Berlin Alexanderplatz
180 Minuten Film, die für sich sprechen: "Berlin Alexanderplatz" ist ein Film, der aktueller nicht sein könnte.
Vor nicht mal vier Wochen hat Filippo Grandi, der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen die neuen Zahlen veröffentlicht: 79,5 Millionen Menschen sind auf der Flucht, mehr als ein Prozent der Weltbevölkerung. 80 Prozent aller Vertriebenen leben in Regionen, in denen akute Ernährungsunsicherheit und Unterernährung herrscht. 3 von 4 Flüchtlingen leben im Nachbarland ihres Heimatstaates. 40 % der Flüchtlinge weltweit sind unter 18 Jahren.
Die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland liegt bei 1,1 Millionen. 2019 haben rund 721.000 Menschen einen Asylantrag in den 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union gestellt (bei 450 Millionen Einwohner) – die Flüchtlingskrisen, wenn man sie so nennen möchte, finden demnach woanders statt. Und gleichzeitig liest man in diesen Tagen Analysen von fünf Jahren „Wir schaffen das?“
Viele Zahlen. Abstrakte Zahlen, die weit weg sind.
Manchmal vergisst man, dass hinter den Zahlen Menschen stehen, Schicksale stehen, Geschichten stehen. Natürlich ist der Film keine Biografie, keine Dokumentation von Ereignisse, die sich einszueins so ergeben haben. Fluchtbiografien sind nicht schwarz-weiß, enden nicht nur gut oder nicht nur tragisch. Gemein ist den knapp 80 Millionen Menschen, dass sie nicht freiwillig fliehen. Sie werden gezwungen durch Gewalt, Verfolgung, Krieg, Hunger, Auswirkungen des Klimawandels. Oft ohne jegliches Hab und Gut, nur die Kinder und Familie bei sich. Die Odysee dauert oft Jahre und die Ungewissheit, wie es weitergeht, die Ungewissheit, was passiert nach der Ankunft, prägt viele Flüchtlinge.
Diese Menschen sind daher keine Risiken oder Gefahr, wie es einige sehen wollen, Flüchtlinge haben die gleichen Chancen verdient, wie wir alle.
Der Film stellt daher auch die Frage nach den Chancen, die jemand hat oder eben nicht hat. Spricht über Arbeitsverhältnisse, über sexuelle Ausbeutung, über Empathie in der Gesellschaft, fragt nach Vorurteilen und Klischees. Greift Themen wie Bootsflucht, Einwanderung, Rassismus, Identität auf. Stellt uns als Gesellschaft die Frage, ob Menschen als Illegal definiert werden dürfen, nicht als Mitmensch. All das schwingt in diesem Epos mit.
Am Ende bleibt die Frage: Was kann ich tun, was kann jede*r Einzelne von uns tun? Darüber haben wir mit Annabell Mandeng gesprochen, die im Film die Rolle der Eva spielt:
Schauspielerin Annabelle Mandeng ("Berlin Alexanderplatz")
Was können Sie als Künstlerin tun, um auf die Notlage von Geflüchteten aufmerksam zu machen?
Als Künstler sind wir immer im Austausch mit den Menschen, die unsere Kunst erleben. Ich denke, dass Künstler grundsätzlich eine Grenze überschreiten und andere erreichen können. Entweder im direkten Austausch als Privatperson mit Appellen an die Öffentlichkeit oder in ihren Darstellungsmöglichkeiten.
Was denken Sie bei den Bildern von Flüchtlingscamps auf griechischen Inseln?
Ich finde es entsetzlich, dass in Zeiten, in denen Milliarden zur Verfügung gestellt werden, vermeintlich nicht genug übrig ist, um an diesen Brennpunkten für Abhilfe zu sorgen.
Stichwort Corona. Warum dürfen wir gerade jetzt geflüchtete Menschen nicht vergessen?
Die Corona-Krise bringt ganz unterschiedliche Seiten in uns Menschen hervor. Aber eines muss dennoch immer Platz haben: Empathie für diejenigen, die aufgrund von Umständen so benachteiligt sind, dass sie in unmittelbarer Abhängigkeit von der Hilfe anderer existieren. Flüchtlingen zu helfen sollte ein Grundbedürfnis von uns allen sein.
Was können wir tun?
Wir alle können dennoch einen Unterschied machen. In dem wir Menschen auf der Flucht helfen, helfen Zugang zu Bildung zu bekommen, helfen während der Flucht medizinisch versorgt zu werden, Menschen bei der Integration helfen, beim Neustart oder dabei, Traumata zu überwinden. Als UNO-Flüchtlingshilfe unterstützten wir den UNHCR bei seinen Einsätzen auf der ganzen Welt und wir fördern 80 Projekte in Deutschland: und auch wenn es platt klingt: jeder Euro hilft.
Und wir können dagegenhalten. In Diskussionen mit Fakten der Hetze begegnen. Wir versuchen, unseren Faktencheck immer wieder aktuell und korrekt zu halten. Denn viele Vorurteile werden ungefiltert in den Netzwerken geteilt: Alle Flüchtlinge sind kriminell. Wir werden in Europa von Flüchtlingen überrannt.
Wenn es ein Film schafft diese Fragen und diese Diskussionen anzustoßen, ist er wertvoll, ist er sehenswert und ist er relevant. Berlin Alexanderplatz ist ein solcher Film.
Der Trailer zum Film:
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