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6 Monate Ukraine-Krieg: Hoffen, bangen und die Pflicht zu helfen

Oksana wuchs im westlichen Teil der Ukraine auf und befand sich zum Beginn des Krieges in Deutschland. Sie erzählt von den Sorgen und Ängsten, die sie aufgrund des Krieges erleben musste und schildert, wie den ukrainischen Menschen geholfen werden kann.

Oksana Petruk wuchs im westlichen Teil der Ukraine, in den Karpaten, auf. Für ihr Bachelorstudium zog sie nach Kyiv um. Aktuell studiert sie Geschichte im Master in Trier. Viele Freunde und Familienmitglieder befinden sich noch in der Ukraine.

Wie hast du den Beginn des Krieges erlebt und wie hat es deinen Alltag beeinflusst?

Ich erinnere mich sehr gut an den 24. Februar. Der Tag begann mit dem Lesen meiner neuesten Textnachrichten. Eine ukrainische Kommilitonin, mit der ich mich die Tage zuvor schon über spürbare Spannungen ausgetauscht habe, schrieb: „Oksana, Kyiv wird mit Bomben angegriffen.“ Nach acht Jahren Krieg erwartete ich eine Eskalation in einer neuen Dimension. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat mich von Beginn an sehr beschäftigt und ich habe den Austausch mit anderen Ukrainer*innen gesucht. Die ersten Nachrichten berichteten von der Bombardierung größerer ukrainischer Städte, auch von Zielen in der Region, in der ich aufgewachsen bin.

Ich wollte mit Kommilitonen*innen der Universität Trier an diesem Tag mit dem Zug zu einer akademischen Simulation der Vereinten Nationen fahren. Trotz meines Schockzustandes und meiner Ratlosigkeit, beschloss ich mitzufahren. Dieser Versuch, die Normalität des Lebens beizubehalten, misslang jedoch. Auf der langen Zugfahrt habe ich nur telefoniert oder geweint. Die Menschen im Zug gaben mir die Illusion, nicht allein zu sein. Meine Kommiliton*innen haben sich um mich gekümmert und darauf geachtet, dass ich bei den Umstiegen nicht verloren gehe. Durch das konstante Lesen von Nachrichten konnte ich mich nicht auf die Konferenz konzentrieren und entschloss, frühzeitig abzureisen.

Demonstrationen und die Kontaktaufnahme mit Freunden in der Heimat haben die Tage danach gefüllt. Meine häufigsten Fragen waren: „Wie geht’s dir? Wo bist du? Ist alles gut?“. Meine Erfahrung ist vermutlich ähnlich zu denen vieler im Ausland lebenden Ukrainer*innen. Man kann die Situation aus der Ferne zunächst nicht einschätzen und macht sich Sorgen um die Menschen in der Ukraine.

Dein Bruder verteidigt als Teil der Armee die Ukraine. Hast du aktuell Kontakt zu ihm und wie gestaltet sich dieser?

Wir kommunizieren bei guter Internetverbindung über soziale Medien, ansonsten telefonieren wir. Besonders im Feld sind das existierende Netz und WLAN teilweise so überlastet und die Verbindung ist so schlecht, dass wir einander nicht hören können. Ich bin einfach froh, dass wir ab und zu Kontakt haben.

Du konntest deine Mutter zu dir holen und in Sicherheit bringen. Könntest du uns schildern, wie das abgelaufen ist?

Meine Mutter war zum Zeitpunkt des Kriegsausbruchs in Polen, aber plante ihre Rückreise Ende Februar. Ich bat sie kein Rückfahrticket zu kaufen, weil ich schon vor dem Beginn der Invasion eine Ausweitung erwartet habe. Daher hatte ich kein gutes Gefühl, wenn meine Mama zurück nach Hause gefahren wäre und habe sie darum gebeten, zu uns zu kommen. Wir standen unter Schock, weil durch die Bombardierung von Kyiv und anderen Zielen im Landesinneren unser subjektives Sicherheitsgefühl im westlichen Teil der Ukraine massiv zerstört wurde. Freunde aus Berlin haben meine Mutter aufgenommen und wir holten sie dort ab. Ich bin dankbar, dass uns diese Möglichkeit offenstand und meine Mutter nun bei mir ist. Es ist ein großes Privileg, dass ich hier wohne, Deutsch spreche und meiner Mama weiterhelfen kann. Viele Ukrainer*innen sind auf die Hilfe von fremden Menschen angewiesen, die aber glücklicherweise groß und sehr zu schätzen ist.

Kannst du uns einen Einblick darin gewähren, wie der Krieg das alltägliche Leben deiner Bekannten in der Ukraine beeinflusst hat?

Meine Freundin Viktoria, die in Kyiv wohnt, hat am 25. Februar Geburtstag. Die Nacht vom 24. auf den 25. hat sie aufgrund der Raketenangriffe in der U-Bahn-Station des Hauptbahnhofs verbracht. Am nächsten Tag ist sie zu ihren Eltern gefahren, die in einer anderen Region wohnen. Sie arbeitet momentan in der Kommunikationsabteilung des Museums der Geschichte Kiews, sodass sie bei ihren Eltern im Home-Office arbeiten konnte. Nach dem Rückzug der russischen Armee aus Kyiv kehrte sie wieder zurück. Dieser Krieg versucht, die ukrainische Identität auszulöschen. Daher ist die Arbeit im Museum sehr wichtig. Denn Museen bewahren die ukrainische Kultur und Geschichte und machen diese für die Weltgemeinschaft und zukünftige Generationen zugänglich.

Ehrenamtliche Tätigkeiten machen einen großen Teil des Lebens meiner ukrainischen Freunde aus. Viele haben eine eigene NGO gegründet und helfen als Freiwillige der betroffenen Bevölkerung und der ukrainischen Armee mit Medikamenten, Schutzausrüstung oder optischen Geräten. Andere versuchen regelmäßig zu spenden. Ein Beispiel ist, jeden Tag den kleinen Betrag von 10 Hrywnja (ukrainische Währung), was etwa 30 Cent entspricht, zu spenden, beispielsweise an die ukrainische Armee. Ohne diese Hilfe der Bevölkerung im Land und zahlreichen Bottom-up Initiativen wäre der ukrainische Widerstand nicht so bemerkenswert.

Der Wille, das Leben zu genießen ist sehr stark bei meinen Freunden ausgeprägt, weil sie nicht wissen, wann eine russische Rakete bei ihnen ankommt.

Sie erzählen immer von den Dingen, die sie noch erleben wollen. Aber natürlich sind ihre Möglichkeiten durch den Krieg eingeschränkt, denn man lebt von Luftalarm zu Luftalarm. Der Abstand zwischen den Sirenen beträgt häufig nur zwei Stunden

Seit Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine hast du dich sehr für die Menschen in der Ukraine eingesetzt. Könntest du uns kurz schildern, wie die Hilfe aussieht, die du mitorganisiert hast?

Eine Möglichkeit und Pflicht, die ich für mich als ukrainische Staatsbürgerin sehe, ist die Unterstützung der ukrainischen Armee, da die Soldaten ihr eigenes Leben an der Front riskieren, teils mit unzureichender Ausrüstung, um die Gräueltaten des russischen Krieges zu stoppen. Wie ich schon erwähnt habe, setzen sich viele meiner ehemaligen ukrainischen Kommiliton*innen für die Beschaffung benötigter Ressourcen ein. Aufgrund des Krieges gibt es Lieferengpässe und Probleme bei der Produktion und dem Transport. Viele Dinge müssen im Ausland besorgt werden. Ich helfe dann bei der Suche und dem Versand aus Deutschland. Ich versuche regelmäßig zu spenden, meistens an Personen, die ich selber kenne und die den direkten Kontakt zu Menschen in der Ukraine haben und deren Bedürfnisse kennen. Es gibt aber auch größere Organisationen, die vor Ort tätig sind. Ab und zu helfe ich nach Trier geflüchteten Menschen mit Übersetzungen oder den lokalen Initiativen mit Spendensammlungen.

Wie kann den ukrainischen Menschen in Deutschland geholfen werden?

Es ist schön, zu sehen, wie durch den Zusammenhalt in der Europäischen Union den Ukrainer*innen geholfen wird. Die Ukrainer*innen benötigen Wohnraum zum Leben, da viele keinen Ort haben, an den sie zurückkehren können. Meiner Wahrnehmung nach lernten viele deutsche Initiative aus ihrem langjährigen Engagement und konnten so den ukrainischen Geflüchteten bestens weiterhelfen. Ich denke, dass vielen Ukrainer*innen auch die Empathie sehr wichtig ist, damit sie sich nicht mit diesem Krieg vollkommen alleingelassen fühlen. Die menschliche Bereitschaft zu helfen, wirkt auf viele unterstützend und kann den Glauben in die Menschen zurückbringen.

Mein Anliegen ist es, dass Ukrainer*innen, die innerhalb des Landes vertrieben wurden, ebenfalls geholfen wird. Die Ukraine ist ein großes Land und nicht alle haben die Möglichkeit oder die Kontakte ins Ausland, um aus dem Land zu fliehen. Insbesondere ältere und kranke Menschen bleiben trotz der Gefahr in ihren Heimatorten und sind deswegen auf Hilfe von anderen angewiesen. Das Leben im besetzten Gebiet wird zudem durch die Angst vor Verfolgung und Misshandlungen erschwert. Die Hilfe für vertriebene und hilfsbedürftige Personen in der Ukraine lastet häufig auf den Schultern der Freiwilligen. In Mykolajiw ist beispielsweise die Versorgung mit sauberem Wasser unzureichend, sodass die Bewohner*innen auf die Versorgung durch Menschen aus den Nachbarregionen angewiesen sind. Der Transport ist gefährlich, da der Ort beinah täglich unter Artillerie- und Raketenbeschuss steht.
Internationale Unterstützung wäre hier sehr wertvoll und ich wünsche mir von Hilfsorganisationen, wie der UNO-Flüchtlingshilfe, dass sie auch Unterstützung innerhalb der Ukraine, besonders in den am schwersten betroffenen Gebieten, leisten.

Was gibt dir und deiner Mutter Stärke in dieser Zeit? Und was erhofft ihr euch für die Zukunft?

Die Menschen in der Ukraine geben mir Hoffnung. Sie stoppen die Ausbreitung der russischen Aggression auf andere Länder. Die Courage und Entschlossenheit, mit der sie ihre Freiheit, Identität, Kultur und Sicherheit verteidigen, bereitet mir Mut. Ich wünsche mir, dass die militärische und humanitäre Unterstützung aus den Ländern der freien Welt die Ukraine schneller erreicht und alle okkupierten Gebiete befreit werden können. Vor allem die Menschen, die in ständiger Angst an der Frontlinie leben, müssen unterstützt werden.

Hast du noch etwas, was dir am Herzen liegt und du uns mitteilen möchtest?

Ich wünsche mir von internationalen Akteuren, vor allem den Vereinten Nationen, dass sie sich entschieden an die Seite derer stellen, die zu Unrecht angegriffen werden. Und dass man nicht versucht, eine künstliche Neutralität zu schaffen. Es ist mir ein Anliegen, dass die Mechanismen von internationalen Organisationen, die darauf abzielen, alle Nationen an einen Tisch bringen, verbessert werden. Ebenso sollten die Mechanismen verbessert werden, die diejenigen, die Regeln brechen und das friedliche Zusammenleben stören, zur Verantwortung ziehen.

Vielen Dank, Oksana! Wir wünschen dir und deiner Familie alles Gute.

 


Informationen zur Lage der Flüchtlinge und die humanitäre Hilfe des UNHCR in der Ukraine sowie den Nachbarländern, finden Sie auf unserer Länderseite:

UKRAINE: HILFE FÜR VERTRIEBENE UND FLÜCHTLINGE

Jeder kann helfen!

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