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"Das Wesentliche ist, die Wahrheit zu finden und sie zu verteidigen"

Zum Tag der Pressefreiheit sprechen wir mit Amir Valle, der das Schicksal vieler Journalist*innen weltweit teilt: Bedrohung, Verfolgung und Verlust der Heimat aufgrund der Ausübung des Berufs. Ein Gespräch über die Freiheit des Wortes und die Gefahren, die mit ihrer Unterdrückung einhergehen.

Was hat Dich dazu motiviert, journalistisch zu arbeiten?

Es gibt Journalisten von Beruf und Journalisten von Blut. Der Journalist von Beruf ist derjenige, der eine Karriere als Beruf betrachtet. Der Journalist von Blut betrachtet seinen Beruf als sein Leben. Und ich hatte schon als Jugendlicher das Bedürfnis, die Gesellschaft, in der ich lebte, Kuba, zu erforschen, und ich stellte mir viele Fragen, die ich nur beantworten konnte, wenn ich die Realität betrachtete. Ich bin Schriftsteller und habe mit 18 Jahren angefangen, Bücher zu veröffentlichen, und eines Tages beschloss ich, Literatur und Journalismus zu verbinden. Deshalb begann ich ein Journalismus-Studium an der Universität von Havanna, das ich 1989 abschloss.

Amir Valle ist ein kubanischer Schriftsteller und Journalist. Seine Werke wurden international publiziert und mit zahlreichen Literaturpreisen geehrt. Valle äußerte sich vermehrt kritsch gegenüber der politischen Situation in Kuba, sodass ihm 2005 nach einem Aufenthalt in Spanien die Rückkehr in sein Heimatland verwehrt blieb. Nun lebt er seit 18 Jahren im Exil in Deutschland, wo er 2009 politisches Asyl erhielt. Trotz des Verbotes seiner Texte durch die Regierung in Kuba, ist er einer der meistgelesenen Autor*innen der Insel.

Was waren Themen, mit denen Du dich in Kuba beschäftigt hast? Welche Themen sind es heute in Deutschland?

Meine Themen wurden nicht in der Presse veröffentlicht, weil sie von der Regierung verboten wurden: Prostitution, der Schwarzmarkt, soziale und politische Korruption, die Doppelmoral der Menschen, die in einem totalitären Einparteiensystem wie Kuba leben müssen. Deshalb sind alle meine Recherchen in Bücher geflossen, die ich außerhalb Kubas veröffentlicht habe. Das international bekannteste ist „Habana Babilonia" oder "Prostituierte in Kuba", eine umfassende Untersuchung über die Prostitution in meinem Land, die von Fidel Castro persönlich zensiert wurde und in viele Sprachen, auch ins Deutsche, übersetzt wurde.

In Deutschland habe ich mich als Journalist immer für die Lebensgeschichten von Menschen, die Opfer des Totalitarismus und insbesondere der Stasi während der DDR waren, interessiert. Eine Untersuchung, die ich auf der Grundlage der Geschichten vieler Stasi-Opfer durchgeführt habe, ist in diesem Jahr in einem Buch mit dem Titel „Der Atem des Wolfes - Die Stasi, die Berliner Mauer und unser Leben" veröffentlicht worden.

Meine Themen als Journalist haben im Allgemeinen mit der Verteidigung von Freiheiten zu tun, ob in diktatorischen Systemen oder in Systemen, die als Demokratien gelten.

Du hast viel aufgegeben, um Deine Arbeit fortzusetzen. Was ist Deine Motivation?

Ich habe auf nichts verzichtet. Es ist besser zu sagen: Ich wurde zum Verzicht gezwungen. Die Politiker meines Landes zwangen mich zum Beispiel, aus meinem Land auszutreten, aus dem ich ausgewiesen wurde, weil ich freien Journalismus betrieb. Sie nahmen mich von meiner Familie in Kuba weg, von meinen Freunden, von den Orten, an denen ich die Hälfte meines Lebens verbrachte. Mein größter Schmerz ist, dass meine Mutter 2019 in Kuba gestorben ist und ich mich nicht von ihr verabschieden konnte, weil die Behörden meines Landes mich auf eine schwarze Liste von Kubanern gesetzt haben, die das Recht auf Einreise auf die Insel verloren haben. Ein Land, in das ich seit 2005 nicht mehr reisen konnte. Die Motivation ist einfach:

Sie mögen versuchen, mich zum Schweigen zu bringen, aber ich werde weiterhin meine Stimme erheben und meine Wahrheiten über die kubanische Realität aussprechen, solange ich lebe."

Warum ist freier und unabhängiger Journalismus wichtig?

Der Journalismus ist von seinem Wesen her ein Wächter der Politik, ein starker Hinterfrager der Probleme, die die Gesellschaft lösen muss, und ein Schöpfer des freien Denkens. Leider hat sich heute der Journalismus in etwas anderes verwandelt: in bloße Informanten und sogar mächtige Desinformanten im Dienste einiger Mächte dieser Welt. Ein freier und unabhängiger Journalismus ist der Versuch, die wahre Funktion des Journalismus zu retten.

Wie können Schriftsteller*innen und Journalist*innen trotz widriger Umstände dazu beitragen, den Dialog aufrechtzuerhalten und die Stimmen derer zu erheben, die unterdrückt werden? Welche Rolle spielen sie bei der Förderung von Meinungsfreiheit?

Ich bin der festen Überzeugung, dass der Intellektuelle, der Schriftsteller, der Journalist ein Erzeuger des gesellschaftlichen Denkens ist und daher eine sehr große Verantwortung hat, erstens die Probleme der Gesellschaft zu analysieren und zweitens ein System der Informationsverbreitung zu schaffen, das auf der Seite der Wahrheit steht, wo auch immer die Wahrheit ist. Die Ideologie verliert hier jeden Wert,

denn das Wesentliche ist, die Wahrheit zu finden und sie zu verteidigen. Dazu ist es meiner Meinung nach unerlässlich, den Dialog zu fördern, Andersdenkenden zuzuhören und jedem das Recht zu geben, seine Ideen zu äußern."

Kannst du uns von anderen geflüchteten Journalist*innen berichten, die Du während Deiner Zeit in Deutschland kennengelernt hast, und von deren Herausforderungen und Erfahrungen?

Ich bin als PEN Zentrum Deutschland-Stipendiat nach Deutschland gekommen und kenne daher viele sehr wichtige Journalisten aus vielen Ländern der Welt. Dadurch habe ich verstanden, dass die politische Macht immer versucht, den Journalismus zu kontrollieren, ihn in Propaganda zu verwandeln oder ihn zu ihrem Vorteil zu manipulieren. Die Geschichten, die der srilankische Journalist Bashana Abeywardena zum Beispiel über die Kämpfe zwischen der Presse und der Macht in seinem Land erzählt, ähneln sehr dem, was ich in Kuba erlebt habe. Dasselbe gilt für die Geschichten der Journalistin Najet Adouani aus Tunesien, dem Journalisten und Blogger Bui Thanh Hieu aus Vietnam oder der weißrussischen Journalistin Swetlana Alexijewitsch, die 2015 den Literaturnobelpreis erhielt, um nur einige Freunde zu nennen, die mit mir das Writers-in-Exile-Stipendium des PEN-Zentrums Deutschland teilten.

Rechnest Du damit, in Zukunft in Deine Heimat Kuba zurückkehren zu können?

Ich habe immer davon geträumt, ein Weltbürger zu sein. Ich glaube, dass die Heimat eines Menschen der Ort ist, an dem er glücklich ist. Und hier in Deutschland, dem Land, das mich vor 18 Jahren aufgenommen hat und dessen Staatsbürger ich bin, habe ich gesehen, dass meine beiden Kinder Möglichkeiten zur beruflichen Entwicklung haben, von denen sie in Kuba nicht einmal träumen konnten. Und das Leben in Deutschland hat es mir ermöglicht, internationale Anerkennung als Schriftsteller und Journalist zu erlangen.

Ich werde nur dann nach Kuba zurückkehren, wenn ich dies ohne jegliche Bedingungen tun kann."

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