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Flüchtling im Einsatz für den Klimaschutz: Ivanko aus der Ukraine

Als der Krieg gegen die Ukraine im Februar 2022 beginnt, bleibt Ivanko nicht viel Zeit zu überlegen: Wird er als junger Mann für den Krieg eingezogen oder verlässt er das Land, um sich von dort für die Menschen aus seiner Heimat einzusetzen? Im Interview berichtet er von seiner schwierigen Flucht und seinem starken Einsatz für den Klimaschutz.

UNO-Flüchtlingshilfe: Lieber Ivanko, erzähl uns ein bisschen von Dir. Seit wann bist Du in Deutschland?

Ivanko: Ich komme aus der Ukraine und ich musste wegen des Krieges in der Ukraine mein Heimatland verlassen. Seit knapp einem Jahr lebe ich in Deutschland und studiere an der Universität Leipzig Deutsch als Zweit- und Fremdsprache. Ich habe vor einigen Jahren schon einmal für eine längere Zeit in Deutschland gelebt und dabei die Sprache gelernt. Zur Zeit befinde ich mich in Indien, um mich an erster Stelle von den Kriegserlebnissen zu erholen, aber auch um neue Erfahrungen zu sammeln und mich auch spirituell weiterzuentwickeln.

UNO-Flüchtlingshilfe: Kannst Du uns erzählen, wie Du den Beginn des Krieges gegen die Ukraine und Deine Flucht aus dem Land erlebt hast?

Ivanko: Diese Erfahrung hätte ich mir natürlich am liebsten erspart, aber es ist so wie es ist. Als es losging, hat meine Mutter mich am frühen Morgen geweckt. Ihre Worte werde ich nie vergessen: „Ivanko, der Krieg wurde begonnen, steh auf, steh auf!“

Als der Krieg anfing, habe ich sehr lange überlegt, ob ich fliehen oder kämpfen soll. Ich hatte große Zweifel, ob ich das Richtige tue, wenn ich flüchte.

Eigentlich hätte ich schon vorher Zeit gehabt, mich mit der Frage zu beschäftigen, denn wir wussten alle schon vor dem Kriegsbeginn, dass etwas passieren wird. Die Atmosphäre war sehr angespannt. Ich habe diese Entscheidung aber vorher nicht getroffen und dadurch auch kostbare Zeit verloren, um die nächsten Schritte zu planen. Die Entscheidung fiel mir sehr schwer, weil ich irgendwie von Anfang an in die Entwicklungen in meinem Heimatland involviert war und auch den Kriegsbeginn sehr persönlich wahrgenommen habe wegen all der Sachen, die ich vorher schon gemacht habe: Ich war damals bei den Protesten auf dem Maidan dabei und die aktuellen Ereignisse sind jetzt die Fortsetzung davon. Schon damals haben wir für europäische Werte, für Demokratie, für Gleichberechtigung und auch für das Klima eingestanden.

Und ich habe dann wirklich sehr lange darüber nachgedacht und kam zur Entscheidung, dass ich meine Fähigkeiten besser in Deutschland einsetzen kann und von dort aus mehr schaffen und mehr Menschen helfen kann. Und dann habe ich mich auf den Weg gemacht. Auf dem Weg zur Grenze habe ich ein Paar aus Südamerika getroffen, das verzweifelt nach Hilfe gesucht hat. Niemand konnte sich um sie kümmern. Als sie gemerkt haben, dass ich Englisch spreche, haben sie mich um Hilfe gebeten. Die Zeit war sehr knapp, denn es wurde schnell nach Kriegsbeginn ein Gesetz verabschiedet, dass alle Männer im wehrpflichtigen Alter nicht das Land verlassen dürfen. Das Gesetz trat am nächsten Tag in Kraft und ich wusste, dass die Fahrt sehr lange dauern würde, obwohl ich in Lwiw, einer sehr grenznahen Stadt, wohnte, aber es wollten eben alle raus.

Ich hatte schon einen Platz in einem Bus sicher und musste mich dann entscheiden: Lasse ich sie im Stich und fahre alleine oder versuche ich, Plätze für uns alle zu besorgen. Ich bin geblieben und habe es tatsächlich geschafft, drei Plätze in einem der Busse zu bekommen. Wir sind dann sehr lange gefahren und waren um 22 Uhr an der Grenze. Der Grenzbeamte hat dort allerdings entschieden, dass das Gesetz schon vor Mitternacht gültig ist und dann mussten alle Männer raus aus dem Bus. Und mein neuer Freund, Pato heißt er, war sehr beunruhigt und dachte, dass er jetzt auch dort bleiben muss, weil er ein Mann ist. Ich konnte ihn aber beruhigen und er konnte dann weiterfahren, da er argentinischer Staatsbürger ist. Ich bin in der Ukraine geblieben. Ich habe dann zunächst in einer Kommune gelebt mit anderen Flüchtlingen und da habe ich dann entschieden, dass ich – solange ich nicht aus dem Land fliehen kann – mich trotzdem irgendwie engagieren möchte und habe dann angefangen, ehrenamtlich für die Caritas vor Ort zu arbeiten.

Mehr Informationen zur Situation in DER UKRAINE

UNO-Flüchtlingshilfe: Wie ging es dann für Dich weiter?

Ivanko: Ich habe dort ungefähr vier oder fünf Monate als Dolmetscher gearbeitet und habe aber auch Hilfsgütertransporte organisiert und war Ansprechpartner für deutsche Medien. Ich hatte allerdings immer schon den Traum, in Deutschland zu studieren und während dieser Zeit habe ich gedacht, dass dieser Traum wegen des Krieges nie in Erfüllung gehen wird. Diese Erkenntnis hat mich mental sehr mitgenommen, aber natürlich auch die ganzen Erlebnisse vor Ort: Die Bombenangriffe und die Geschichten der Menschen, die ich gehört und übersetzt habe. Das hat mich zermürbt. Ich musste deswegen in eine Klinik und habe dort dann ein Attest bekommen, das mir erlaubt hat, die Grenze zu überqueren. Das war allerdings reine Glückssache, weil andere Menschen, die auch genau solche Atteste hatten, trotzdem nicht die Grenze passieren durften.

Mir ist es gelungen und ich bin nach Deutschland gekommen. Zuerst war ich bei meinem früheren Deutschlehrer in Berlin und dann hat mich eine nette Familie aus Bremen sehr herzlich und als ein Familienmitglied aufgenommen. Ich habe dann bei ihnen drei oder vier Monate gewohnt. In dieser Zeit konnte ich aber immer noch nicht richtig zur Ruhe kommen und habe stattdessen angefangen, ehrenamtlich Deutsch zu unterrichten. Ich habe meinen eigenen Deutschkurs für ukrainische Flüchtlinge konzipiert, in dem auch das Klimathema involviert ist. So habe ich versucht, Menschen sowohl die deutsche Sprache als auch Dinge wie Mülltrennung oder der sparsame Umgang mit Energie zu vermitteln. Im letzten Herbst ist dann endlich mein Traum in Erfüllung gegangen und ich habe einen Studienplatz in Leipzig erhalten. Dort wohne ich jetzt auch.

UNO-Flüchtlingshilfe: Eine wirklich sehr beeindruckende Geschichte. Vielen Dank, dass Du sie mit uns teilst. Du hattest dabei ja schon kurz das Thema Klima angesprochen: Wie bist Du zum KlimaGesicht der Nationalen Klimaschutz Initiative geworden?

Ivanko: Ich habe bereits vor vier Jahren für einige Zeit in Deutschland gelebt und habe da einen Workshop der Deutschen KlimaStiftung besucht. Dort sollte den Teilnehmenden und insbesondere Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung das Thema Klimaschutz nähergebracht werden. Ich habe mich danach sofort für das Projekt angemeldet, weil das Thema einfach schon immer sehr präsent in meinem Leben und für mich sehr wichtig ist.

UNO-Flüchtlingshilfe: Und wieso ist das so? Woher kommt Dein Interesse und vor allem Deine Motivation für Deinen Einsatz für den Klimaschutz?

Ivanko: Mein Vater ist Wissenschaftler, ein Mikrobiologe, und irgendwie war das Thema dadurch ständig bei uns in der Familie präsent. Ich habe viel mit ihm darüber gesprochen: Er hat mir erklärt, warum die Temperaturen steigen, warum das Klima sehr wichtig ist und weshalb wir klimafreundlicher agieren sollen. Er hat das auf eine Art und Weise gemacht, die mich einfach begeistert hat. Und dadurch war sozusagen schon von Anfang an entschieden, dass ich für dieses Thema stehen werde und dass es eines meiner Lieblingsthemen ist.

Projekt „KlimaGesichter“

 

Zwar ist der Klimawandel selten der einzige Grund für Migration und Flucht – aber er war, ist und wird zunehmend ein immer wichtigerer Faktor dafür, dass Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Im Projekt KlimaGesichter geben Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung diesem Kontext ein Gesicht – und eine Stimme! Sie werden im Rahmen des Projekts zu Referierenden fortgebildet, die ihre Biografie mit ihrem eigenen Themenschwerpunkt verbinden und diese Botschaft in Bildungsveranstaltungen weitergeben. Sie zeigen dadurch, dass der Klimawandel viele Gesichter hat, diverse Vulnerabilitäten und Probleme offenlegt und bestehende Ungleichheiten verschärft. Gleichzeitig demonstrieren sie aber auch, dass Menschen dazu in der Lage sind, Teil des internationalen Klimaschutzes zu werden und Probleme lösen können.


Das im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative geförderte Projekt wird noch bis 2025 von der Deutschen KlimaStiftung und dem Unabhängigen Institut für Umweltfragen durchgeführt. Bei Interesse selbst KlimaGesichter-Botschafter*in zu werden, bitte melden unter: klimaflucht@spam.deutsche-klimastiftung.de

 

UNO-Flüchtlingshilfe: Was sind Deine Aufgaben als offizieller KlimaGesichter-Referent? Wie können wir uns Deinen Einsatz im Projekt vorstellen?

Ivanko: Meine Aufgabe und auch die Aufgabe anderer Teilnehmender ist, Menschen aus unterschiedlichen Milieus und verschiedenen Hintergründen zu erreichen, damit sie etwas für das Klima tun. Dabei hat jeder von uns ein Steckenpferd, also ein Thema, für das er besonders brennt. Mein Thema zum Beispiel ist Energie, also erneuerbare Energien, denn das ist ein wichtiger Teil, um das Klima zu retten.

In den Workshops erklären wir dann, wie man auch auf einfache Art und Weise einen Beitrag leisten kann und dass das gar nicht kompliziert sein muss. Wenn jeder von uns ein bisschen klimafreundlicher agiert, dann trägt das zu etwas Größerem bei und vielleicht auch, dass dadurch gewisser Druck von Menschen entsteht und dass dadurch die Politik aufgefordert wird, klimafreundliche Gesetze zu verabschieden. Es ist sehr wichtig, dass die Menschen das Thema besser begreifen und verstehen, dass es irgendwann zu spät wird. Wir müssen schon jetzt sehr viel mehr anpacken.

UNO-Flüchtlingshilfe: Wenn Du an Dein Heimatland Ukraine denkst: Inwiefern kannst und möchtest Du mit Deiner Arbeit als KlimaGesichter-Referent auch für die Menschen dort einen Beitrag zum Klimaschutz leisten?

Ivanko: Vor meinem letzten Nervenzusammenbruch und der Aufnahme in der Klinik in Deutschland, habe ich ehrenamtlich Deutsch für Geflüchtete aus der Ukraine unterrichtet. In den Kursen habe ich dabei auch das Thema Klima integriert und dabei viele Freiwillige gefunden, die auch bei dem Projekt mitmachen möchten. Wenn ich von meiner Reise zurückkomme, möchte ich meinen Landsleuten das Thema wieder näherbringen.

Und wenn dann der Krieg einmal zu Ende ist, werden diese Menschen dann hoffentlich zurückkehren können und das Thema dort auch wieder präsenter machen.

UNO-Flüchtlingshilfe: Gibt es einen Moment in Deiner Arbeit in dem Projekt, der Dir besonders in Erinnerung geblieben ist?

Ivanko: Es gibt sehr, sehr viele schöne Momente, die mich inspiriert und etwas gelehrt haben. Eine der schönsten Erinnerungen ist vielleicht ein Abendessen, das wir nach einem Workshop hatten. Wir haben alle zusammen gekocht und uns unterhalten, es waren viele Teilnehmende aus der ganzen Welt dabei und wir haben uns zu den internationalen Erfahrungen ausgetauscht. Es war einfach unglaublich zu sehen, dass wir so verschiedene Hintergründe haben, verschiedene Religionen und Kulturen, aber uns gleichzeitig so einig sind, was das Thema Klimaschutz angeht. Wir alle wollen das Thema anpacken und jeder versucht, auf seine Art und Weise mit seinem Lieblingsthema zu erreichen, dass die Welt klimafreundlicher wird. Das Thema betrifft ja nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt. Dieser Austausch hat mich auch zu meiner Indienreise inspiriert, um mich einerseits von den Ereignissen der letzten Monate zu erholen, aber auch um zu sehen, wie die Menschen mit dem Thema hier umgehen. Und nach den ersten Tagen stelle ich fest, dass das Thema doch sehr präsent ist, auf Werbetafeln zum Beispiel.

Ich denke, wenn wir alle gemeinsam handeln, wenn wir dabei auch hartnäckig sind, dann können wir schon jetzt alle klimafreundlicher leben. Und dazu möchte ich auch meinen Beitrag leisten und das werde ich tun, auf jeden Fall.

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