"Das Erste, was mir entgegnet wurde, war, dass er nur seine Abschiebung verhindern wolle."
Viele Asylsuchende haben auch nach ihrer Flucht noch mit dem zu kämpfen, was sie erlebt haben oder müssen Traumata verarbeiten. Professionelle Unterstützung und Begleitung sollte dabei eigentlich selbstverständlich sein. Doch die Realität sieht anders aus: bürokratische und gesellschaftliche Hürden erschweren den Zugang. Einrichtungen, wie die Psychosozialen Zentren in Brandenburg oder Sachsen-Anhalt schaffen Abhilfe.
In einem durch die UNO-Flüchtlingshilfe kofinanzierten Projekt entwickeln sie Modelle, die die psychosoziale und psychiatrische Versorgung von Asylsuchenden verbessern. Aber auch sie stoßen in ihrer alltäglichen Arbeit auf viele Hindernisse.
Im Gespräch erzählen Silke Finner und Simone Marquordt aus ihrem Alltag, welche bürokratischen Hürden viele Asylsuchenden nehmen müssen, bis sie die Hilfe bekommen, die ihnen zusteht und wie das gesellschaftliche Klima in Ostdeutschland ihre Arbeit beeinflusst.
Silke Finner ist für die Projektkoordination bei "KommMit – für Migranten und Flüchtlinge e.V." verantwortlich und Simone Marquordt ist Sozialberaterin beim PSZ Sachsen-Anhalt.
Was ist der Schwerpunkt Ihrer Arbeit?
S.M.: Die begleitende psychosoziale Beratung von psychisch belasteten und erkrankten Personen, die – zumeist vor Krieg, Verfolgung, Folter, organisierter Gewalt – geflüchtet sind und bei uns im PSZ angebunden sind.
S.F.: Das trifft auch auf mich zu. Dazu kommt die Projektkoordination. Das Ziel dieses Projekts ist es, frühzeitig erkrankte und belastete Geflüchtete zu erkennen, ihre Bedarfe zu erkennen und sie dabei zu unterstützen, entsprechend ihrer Bedarfe Zugang zum Regelsystem zu finden.
Dazu stehen uns Psycholog*innen und ein Psychiater zur Seite. Leider ist es sehr schwierig Psychiater*innen für die Mitarbeit im Projekt zu gewinnen. Ähnlich schwierig ist es für die asylsuchenden Menschen im Regelsystem einen Psychiater*in zu finden. Aber um bestehende Erkrankungen ins Asylverfahren zeitnah einbringen zu können, werden qualifizierte fachärztliche Atteste benötigt.
Können Sie uns mit ein paar Beispielen aus dem Alltag verdeutlichen, wie Ihre Arbeit aussieht?
S.M.: Ich helfe Asylsuchenden und manchmal auch deren Angehörigen in sozialrechtlichen Angelegenheiten, bei Behördengängen, Anträgen und psychosozialen Anliegen.
Das kann zum Beispiel so aussehen: Einer Klientin und ihrer Familie stand nach 18-monatigem Aufenthalt in Deutschland die Ausstellung einer Krankenversicherungskarte zu. Das Sozialamt verweigerte dies. Auf zahlreiche Anfragen und Anträge unsererseits kamen unkorrekte oder keine Antworten. In Kooperation mit der Anwältin der Familie ist inzwischen die Chipkarte ausgestellt worden.
S.F.: Ich unterstütze Geflüchtete bei der Arzt- und Therapeutensuche. Wenn Atteste für das verwaltungsrechtliche Verfahren benötigt werden, erkläre ich den behandelnden Ärzten, welche Fragestellungen beantwortet werden müssen.
Einen Klienten, der aufgrund seiner psychischen Probleme in ein örtliches psychiatrisches Krankenhaus kam, begleitete ich beispielsweise bei einem Arztgespräch. Da er sich noch im Asylverfahren befand, war es auch wichtig, dass der Entlassungsbrief möglichst die Kriterien für eine Stellungnahme berücksichtigte, um seine Situation einbringen zu können.
Das Erste, was mir entgegnet wurde, war, dass er nur seine Abschiebung verhindern wolle.
Der Patient stand jedoch vor keiner Abschiebung. Im Entlassungsbrief stand, dass eine Behandlung wegen sprachlicher Probleme nicht erfolgen konnte. Wir konnten dann für ihn nach seiner Entlassung - es ging ihm weiterhin nicht besser - einen Platz in einem auf Traumabehandlung spezialisierten Krankenhaus organisieren. Die Behandlung hatte den Effekt, dass er anschließend ohne Medikamente auskam und wieder seiner Arbeit nachgehen konnte. Der Entlassungsbrief enthielt alle wichtigen Daten.
Vor welchen besonderen politischen Herausforderungen stehen Sie bei Ihrer täglichen Projektarbeit?
S.M.: Wir beobachten immer wieder viele Hürden im Integrationsprozess unserer Klient*innen. So wird zum Beispiel die Teilnahme am Integrationskurs nach Herkunftsland erlaubt oder eben verwehrt, unabhängig von der individuellen Geschichte.
Für Klient*innen mit unsicherem Aufenthaltsstatus erleben wir immer wieder seitens der Behörden wenig Interesse, Angelegenheiten zu bearbeiten, da diese ja eventuell ohnehin abgeschoben würden. Die Ohnmachtsgefühle der Klient*innen sind oft spürbar und werden durch die Perspektivlosigkeit in Deutschland verstärkt, während zudem viele eine Rückkehr in existentielle Gefahren bringen könnte.
S.F.: Es ist aus meiner Sicht sehr schwierig, immer wieder gegen einen Mainstream anzusprechen, der durch die politische Diskussion auf Abschiebung fokussiert ist.
Dass eine Ablehnung im Asylverfahren nicht gleich die Gefahr einer Abschiebung bedeutet, muss immer wieder betont werden. Selbst unsere Klient*innen verstehen das oft nicht. Selbst wenn wir ihnen versichern, dass ihr derzeitiger Status, trotz Ablehnung vom BAMF, keine Abschiebung zur Folge hat, werden sie sofort wieder verunsichert, sobald sie mit anderen Geflüchteten oder Personen aus der Zivilgesellschaft sprechen. Aufgrund von Unkenntnis befördern diese wieder Angst vor einer Abschiebung.
Bei unseren Klient*innen, die sich in den Erstaufnahmeeinrichtungen (EAE) befinden, verstärkt sich das noch durch das Miterleben von Abschiebungen. Sie sind über lange Zeiträume dort und auch wenn es in ihrer bestehenden aufenthaltsrechtlichen Situation keine Veranlassung dafür gibt, Angst vor einer Abschiebung zu haben, erleben sie es als eine Realität, die sie auch treffen kann. Denn was ist, wenn ihre Gründe nicht anerkannt werden?
Wirkt sich das gesellschaftliche Klima in Ostdeutschland auf Ihre Projektarbeit aus und wenn ja, wie?
S.M.: Aus dem Alltag berichten die allermeisten Klient*innen von rassistischen Erfahrungen, beispielsweise im Supermarkt, auf der Straße oder sogar bei den Behörden. Die meisten Klient*innen wünschen sich einen Umzug in andere Regionen. Auch Klient*innen mit hohen Bildungsgraden sehen oft nicht genügend Anreize, in der Region zu bleiben.
S.F.: Das trifft auch auf Regionen in Brandenburg zu. Auch das gesellschaftliche Klima hat Einfluss auf die öffentliche Darstellung. Ich habe erlebt, wie an meinen vorherigen Arbeitsplätzen im Flüchtlingsbereich unser Briefkasten verschmiert wurde, dass menschenverachtende Aufkleber und Karten eingesteckt wurden, dass Eier an unserer Tür mit dem Projektnamen klebten. Ich bin sehr verhalten geworden, was die öffentliche Kennzeichnung betrifft. Ja, es wirkt sich aus. Unsere Zielgruppe sind Asylsuchende mit psychischen Belastungen und Problemen. Eine Aufmerksamkeit von rassistisch denkenden Personen, die ihrer Menschenverachtung Ausdruck verleihen, brauche ich da nicht. Und die Inhalte und Themen der Menschen, die uns aufsuchen, unterliegen einem besonderen Schutz.
Ihre Arbeit wird auch von vielen ehrenamtlich engagierten Menschen unterstützt. Ergeben sich dadurch auch manchmal besondere Herausforderungen?
S.F.: Viele der ehrenamtlich engagierten Menschen halten es gerade einmal durch, Klient*innen, die im Asylverfahren sind, zu begleiten. Sie verzweifeln an den Einschränkungen, denen diese Personen unterliegen. Und wenn die Ehrenamtlichen dann einmal erlebt haben, dass das Verfahren negativ beschieden wurde und die von ihnen betreuten Personen vor einer Abschiebung stehen oder sogar abgeschoben wurden, ziehen sie sich von weiterem Engagement zurück.
Die emotionale Belastung ist für sie zu groß.
Daher finden auch wir nur eher jüngere Leute, Student*innen, die häufig selbst Migrant*innen sind, und sich in der Kultur- und Sprachmittlung engagieren.
Wie gestaltet sich die Integration von Asylsuchenden in der Region?
S.M.: Klient*innen, die bereits gut Deutsch sprechen und eine gewisse Bildung bzw. Erfahrung im Handwerk mitbringen, sind beruflich gut zu integrieren. Fehlen jedoch Deutschkenntnisse und die Teilnahme am Integrationskurs wird verwehrt, gibt es selbst für hoch Motivierte nur noch wenige Möglichkeiten, die nötigen Sprachkenntnisse zu erwerben, obwohl diese am Anfang jedes Integrationsprozesses stehen. Pandemiebedingte Ausfälle von Sprachkursen ohne Zertifikate, Sprachcafés und ähnlichen Angeboten erschweren den Prozess aktuell zusätzlich.
Die soziale Integration ist von Faktoren wie den Fähigkeiten und Ressourcen der Klient*innen, der infrastrukturellen Anbindung, den Angeboten und auch der Offenheit des sozialen Umfeldes abhängig. Dieser Prozess ist sehr individuell. Vor allem im ländlichen Raum ist er mit vielen Hürden verbunden.
Wo sind Lücken im System und wie haben sich diese verändert?
S.M.: Eine stationäre Versorgung psychisch Erkrankter mit Hilfe von Dolmetschenden bleibt unverändert aus. Möglichkeiten, Deutsch zu lernen, sind unter Pandemiebedingungen gestrichen. Es mangelt außerdem an einer Schuldnerberatung für Asylsuchende. Oft müssen Klient*innen zu lange behördliche Wege gehen, um Kostenübernahmen für Arztbesuche zugesprochen zu bekommen.
S.F.: Ich erlebe, dass der Zugang zu vielen Angeboten der sozialen Unterstützung im Regelsystem fehlt oder erschwert ist. Neben der bereits benannten Sprachbarriere, liegt das auch an den vielfältigen speziellen gesetzlichen Ausschlussregelungen, denen Asylsuchende unterliegen. So steht ihnen z.B. Eingliederungshilfe nicht auf der in Deutschland üblichen Grundlage zur Verfügung. Es gibt Bereiche, für die sie als Leistungsberechtigte ausfallen. Fördermaßnahmen der Arbeitsagenturen und ähnliches treffen nicht zu. Es wird viel Spezialwissen benötigt, das zudem komplex ist. Wir arbeiten seit Jahren an der Qualifizierung der Regeldienste. Ich sehe eine leichte Verbesserung in manchen Kommunen, aber das scheint nicht auszureichen.
Was müsste sich ändern, dass Sie Ihre Arbeit erfolgreicher durchführen könnten? Wie könnten Hindernissen Ihrer täglichen Arbeit abgebaut werden?
S.F.: Es sollte aus meiner Sicht ein spezialisiertes psychosoziales, psychotherapeutisch-psychiatrisches Angebot für Asylsuchende vorgehalten werden. Damit würde schon viel Stress entfallen.
S.M.: Klient*innen müssten in Ihren Anliegen von Behörden und zuständigen Stellen ernster genommen werden. Die Abläufe und die behördliche Zusammenarbeit sollten aus meiner Sicht grundsätzlich verbessert werden. Es beginnt schon mit der Identifizierung der zuständigen Mitarbeiter*innen. Eine schnellere Bearbeitung bzw. überhaupt eine Rückmeldung zu bekommen, ist wichtig. Im Allgemeinen wäre eine höhere Bereitschaft, Lösungen für komplexe Fragestellungen zu finden, schön. Außerdem wäre es von Vorteil, Dolmetschende für Behördengänge, Ärzte etc. niederschwellig zu erreichen und auch die Kosten dafür genehmigt zu bekommen.
S.F.: Daneben wäre es aus meiner Sicht wichtig, bei der Verteilung von Flüchtlingen in die Kommunen, besondere Schutzbedürftigkeit und Bedarfe zu berücksichtigen bzw. ein unkompliziertes Umverteilungsverfahren zu praktizieren. Bisher ist es aus meiner Erfahrung, trotz einer in Brandenburg relativ guten Verordnung dazu, sehr schwierig und langwierig, Umverteilungen durchzusetzen. Es gibt zu viel Unsicherheit darüber, welche Bedarfe denn aus einer Schutzbedürftigkeit heraus resultieren, es gibt keine gemeinsamen Maßstäbe und der/die bedürftige Klient*in verzweifelt. Dieser vielfach strukturelle Stress, behindert die Stabilisierung und die Verbesserung der psychischen Verfassung der Klient*innen zusätzlich.
Was motiviert Sie und Ihr Team jeden Tag wieder aufs Neue?
S.M.: Mein Menschenbild. Ich denke, dass gerade Menschen mit traumatischen Erfahrungen besonders sensibel und gleichberechtigt behandelt werden sollten.
Es ist die Aufgabe einer modernen Gesellschaft, den schwächsten und verletzlichsten Menschen mit Würde und Gerechtigkeit zu begegnen.
S.F.: Mich macht es immer wieder glücklich, wenn wir unsere Klient*innen in eine Versorgung vermitteln können.
Dass es Mitstreiter*innen gibt und ich nicht alleine bin.
Was wünschen Sie sich für Ihre Arbeit für die Zukunft?
S.M.: Ich wünsche mir mehr Gerechtigkeit. Weniger Rassismus. Mehr eigene Arbeitsplatzsicherheit in Form eines nicht projektbefristeten Arbeitsvertrages.
S.F.: Dass die strukturellen Rahmenbedingungen für die Asylsuchenden verbessert werden, sie nicht unnötig Unsicherheiten verstärken. Z.B., dass sich die derzeitige Abschiebepraxis, Abschiebungen unangekündigt durchzuführen, wieder ändert. Dass es leichteren Zugang zu Bleiberechten gibt. Dass die Hürden zur Anerkennung des erfahrenen Leids wieder niedriger werden, wie die Anerkennung einer PTBS als eine Erkrankung, die ein Abschiebungshindernis begründet. Dass die Anerkennungspraxis des BAMF sich an der Anerkennungspraxis der Gerichte orientiert, damit die langen Zeiten des Wartens ein Ende finden, um schneller Integration zu ermöglichen. Das wäre Prävention für eine bessere psychische Gesundheitssituation. Und ich wünsche mir eine auf Kontinuität aufgebaute psychosoziale, psychologische und psychotherapeutische Versorgung von Geflüchteten. Ich denke, dass das am Effektivsten für die Gesellschaft wäre.
Erfahren Sie mehr über die:
Hilfe für Geflüchtete in Deutschland
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