blauPAUSE

Teilen

Blog

„Angekommen in deiner Stadt Dortmund“

Was sind die wichtigsten Säulen gelungener Integration und wie funktioniert das Integrationsprojekt „Angekommen“ in Dortmund? Ein Gespräch mit Projektleiter Klaus Banaszak und der Sozialarbeiterin Mirabay Lotz.

In den Jahren 2015 und 2016 flohen rund zwei Millionen Menschen in die Europäische Union, viele davon nach Deutschland. Das Ankommen im Aufnahmeland gestaltete sich nicht immer leicht. Ein großes Problem: Die Integration von jungen Flüchtlingen in das Bildungssystem. Der Verein zur Förderung innovativer Schulentwicklungen in Dortmund (kurz: schul.inn.do) hat 2015 deswegen das Projekt „Angekommen in deiner Stadt Dortmund“ für junge Flüchtlinge gestartet. Seit Anfang 2018 unterstützt die UNO-Flüchtlingshilfe das Projekt, das junge Geflüchtete auf ihrem Bildungsweg unterstützt. Wir haben mit Projektleiter Klaus Banaszak und Sozialarbeiterin Mirabay Lotz über die wichtigsten Säulen für eine gelungene Integration gesprochen und wie sich das Projekt – insbesondere seit dem Krieg in der Ukraine – entwickelt hat.

 

Was sind die Inhalte und Ziele des Projektes „Angekommen in deiner Stadt Dortmund“?


Klaus Banaszak: Das Projekt basiert auf zwei Säulen: Die eine ist die individuelle Unterstützung jüngerer Flüchtlinge beim Schulabschluss und bei ihrem beruflichen Einstieg. Die Jugendlichen kommen dann vormittags zu uns für spezielle Klassen. Die zweite Säule besteht aus einem vielfältigem Betreuungs- und Förderungsangebot nach dem Unterricht. Da gibt es unterschiedliche Kurse und einen Freizeitbereich. Wir bieten einen Ort, an dem die Jugendlichen nach der Schule erst einmal ankommen und sich treffen, austauschen und entspannen können. Dann haben wir noch Angebote, um z.B. Mathe, Englisch, Deutsch zu lernen oder an Kunst- und Sportunterricht teilzunehmen.

Die Kernidee des Projekts war eigentlich der außerschulische Bereich. Den schulergänzenden Bereich haben wir dann dazu genommen und unterstützen damit die zehn Berufskollege in Dortmund. Wir haben gemerkt: Wenn die Schüler uns schon direkt „im Schulsystem“ kennenlernen und vormittags zu uns kommen, bleiben sie häufig auch direkt im Anschluss für unser außerschulisches Angebot bei uns.

Der Zulauf ist im Moment so hoch wie noch nie: Die Schüler merken, dass sie ernst genommen werden und Hilfe bei uns erhalten. Für sie macht es oft auch einen Unterschied, ob sie bei uns oder direkt in der Berufsschule lernen, denn wir bieten im Vergleich etwas andere Inhalte und Module an: Dazu zählen beispielsweise auch Kochen, Werkunterricht oder Informationen über das Leben in Dortmund. In dem Modul geht es z.B. um Rechte und Pflichten, aber auch um Demokratieförderung. Dazu laden wir zum Beispiel die Polizei zu uns ein und machen Ausflüge, gehen raus und vermitteln so die Kultur in diesem Land.


Wie gestaltet sich dann der Übergang von der Schule zur Arbeitswelt?


Mirabay Lotz: Zum einen haben wir Module für die Schulklassen, die sich der Berufsorientierung widmen. Wir haben hierfür zum Beispiel einen Tag organisiert, an dem Firmen ihre Ausbildungsmöglichkeiten vorgestellt haben. Darüber hinaus bieten wir Bewerbungstrainings an und unterstützen bei der Suche nach Praktika. Und dann unterstützen wir Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen hier im Team die Jugendlichen ganz individuell im Bewerbungsprozess: Wir helfen bei der Kontaktaufnahme und bereiten sie auf Bewerbungsgespräche vor. Und wenn sie dann die Ausbildung beginnen, haben wir ganz viele, die bei uns auch weiterhin noch Unterstützung bekommen. Dabei geht es vor allem um die sozialpädagogische Unterstützung, etwa Hilfe bei der Beantragung von finanzieller Hilfe. Aber wir helfen auch beim Lernen während der Ausbildung: Zum einen durch ehrenamtliche Helferinnen und Helfer – das sind entweder Studierende von Fachrichtungen oder pensionierte Menschen, die in den jeweiligen Fachrichtungen den Jugendlichen helfen können. Wir haben aber auch Honorarkräfte oder angestellte Mitarbeitende, die dann auch wirklich Kurse oder Angebote für Auszubildende anbieten.

Und wir haben jetzt auch vermehrt die ersten jungen Leute, die fertig sind mit der Ausbildung, aber weiterhin unsere Angebote nutzen. Es kommen zum Beispiel immer noch junge Frauen zum Frauensport, weil sie das dann schon als ihr zweites Zuhause sehen. Gerade die Jugendlichen, die ohne Eltern nach Deutschland gekommen sind, begleiten uns sehr lange, zum Teil seit Beginn des Projekts 2015.

Klaus Banaszak: Und teilweise sind sie auch selbst aktiv in die Projekte eingebunden – etwa als Übungsleiter – und bieten dann das Training bei uns an und schulen anschließend andere Geflüchtete.

Was sind denn aus Ihrer Sicht die wichtigsten Bausteine für eine gelungene Integration von Geflüchteten?


Klaus Banaszak: Also auf jeden Fall eine gezielte Sprachförderung. Es muss sprachsensibel unterrichtet werden, sowohl in der Schule als auch später im Ausbildungsbetrieb. Wir haben es schon oft erlebt, dass es während der Ausbildung keinen Deutschunterricht oder andere adäquate Hilfen gibt. Und auch wenn das gar nicht unsere primäre Aufgabe ist, haben wir das kurzfristig übernommen.

Mirabay Lotz: Was aber auch wichtig ist, ist eine offene Gesellschaft und die Bereitschaft von Betrieben, jungen Geflüchteten eine Ausbildung zu ermöglichen. Auch wenn es im Einzelfall bedeuten kann, dass das Bürokratische vielleicht ein bisschen aufwändiger ist, etwa wenn der Aufenthaltsstatus noch nicht gesichert ist oder Amtsgänge während der Betriebszeit nötig sind. Viele der Geflüchteten haben zudem Traumata erlebt. Und da muss man auch einfach Rücksicht nehmen und offen sein. Diese Bereitschaft war 2015 noch größer die hat nachgelassen.

Klaus Basaszak: Die psychosoziale Betreuung sehe ich auch als einen sehr wichtigen Baustein an: Dass man Gesprächsangebote und Begleitung schafft. Viele Dinge werden eben auch erst nach einer längeren Betreuung sichtbar. Dabei merken wir auch, wie wichtig Sport oder auch andere, etwa kulturelle Angebote sind. Das hilft sehr, gerade bei Traumata und auch dabei, dass die Jugendlichen aus sich herauskommen. Viele, die vorher sehr ruhig und introvertiert waren, öffnen und erzählen von sich. Das ist schön zu sehen.

2015 wurde das Projekt ins Leben gerufen. Was war denn zu der Zeit aus Ihrer Sicht die größte Herausforderung, gerade in der Stadt Dortmund?


Klaus Banaszak: Die größte Herausforderung war sicherlich die Menge der Geflüchteten. Zudem kamen die Flüchtlinge aus verschiedenen Kulturen, die natürlich ganz unterschiedliche Prägungen und Voraussetzungen mitbringen. Also am Anfang gab es schon auch gewisse Spannungen zwischen den Jugendlichen – das hat sich aber komplett gelegt. Dafür haben wir zum Beispiel auch die Klassenzusammensetzung entsprechend gemischt, um einheitlichen Gruppenkonstellationen entgegenzuwirken.

Mirabay Lotz: Die Flüchtlinge wurden in Dortmund anfangs überwiegend in Lagern untergebracht, da waren auch teilweise sehr schlechte Lebensbedingungen. Und auch die Situation in den Jugendhilfeeinrichtungen waren zeitweise katastrophal, es gab zu wenig Personal. Die waren natürlich überfordert, da ist einiges schief gegangen. Da sind auch Leute durch das Raster gefallen, Jugendliche sind nach der Jugendhilfe wohnungslos geworden. Das kommt jetzt in Ausnahmefällen zwar immer noch vor, aber das war 2015 einfach vermehrt.

Klaus Banaszak: Die meisten waren auch ohne Familie da, daher also entkoppelt und teilweise traumatisiert. Das war auch eine große Herausforderung. Die Organisation war auch schwieriger als heute: Jetzt sind wir breiter aufgestellt und können die Jugendlichen gezielt fördern.

Mirabay Lotz: Eine weitere frustrierende Herausforderung war es, als 2017 und 2018 dann die ersten Geflüchteten ohne sicheren Aufenthaltsstatus mit ihren Schulabschlüssen fertig waren. Da ist im Anschluss eine Förderlücke entstanden, durch die manche junge Menschen ihre begonnene Ausbildung wieder abbrechen mussten, weil sie sie nicht finanzieren konnten. In Dortmund konnte dann aber noch vor einer bundesweiten Regelung eine individuelle Lösung für sie gefunden werden.

Die Aufnahmebereitschaft von den Betrieben war ja 2015 sehr groß. Ist diese Bereitschaft durch den Krieg in der Ukraine wieder angestiegen?


Mirabay Lotz: Man merkt auf jeden Fall, dass die Bereitschaft, ukrainischen Flüchtlingen zu helfen, sehr groß ist. Manche Förderer sagen sogar, dass sie Angebote speziell nur für ukrainische Jugendliche machen wollen. Da versuchen wir bewusst gegenzusteuern, weil sich unsere Angebote an alle Geflüchteten richten und wir da auch keinen Unterschied machen möchten.

Die meisten jungen Menschen aus der Ukraine, die gerade ankommen, sind allerdings auch noch nicht soweit, dass sie überhaupt eine Ausbildung aufnehmen könnten. Da geht es gerade vorrangig um das Ankommen. Dabei ist alles ein bisschen einfacher, weil die Menschen jetzt fast alle mit einem Aufenthaltstitel ausgestattet sind und Leistungen beantragen können. Allerdings ist etwa die Wohnsituation für viele noch nicht geregelt. Zudem sprechen viele zwar Englisch, aber haben noch keine Deutschkenntnisse.

Welche neuen Arbeitsschwerpunkte haben sich durch den Krieg in der Ukraine und das Ankommen der Geflüchteten in Ihrem Projekt ergeben?


Klaus Banaszak: Nach den Herbstferien starten in unserem Bildungszentrum sechs Klassen, die überwiegend aus ukrainischen Schülern bestehen. Hier müssen wir zusätzlich schulergänzenden Unterricht und Nachmittagsangebote installieren – da ist jetzt doch ein enormer Bedarf. Und es gibt noch viele ukrainische Flüchtlinge, die zwar ein Anrecht auf einen Schulplatz haben, aber noch nicht beschult werden können, weil Räumlichkeiten und Lehrpersonal fehlen. Da ist jetzt ganz viel im Umbruch.

Mirabay Lotz: Gerade im Nachmittagsbereich werden wir dann sicherlich auch wieder mehr Sprachkurse anbieten und unsere Freizeitangebote zum Ankommen und Kennenlernen ausbauen. Dabei bringen wir dann auch die Jugendlichen zusammen, die ganz neu nach Dortmund kommen und diejenigen, die schon länger hier sind.

Wie viele schulpflichtige ukrainische Kinder sind denn in Dortmund bisher angekommen?


Klaus Banaszak: Wir haben aktuell 1.600 Schulpflichtige, zugewiesen sind aber erst knapp 1.300 und jede Woche kommen etwa 80 bis 90 dazu. Das ist natürlich schon eine enorme Zahl, die auch auf der Warteliste stehen und das sind eben nur die Jugendlichen aus der Ukraine. Man muss bedenken, dass Jugendliche aus anderen Herkunftsländern ebenfalls warten, von daher ist das schon eine unheimliche Herausforderung.

Müssen denn alle schulpflichtigen Kinder hier direkt zur Schule gehen oder steht die allgemeine Integration gerade mehr im Vordergrund?


Klaus Banaszak: Die Jugendlichen, die eine Aufenthaltsgenehmigung haben, sind schulpflichtig und theoretisch könnten sie deswegen auch klagen und das einfordern. Auch deswegen sind die Stadt und das Land natürlich im Zugzwang. Von daher geht es in erster Linie darum, allen auch einen Schulplatz zu vermitteln. Also das ist die oberste Priorität jetzt, da wird nicht abgewartet.

Mirabay Lotz: Der Unterschied ist ja auch, dass ukrainische Flüchtlinge nicht in Ankerzentren untergebracht werden, sondern direkt in den Kommunen ankommen. Die Lücke entsteht aber dadurch, dass die Kommunen nicht darauf vorbereitet waren, so viele Schulplätze zur Verfügung zu stellen. Aus diesem Grund werden in Dortmund jetzt auch bereits geschlossene, ehemalige Schulgebäude wieder reaktiviert. Darin sehe ich aber auch ein Problem bei der Integration: Die klappt viel besser, wenn die Jugendlichen direkt an eine „reguläre“ Schule angebunden sind, weil sie dort auch ihre höheren Abschlüsse weiter machen werden. Das ist jetzt gerade eher eine Notlösung, weil die Jugendlichen natürlich beschult werden müssen, aber ideal ist es nicht.

Wie schätzen Sie die aktuelle Situation von jungen Menschen aus der Ukraine in den Schulen ein? Denken Sie, sie fühlen sich gut integriert?


Mirabay Lotz: Ich glaube das variiert, je nachdem, wie die Menschen untergebracht sind. Es gibt welche, die leben aktuell in einer lagerähnlichen Situation oder bei Familien mit fünf Leuten in einem Zimmer. Und natürlich ist da auch die Sorge um die zurückgelassene Familie, das ist für die Menschen hier sehr präsent. Dass viele ohne den Vater hierhin kommen mussten, belastet sie zusätzlich.

Wo sehen Sie aktuell Verbesserungsbedarf, um Ihre Ziele in Zukunft noch besser erreichen zu können?


Klaus Banaszak: Sicherlich wäre eine Planungssicherheit gut, also eine Verstetigung des Projekts. Aktuell planen wir immer von Jahr zu Jahr, wie wir unsere Angebote breiter aufstellen können. Dann möchten wir die Sprachsensibilität noch mehr fördern: Also kleinere Gruppengrößen anbieten, das erfordert aber wiederum natürlich mehr Lehrpersonal und auch den Ausbau der Räumlichkeiten.

Was motiviert Sie bei Ihrer Arbeit am meisten?


Klaus Banaszak: Am meisten motiviert es natürlich, wenn man merkt, dass die Jugendlichen in Deutschland angekommen sind: Sie können selbstbestimmt leben, haben eine Wohnung, haben Freunde, haben teilweise auch schon eine eigene Familie gegründet. Manche kommen dann mit einem Blumenstrauß zu uns und bedanken sich – das ist schon schön, so etwas zu sehen. Da weiß man, dass man das Richtige gemacht hat.

Mirabay Lotz: Ja, das sehe ich auch so. Und auch zu sehen, dass unsere Angebote gut angenommen werden und dass die Jugendlichen Spaß bei dem haben, was wir anbieten. Ich war zuletzt einige Monate in Elternzeit und als ich dann nach meiner Rückkehr gesehen habe, welche Fortschritte manche Jugendliche in der Zwischenzeit gemacht haben, das ist einfach toll.

Vielen Dank für das Gespräch und die interessanten Einblicke in Ihre Arbeit!

Wir freuen uns, wenn Sie Anmerkungen oder Feedback zu unseren Blogbeiträgen hinterlassen. Um eine faire und sachliche Diskussionskultur zu gewährleisten und sicherzustellen, dass die Kommentare unseren Communitystandards entsprechen, werden die Beiträge nach einer kurzen Überprüfung freigegeben.

Kommentare und Antworten

×

Name ist erforderlich!

Geben Sie einen gültigen Namen ein

Gültige E-Mail ist erforderlich!

Gib eine gültige E-Mail Adresse ein

Kommentar ist erforderlich!

* Diese Felder sind erforderlich.

Teilen Sie Ihre Gedanken mit uns.