Weltweit setzen sich Geflüchtete für Black Lives Matter ein
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Als in den Vereinigten Staaten nach dem Mord an George Floyd Proteste ausbrachen, nahm sich Pastor Yves Kalala vor, seine zu großen Teilen weiße Kirchengemeinde in einem Dorf in Ontario, Kanada, bei der Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung in ihren eigenen Reihen anzuführen.
Die Entscheidung von Yves, das Thema mit seiner Gemeinde und seinen Pastorenkollegen zu besprechen, erforderte Mut. Er wuchs in der Demokratischen Republik Kongo (DRK) auf und kam 2007 als Flüchtling nach Kanada. Intoleranz und Gewalt zwangen ihn damals zur Flucht aus seinem Heimatland und es schmerzt ihn, dieser Intoleranz auch in seiner neuen Heimat zu begegnen.
"Es war nicht leicht, aber am Ende waren viele Pastoren bereit, dieses Thema anzusprechen", sagt er.
Die Kirche und seine Gemeinde haben sich daraufhin zum Engagement gegen Rassismus verpflichtet und sich bereit erklärt, neue Schulungsvideos zu diesem Thema für Führungspersönlichkeiten zu produzieren.
Wie Yves nutzen Geflüchtete in verschiedenen Teilen der Welt die Gelegenheit, den Dialog über Rassismus und Diskriminierung in den Orten, die sie jetzt ihr Zuhause nennen, voranzutreiben. Es ist ein Thema, das viele von ihnen nur allzu gut kennen.
Prudence Kalambay, 39, musste aus der DR Kongo zu fliehen, nachdem sie als politische Aktivistin und Schönheitskönigin zur Zielscheibe politischer Verfolgung wurde. Heute lebt sie in São Paulo, Brasilien. Vor ihrer Ankunft im Jahr 2008 kannte Prudence Brasilien nur aus Seifenopern im Fernsehen. Die Realität sei ganz anders als das, was sie dort gesehen habe, sagte sie. Als schwangere, schwarze Geflüchtete und Frau sah sie sich dort mit Diskriminierung konfrontiert.
Nachdem sie an Empowering Refugees teilgenommen hatte, einem vom UNHCR und anderen Partnern unterstützten Programm, das geflüchtete Frauen fördert, erkannte sie, dass ihre eigene Geschichte eine Quelle der Inspiration für andere Flüchtlinge, Mütter und schwarze Frauen sein könnte. Jetzt arbeitet sie als Künstlerin und Menschenrechtsaktivistin und plant, Internationale Beziehungen zu studieren. Sie ist dankbar für die "Black Lives Matter"-Bewegung.
"Es ist sehr wichtig, dass sich alle dessen bewusst sind, was schwarzen Menschen angetan wird"
sagte sie. "Für mich besteht der Sinn dieser Bewegung darin, ... das System zu verändern. Wir wollen soziale Gerechtigkeit, eine Garantie unserer Rechte."
Lourena Gboeah, 32, nahm mit ihrer dreijährigen Tochter an einer Demonstration zu "Black Lives Matter" in ihrer Heimatstadt Newark, Delaware, in den Vereinigten Staaten teil (sie sagte, sie habe sich aus Sorge um COVID-19 von anderen Demonstrant*innen ferngehalten).
Als schwarze Mutter sorgt sie sich um ihre Familie. Die unsicheren Zeiten ließen sie daran denken, was ihre eigene Mutter durchgemacht hat, als sie in den 1990er Jahren vor dem Krieg in Liberia floh. Jedes Mal, wenn ihr 23-jähriger Stiefsohn das Haus verlässt, sagt sie ihm, er solle keinen Kapuzenpullover tragen: Ein Kleidungsstück, das manche Menschen mit Kriminalität in Verbindung bringen, je nachdem, wer es trägt.
"Meine Eltern waren schon älter, als wir hier ankamen und sie wussten nicht, wie die Dinge hier funktionieren. Sie waren nicht in der Lage, mich darüber aufzuklären, dass ich extra hart arbeiten musste... Und in der Schule habe ich nichts über den alltäglichen oder strukturellen Rassismus in diesem Land gelernt", sagte Lourena, die jetzt als Delegierte des Refugee Congress aktiv ist, einer in den USA beheimateten Menschenrechtsorganisation. Sie hofft, ihren eigenen Kindern die Dinge mitzugeben, die ihr beim Aufwachsen fehlten. "Ich bin in der Lage, ihnen zu helfen damit sie verstehen, auf welche Themen sie achten müssen.“
Linda Kana, 28, die in Lexington, Kentucky, lebt und auch als Vertreterin des Refugee Congress fungiert, erinnert sich noch daran, dass sie sich willkommen geheißen fühlte, als sie als Flüchtling aus der DR Kongo in die USA kam. Alle haben gelächelt, sagt sie, was sie irgendwie charmant und ungewohnt fand. Aber sie hat sowohl unterschwelligen als auch offenen Rassismus erlebt. Einige Leute fragten sie, ob Afrikaner duschen. Eine Patientin, die sie in ihrem früheren Job als medizinische Assistentin betreute, erzählte ihr, dass man mit ihrem Haar den Boden wischen könne.
Als sie das Videos von Polizeibeamten sah, die Schwarze töteten, hatte Linda das Gefühl, nicht sicher zu sein, selbst nachdem ihre Familie aus der DRK geflohen war. Sie geht jetzt zu Demonstrationen und hofft, das Land für ihre Cousins, Nichten und Neffen, die ebenfalls dort sind, sicherer zu machen.
"Es ist ziemlich emotional zu sehen, wie jemand, der einen eigentlich beschützen soll, jemanden tötet, der aussieht wie man selbst", sagte Linda, die jetzt als Übersetzerin für Flüchtlinge arbeitet und eine Community-Radiosendung über afrikanische Musik und Kultur moderiert. "Es hat mich an die Tragödie erinnert, die ich damals erlebt habe. Ich war 10 Jahre lang auf der Flucht. Ich war nie sicher."
Heval Kelli, 37, ist ein ehemaliger Flüchtling aus Syrien, der als Kardiologe in Atlanta, Georgia, arbeitet. Auch er hat inzwischen die amerikanische Staatsbürgerschaft und organisierte einen Protest im nahe gelegenen Vorort Clarkston. Er sagt, dass die amerikanische Bürgerrechtsbewegung zu Gesetzesänderungen geführt habe, die mehr Flüchtlingen und Einwanderern geholfen hätten, ihr Leben in den Vereinigten Staaten wieder aufzubauen.
"Mein Volk sah sich aufgrund unserer kurdischen Identität mit Unterdrückung konfrontiert und wir glauben an die Worte Martin Luther Kings: 'Ungerechtigkeit an irgendeinem Ort bedroht die Gerechtigkeit an jedem anderen," sagt er. Kelli hat an der Morehouse School of Medicine studiert, die ursprünglich Teil des Morehouse College war, der historisch schwarzen Institution in Atlanta, an der Martin Luther King einst studierte. "Ich setze mich gegen Ungerechtigkeit ein, weil ich möchte, dass meine Kinder in Frieden aufwachsen und nicht aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Aussehens beurteilt werden".
Einige Geflüchtete sagen, dass es eine Weile gedauert hat, bis sie ihren Platz in der gegenwärtigen Bewegung gefunden hätten. Amelie Fabian, 24, floh als kleines Kind aus Ruanda und lebte mit ihrer Familie jahrelang als Flüchtling in Malawi. Mit 18 Jahren kam sie als Studentin nach Kanada, und hörte dort zum ersten Mal von der Black Lives Matter-Bewegung. Zurzeit absolviert sie ein Studienjahr in Paris, wo sie sich den Protesten angeschlossen hat.
"Meine erste Reaktion war es, mich von allem abzuwenden", sagte sie. "Und die meisten meiner Freunde taten das auch. Sie sagten: 'Wir sind Afrikaner*innen, das geht uns nichts an', aber in Wirklichkeit geht es uns etwas an, denn sobald wir in der westlichen Welt sind, sind wir keine Afrikaner*innen mehr, sondern Schwarze.“
Amelie plant in diesem Sommer nach Kanada zurückzukehren, um ihren Master in Politik abzuschließen. Ihr Ziel sei es, in Kanada für die Regierung zu arbeiten, um das Land sicherer und gerechter für alle zu machen, die dort leben.
"Ursprünglich wollte ich mich nur weiterbilden und nach Afrika zurückkehren und versuchen, Probleme auf dem Kontinent zu lösen, der mir wie meine Heimat vorkam. Aber seit ich Kanadierin geworden bin, habe ich endlich das Gefühl, ein Zuhause zu haben, und ich möchte mich in meiner neuen Heimat Kanada engagieren", sagte sie.
"Eine Staatsbürgerin zu werden, gibt einem einfach die Menschenwürde zurück, die ich am Ende des Tages als das empfinde, was die meisten geflüchteten Menschen suchen.“
Der Text wurde von Sarah Schafer in New York und Matthew Mpoke Bigg in London mit Beiträgen von Kristy Siegfried in Oxford, Großbritannien, und Gabriella Reis in Brasília, geschrieben und ist im Original auf Englisch hier erschienen.
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