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Arbeit und Alltag in der Flüchtlingshilfe

Das Asylverfahren stellt für die meisten Geflüchteten eine Herausforderung dar. Der Kölner Flüchtlingsrat e.V. versucht ihnen genau dabei durch das Projekt „Gut informiert durch das Asylverfahren“ zu helfen. Hila Qasem, Beraterin und Projektleiterin, hat uns einen Einblick in ihre Arbeit gewährt.

Die Ankunft in einem fremden Land bedeutet für Geflüchtete, sich in einer neuen Umgebung, mit ungewohnten Abläufen und neuer Sprache zurechtzufinden. Das Asylverfahren stellt für die meisten Geflüchteten eine Herausforderung dar. Der Umgang mit den Behörden, die Verwaltungsabläufe und die Sprachbarrieren sind dabei große Hürden. In einem fremden Land ein neues Leben aufzubauen, ist damit keine leichte Aufgabe.

Wo finden Geflüchtete Schutz nach ihrer Ankunft in Deutschland? Erstaufnahmeeinrichtungen sind hier die erste Anlaufstelle. Anschließend werden Asylsuchende mehrheitlich für einige Monate einer zentralen Unterbringungseinrichtung zugewiesen. Die Integration in die Gesellschaft über Bildungseinrichtung und Arbeit startet allerdings erst nach einer kommunalen Zuweisung. Vorher sind nur geringe Maßnahmen wie Deutschkurse und Schulungen realistisch.

Insbesondere in der ersten Zeit sind die Vorbereitung und das Verständnis des Asylprozesses für die Geflüchteten wichtig. Die Menschen in der Erstaufnahmeeinrichtung Köln werden durch das Projekt „Gut informiert durch das Asylverfahren“ durch Gruppen-Veranstaltungen und Einzelberatungen aufgeklärt.

Mehr über die Arbeit des Kölner Flüchtlingsrats

Caroline Koenen aus unserem Projektförderungsteam hat mit Hila Qasem, Beraterin und Projektleiterin, gesprochen. Hila Qasem unterstützt das vom Kölner Flüchtlingsrat e. V. initiierte Projekt.

Was motiviert Sie und Ihr Team?

Sprachbarrieren und das komplexe deutsche Rechts- und Asylsystem verhindern oft, dass Asylsuchende sich ihrer Rechte und Ansprüche bewusst sind. Sie über diese aufzuklären und dabei zu unterstützen, diese auch wahrzunehmen, sind unsere täglichen Aufgaben. Außerdem helfen wir ihnen ihre Rechte auch gegenüber gegenteiligen Auffassungen und Gesetzesauslegungen durchzusetzen sowie Untergrabungen offenzulegen. Gleichzeitig ist es teilweise frustrierend zu sehen, wie die Rechte von Asylsuchenden bei generellen Leistungen, in Sachen Gesundheit oder aufgrund ihrer Vulnerabilität übergangen werden. Und doch motiviert es umso mehr, wenn für die Betroffenen Lösungen gefunden werden und eigentliche Standards damit beibehalten werden.

Insbesondere die Aufklärung über die Anhörung ist von großer Bedeutung. So passiert es in Anhörungsvorbereitungen immer wieder, dass die Ratsuchenden relevante Asylgründe haben, die ihnen als solche nicht bewusst waren. Sie nehmen diese Erlebnisse leider häufig anders wahr, als diese aus asylrechtlicher Sichtweise bewertet werden. Als Vermittler*in zu fungieren und den Menschen dadurch zu ihrem Recht zu verhelfen, ist eine große Motivation.

Jeder Tag ist anders, genauso wie jede Anhörungsvorbereitung. Natürlich hat man eine sich im Voraus überlegte Struktur im Kopf, wenn man in ein Beratungsgespräch geht. Aber kein Fall ist wie der andere und man kann nie voraussehen, wie sich das Beratungsgespräch entwickeln wird.

Zuletzt motiviert mich und mein Team, dazu beizutragen, auch strukturelle Veränderungen in Gang zu setzen. Es ist eine insgesamt sehr erfüllende Arbeit.

Gibt es ein Kennenlernen, welches Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Die geflüchteten Menschen, die zu uns kommen, bleiben uns immer im Gedächtnis. Häufig erinnert man sich aber besonders an Personen, in deren Lage man sich sehr hineinfühlen kann.

Ich denke noch sehr oft an eine junge Frau, die ich unterstützt habe. Sie kam aus dem Iran und erzählte uns, dass sie dort mehrfach vergewaltigt und Opfer von schwerer psychischer und physischer Gewalt wurde. Sie sah keinen anderen Ausweg als die Flucht nach Deutschland, da sie wegen ihrer Stellung vor Ort und der hohen Stellung des Täters in der Regierung wenig tun konnte. Auch während ihrer Flucht wurde sie Opfer sexueller Übergriffe durch Schlepper. Nach ihrer Ankunft in Deutschland war sie höchst suizidal. Das Wohnen in der Massenunterkunft, die Corona-Pandemie, die damit zusammenhängenden Einschränkungen sowie fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten verschlechterten ihre psychische Verfassung weiter. Mehrfache Anträge unsererseits auf eine gesonderte Unterbringung außerhalb der Massenunterkunft wurden leider abgelehnt, da der Bezirksregierung keine ausreichende Evidenz für eine schwere psychische Erkrankung vorlagen. Für die Darlegung einer psychischen Erkrankung gibt es leider sehr große Hürden. Atteste, die den Ansprüchen der Behörden genügen, sind mit sehr hohen Kosten verbunden. Solche Atteste bzw. Gutachten werden wiederum durch das sehr restriktive Asylbewerberleistungsgesetz nur selten ausgestellt. Gleichzeitig fehlten bei ihrer Untersuchung allerdings auch Dolmetscher*innen. Fehlende Sprachmittler*innen in Kliniken sind leider auch ein wiederkehrendes Problem, mit dem Geflüchtete konfrontiert werden. Bei meinem letzten Gespräch mit ihr habe ich erfahren, dass sie nun in einer anderen Stadt angekommen ist und dort bereits Kontakte knüpfen konnte. Aufgrund ihres Transfers ist dann jedoch leider der Kontakt eingeschlafen.

Ich frage mich dennoch häufig, wie es ihr geht, ob sie eine angemessene psychiatrische Versorgung erhalten hat und sich weiter gut integrieren konnte.

Vor welchen besonderen Herausforderungen stehen Sie bei Ihrer täglichen Projektarbeit?

Unsere Arbeit ist emotional sehr anstrengend. Außerdem erfordert unser Tun ein hohes Maß an Empathie und Sensibilität. Um Asylsuchende rechtlich angemessen und ausführlich beraten zu können, müssen wir uns ständig im Asyl- und Aufenthaltsrecht fortbilden, aktuelle Gerichtsurteile dazu verfolgen und uns zu den politischen und rechtlichen Entwicklungen in den Herkunfts- und Dublin-Ländern informieren. Vor allem die ständigen Änderungen im Migrationsrecht müssen wir beachten.

Eine besondere Herausforderung stellt zudem der Zeitdruck dar, da Asylsuchende nur für kurze Zeit in Erstaufnahmeeinrichtungen wohnen und ihre wichtige Anhörung häufig sehr kurz nach der Ankunft stattfindet. Wir müssen uns bei neuen, komplexen Fällen daher schnell und ausführlich informieren, um stets eine gute Rechtsberatung nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz gewährleisten zu können. Und weil Asylsuchende meist recht schnell nach der Erstaufnahmeeinrichtung in eine andere Unterbringungseinrichtung verlegt werden, müssen auch die verantwortlichen Behörden sehr kurzfristig über die Bedürfnisse der Betroffenen informiert werden. Besonders herausfordernd ist das bei vulnerablen Personen – damit sind unter anderem Personen gemeint, die Traumata erlebt haben, psychisch erkrankt oder physisch eingeschränkt sind, aber auch Alleinerziehende und nicht alphabetisierte Personen. In Erstaufnahmeeinrichtungen ist es meist unmöglich die benötigte Betreuung sicherzustellen, weshalb es umso wichtiger ist diese in der zentralen Unterbringungseinrichtung sicherzustellen. Wir unterstützen dies, indem wir vulnerable Personen priorisieren und schnell handeln. Die Arbeitsbelastung ist allerdings sehr hoch, da etwa 700-800 Asylsuchende in Erstaufnahmeeinrichtungen Beratung brauchen.

Welche Herausforderungen brachte Corona mit sich?

Innerhalb der Gruppenveranstaltungen, als auch in den Einzelfallberatungen stellte uns die Corona-Pandemie vor besondere Herausforderungen. Viele Asylsuchende haben keinen vollständigen Impfschutz, weshalb wir ganz besonders auf die Einhaltung der Infektionsschutzmaßnahmen achten müssen. So mussten wir die Teilnehmer*innen Zahlen bei Gruppenveranstaltungen begrenzen, für ausreichend Platz und Lüftung sorgen, Masken sowie Desinfektionsmittel zur Verfügung stellen und Maßnahmen zur Kontaktnachverfolgung einführen. Aufgrund des Infektionsgeschehens in der Einrichtung mussten wir einzelne Veranstaltungen absagen. Zudem ist uns Aufklärung auch sehr wichtig und mithilfe verschiedener Medien haben wir Geflüchtete über das Geschehen und die Maßnahmen aufgeklärt und auf dem Laufenden gehalten.

Warum stellen Sammelunterkünfte und Erstaufnahmeeinrichtung besondere Herausforderung dar?

Durch Sammelunterkünfte besteht die Gefahr, den Fokus auf die Einzelperson zu verlieren und individuelle Bedürfnisse nicht mehr ausreichend zu erkennen. Da viele Bewohner*innen in ihren Herkunftsländern gelernt haben große Zweifel gegenüber offiziellen und staatlichen Stellen haben zu müssen, fehlt auch oft das Vertrauen in deutsche Behörden. Diesem Misstrauen kann in anonymen Unterkünften, mit teilweise nicht verständlichen und intransparenten Abläufen, schwer entgegengewirkt werden. Unsere Beratungsgespräche bieten die Möglichkeit eben diese Personen zu erreichen und die bürokratischen Abläufe zu erklären, als auch Vertrauen aufzubauen. Speziell in den Erstaufnahmeeinrichtungen fehlen unserer Ansicht nach angemessene Stellen, die den besonderen Schutzbedarf von Asylsuchenden identifizieren und ggf. eine Verfahrensunfähigkeit, Unterbringungsunfähigkeit oder sonstige Verfahrens- und Unterbringungsrelevante Bedarfe feststellen sowie entsprechende weitere Schritte einleiten. Seit Anfang letzten Jahres fördert das Ministerium für Kinder, Familien, Flüchtlinge und Integration psychosoziale Erstberatungsstellen in den zentralen Unterbringungseinrichtungen, um besondere Schutzbedarfe identifizieren zu können. Der nächste, wichtige Schritt wäre unserer Ansicht nach, diese Stellen auch in den Erstaufnahmeeinrichtungen einzurichten.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Wenn es Utopien geben würde: keine Geflüchteten mehr. Doch da aufgrund von verschiedenen Aspekten – wie leider zurzeit durch den Ukraine-Krieg deutlich wird - zukünftig wohl eher größere Fluchtbewegungen entstehen werden, wünsche ich mir sehr viel:

Als allererstes, dass der Staat und die Gesellschaft endlich erkennen, dass Zuwanderung eine Bereicherung für unsere Gesellschaft ist. Damit einhergehend, dass bessere Rahmenbedingungen geschaffen werden und mehr finanzielle Unterstützung für den Bereich Flucht und Migration zur Verfügung gestellt werden. Denn eine größere finanzielle Investition und Unterstützung von Geflüchteten würde den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken, die Integrationsperspektiven erleichtern, was wiederum einen wirtschaftlichen Nutzen hätte.

Ich wünsche mir, dass das Migrationsrecht vereinfacht und das Asylverfahren entbürokratisiert wird, sodass Betroffene ohne jegliche Sprachkenntnisse die Prozesse verstehen können, die selbst Muttersprachler*innen ohne Weiterbildung häufig nicht verstehen.

Und zuletzt wünsche ich mir, dass das Migrationsrecht EU-weit und weltweit vereinheitlicht wird und Regierungen sich einander besser unterstützen, statt sich die Verantwortung gegenseitig zuzuschieben. Es geht hierbei schließlich um grundlegende Menschenrechte und das wird zu häufig vergessen.

Gibt es noch etwas, das Sie gerne ergänzen möchten?

Wir sind sehr dankbar dafür, dass es so viele Menschen und Organisationen gibt, die unsere Arbeit anerkennen und finanziell oder ehrenamtlich unterstützen. Wir hoffen, dass wir mit unseren Projekten dazu beitragen, dass Asylsuchende hier gut ankommen und sich angemessen integrieren können. Und wir können nur hoffen, dass wir weiterhin staatliche und nichtstaatliche Unterstützung für unsere Vorhaben erhalten werden.

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