorlegen müssen. Diese direkten Auswirkungen unserer Kritik machen mich sehr zufrieden.

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