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Verheerendes Feuer zerstört griechisches Flüchtlingslager Moria
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COVID-19 und die griechische Flüchtlingspolitik

Gastbeitrag: Die COVID-19 Pandemie - Eine zusätzliche Herausforderung für die Flüchtlingspolitik in Griechenland

Autor: Dr. Jens Bastian

Lesedauer: 15 Minuten

"Seit Ausbruch der Covid-19 Pandemie hat das Krisenmanagement der griechischen Regierung unter Premierminister Kyriakos Mitsotakis (im Amt seit Juli 2019) internationale Anerkennung erhalten. Die eingeleiteten Maßnahmen sind frühzeitig getroffen worden, werden mit klarer Ansprache kommuniziert und durch die Kooperation mit wissenschaftlichen Experten gestützt. Diese positive Entwicklung und ihre internationale Sichtweise haben allerdings eine Schattenseite. Die Pandemie ist auch in den überfüllten Flüchtlingslagern Griechenlands angekommen.

Mit den Grenzschließungen und Kontaktbeschränkungen in Griechenland seit Mitte März 2020 sind die ankommenden Migrationszahlen erheblich zurückgegangen. Gleichzeitig hat sich die Gesundheitssituation in den Lagern auf den Inseln Lesbos, Chios, Samos, Kos und Leros weiter zugespitzt. Der Zugang zu fließendem, sauberem Wasser, Seife, Gesundheitsinformationen und Gesundheitsversorgung ist begrenzt. Die überfüllten Lager erschweren die vorgegebenen Abstandsregeln einzuhalten.

Die griechische Regierung hat umfassende wirtschaftliche Hilfspakete für Unternehmen und Beschäftigte auf den Weg gebracht. Diese Leistungen sind aber kaum auf Flüchtlinge und Migranten in den Hotspots zugeschnitten. Durch ihren Status als Asylsuchende und ihre Tätigkeit in der informellen Ökonomie können sie keine Arbeitslosenunterstützung erhalten 1 .

Bisher sind drei Flüchtlingslager auf den Inseln Chios und Lesbos sowie in Kranidi in Südgriechenland wegen des Virus unter Quarantäne gestellt worden. In Ritsona, 75 Kilometer von Athen, sind mindestens 23 der 2.700 Bewohner mit dem Coronavirus infiziert. Ein Vorort von Larissa in Zentralgriechenland, in dem etwa 3.000 Roma leben wurde ebenso unter Quarantäne gestellt nachdem mindestens 12 Einwohner positive auf Covid-19 getestet worden waren.

Durch die landesweite Verbreitung des Coronavirus hat die anhaltende Diskussion um die Unterbringung von Flüchtlingen und Migranten eine neue Dimension erhalten. Die Konzentration von Flüchtlingen in den überfüllten sog. Hotspots und die mangelnde Testkapazitäten haben dazu geführt, dass abermals eine schleichende Stigmatisierung von Flüchtlingen und Migranten stattfindet. In zahlreichen Zustandsbeschreibungen des Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) wird die Situation in den Flüchtlingslagern auf den Ägäischen Inseln entweder als katastrophal oder besorgniserregend beschrieben. Wegen der Coronavirus Kontaktbeschränkungen dürfen Asylberechtigte die Lager nicht verlassen. Die Bedingungen haben sich ebenso durch die Entscheidung des Migrationsministers Notis Mitarakis Ende April 2020 zugespitzt, den geplanten Transfer von 2.300 Mitgliedern aus „gefährdeten Gruppen“ auf das Festland vorerst ersatzlos zu streichen.

Die Nothilfe des UNHCR in Griechenland, die von der UNO-Flüchtlingshilfe als nationalem Partner aus Deutschland kürzlich mit einer halben Millionen Euro unterstützt wurde, trägt vor Ort dazu bei, Schutzmaßnahmen gegen Covid-19 bereitzustellen. Eine erste Gruppe von unbegleiteten Flüchtlingskindern aus Griechenland ist am 18. April nach Deutschland gekommen. Die 42 Kinder und fünf Jugendlichen wurden in eine Quarantäne-Einrichtung des Landkreises Osnabrück gebracht. Dort blieben sie zwei Wochen, bevor sie auf verschiedene Bundesländer verteilt wurden. Laut Bundesinnenministerium sollen bis zu 350 unbegleitete Minderjährige nach Deutschland kommen. Finnland erklärte sich Ende April bereit, 100 unbegleitete Minderjährige und 30 Erwachsene aus Griechenland aufzunehmen. Ebenso nahm Luxemburg im April 12 unbegleitete Minderjährige aus Griechenland auf. Das Vereinigte Königreich hat am 11. Mai insgesamt 52 minderjährige Flüchtlinge in einem Sonderflug aus Athen aufgenommen. Portugal hat sich ebenso bereit erklärt, 60 unbegleitete Minderjährige aufzunehmen.

Massenproteste gegen Flüchtlingslager

Noch vor Ausbruch der Covid-19 Pandemie hatten Mitte Januar 2020 zahlreiche Menschen auf den griechischen Mittelmeerinseln mit einem Generalstreik gegen die überfüllten Flüchtlingslager protestiert. „Wir wollen unsere Inseln zurück, wir wollen unser Leben zurück", lautete der Slogan der Protestaktionen. Der wachsende Unmut in großen Teilen der Bevölkerung auf den ägäischen Inseln war dem Umstand geschuldet, dass sie mit ihrer Geduld am Ende sind und sich sowohl von Athen als auch von der EU in Brüssel im Stich gelassen fühlen.

Vor diesem Hintergrund erwog die Regierung von Premierminister Kyriakos Mitsotakis ein Bündel von Sofortmaßnahmen. Am umstrittensten war der Vorschlag, Flüchtlinge mit „schwimmenden Sperren“ in der Ägäis an der Weiterfahrt zu stoppen. Was wie ein Akt der Verzweiflung aussah, riskierte, durch „schwimmende Barrieren“ nicht nur die Boote mit Flüchtlingen zu kentern, sondern ebenso eine humanitäre, auf Rechte und Pflichten basierende Migrationspolitik auszuhöhlen.

Der Ausbau der „Festung Europa“ in der Ägäis wurde allerdings durch das Vorgehen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan Anfang März auf eine völlig andere Rechtfertigungsstufe gehoben. Seit Anfang des Jahres wurde die griechische Regierung wiederholt durch Präsident Erdogan damit konfrontiert, die türkische Grenze am Grenzfluss Evros zu öffnen und damit Flüchtlingen sowie Migranten die Ausreise zu gestatten. Tausende hofften auf Einlass nach Griechenland. Eine drohende Eskalation konnte durch die griechische Armee, Einheiten der EU-Grenzschutzagentur Frontex und einem Paket aus Sofortmaßnahmen der EU vermieden werden.

Das türkische Vorgehen, Flüchtlinge und Migranten als Erpressungspotential gegenüber dem Nachbarland und der EU einzusetzen, wurde in Griechenland einhellig mit Empörung zurückgewiesen 2 . Am 1. März beschloss die Regierung Mitsotakis, das Recht auf Asylbegehren für einen Monat auszusetzen. Die einseitige Suspendierung des Asylrechts durch die Regierung war allerdings nicht durch EU-Recht gedeckt, wurde aber politisch in Brüssel geduldet. Dieses Vorgehen, so umstritten es erscheinen mag, geschah unter Berufung auf einen Notstand, i.e. den notwendigen Schutz der griechischen Ostgrenze in Thrazien 3. Anders gesagt, was rechtlich verboten war, sei in der Not geboten gewesen.

Die Verschärfung der Asylrechtsverfahren wird ergänzt durch striktes Vorgehen der Hellenischen Küstenwache. Ihr neues Dogma heißt „aggressive surveillance“. In praktisches Handeln übersetzt bedeutet dies eine Kombination aus Abschreckung und die entschiedene Umsetzung existierender Handlungsmöglichkeiten. Das Ergebnis dieses neuen Kurses in der Ägäis ist eindeutig: Die Anzahl von Flüchtlingen und Migranten, die versuchen, über den Seeweg an die griechische Küste zu gelangen, ist praktisch auf Null gesunken. Das letzte Boot, welches erfolgreich Griechenland erreichte, legte am 01. April mit 39 Migranten an Board in Lesbos an. Seit diesem Stichtag hat die Hellenische Küstenwache in Kooperation mit der Europäischen Grenzschutzbehörde Frontex 17 verschiedene Anlegeversuche gestoppt 4 .

Trotz dieses Rückgangs bleibt die Zahl der Asylsuchenden in Griechenland erheblich. Nach Angaben des UNHCR beläuft sich deren Zahl auf 120.000 (Kathimerini, 07. Mai 2020). Insgesamt 39.700 Asylsuchende befinden sich auf fünf verschiedenen Inseln in der Ägäis, während 80.300 auf dem griechischen Festland verharren. Die fünf Lager waren aber nur für insgesamt 5.400 Personen geplant gewesen.


Ausblick:

Durch die Konzentration auf das Krisenmanagement der Regierung während der Covid-19 Pandemie haben Flüchtlinge und Migranten gegenwärtig weniger Gehör in der griechischen Öffentlichkeit. Wenn überhaupt, dann ist der (negative) Anlass für eine Berichterstattung entweder ein weiteres Feuer in einem der Hotspots, eine Infektion, die sich auszubreiten droht oder der Protest von Menschen hinter Zäunen und Absperrungen.

Hinzu kommt ein Anschlussproblem für die zahlreichen in- und ausländischen NGOs vor Ort. Ihre finanziellen Mittel sind zunehmend begrenzt und z.T. auch durch Umdisponierung zur Bekämpfung des Coronavirus geprägt. Der Ruf mancher NGO ist in der griechischen Öffentlichkeit durch Medienberichte über finanzielle Schlamperei, Korruptionsanschuldigungen und mangelnde Professionalität mittlerweile arg in Frage gestellt (siehe z.B. Kathimerini 02. Februar 2020). Die Stimmung in Teilen der Bevölkerung auf verschiedenen Inseln mit sog. Hotspots hat sich seit 2015 schrittweise verändert. Aus Solidarität und Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen und Migranten ist eine wachsende Desillusionierung gegenüber Athener Behörden und Brüsseler EU-Institutionen festzustellen. Die öffentliche Berichterstattung schaut zunehmend kritisch auf das Wirken von staatlichen Stellen in Athen, einzelnen griechischen Hilfsorganisationen und ausländischen NGOs. Der kritische Blick bezieht sich auf die Verwendung von Spendengeldern, das beschäftigte Personal und die Transparenz von Abrechnungen, z.B. was die der Anzahl der Essenausgaben in Flüchtlingslagern betrifft oder die Zweckentfremdung von finanziellen Mitteln. Festzuhalten bleibt, dass die mediale Berichterstattung in Griechenland und die jahrelangen Erfahrungen der Inselbewohner nicht mehr uneingeschränkt positiv gegenüber der Arbeit einzelner NGOs ist.

Die existierenden Bewegungseinschränkungen in den sog. Hotspots sind von der Athener Regierung vorerst bis 18. Mai verlängert worden. Die Flüchtlinge und Migranten können nur mit schriftlicher Genehmigung das Lager verlassen. Die ohnehin katastrophalen Lebensbedingungen in den Lagern sind durch die Covid-19 Pandemie nochmals in ein anderes Licht gerückt worden. Es fehlt an medizinischen Schutzmasken, die hygienische Lage ist kaum zu kontrollieren und die Enge der überfüllten Lager erschwert jeglichen Versuch, sich an sog. „social distancing“ Regeln zu halten.

Die Mitsotakis-Regierung wird demnächst auch den Entwurf für ein neues Flüchtlingsgesetz im Parlament einbringen. Ein umstrittener Passus des Entwurfes regelt, dass finanzielle Mittel des Migrationsministeriums für „classified national needs“ umgeleitet werden können. Stimmen der parlamentarischen Opposition befürchten darin eine schrittweise Aushöhlung des Asylrechts."

Athen, 12. Mai 2020

Jens Bastian ist Senior Policy Analyst bei dem griechischen Think Tank ELIAMEP (Hellenic Foundation for European & Foreign Policy). Zwischen September 2011 und September 2013 war Dr. Jens Bastian Mitglied der Task Force for Greece der Europäischen Kommission.

Seit Oktober 2013 hat sich Jens Bastian als freier Wirtschaftsberater und Finanzmarktanalyst in Athen niedergelassen. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Chinas Neue Seidenstrasse als Einflussfaktor in Südosteuropa und deutsche-griechische Wirtschaftsbeziehungen.

Quellenhinweise

1 Die portugiesische Regierung geht einen anderen Weg. Sie hat allen Immigranten, die ein laufendes Asylverfahren haben, eine zeitlich befristete Aufenthaltsgenehmigung gegeben. Damit werden diese Menschen in die Lage versetzt, Zugang zu bestimmten Sozialleistungen zu erhalten.

2 Am 10. März verglich der türkische Präsident Erdogan das Vorgehen der Griechen zur Grenzsicherung mit dem der Nazis. In einer Fernsehansprache behauptete er „Es gibt keinen Unterschied zwischen dem, was die Nazis getan haben, und den Bildern von der griechischen Grenze“. Zudem bezeichnete Erdogan die griechischen Verantwortungsträger als „Barbaren“ und „Faschisten“.

3 Das Vorgehen der griechischen Behörden ist auch noch aus einem anderen Grund höchst umstritten. Wiederholt ist in internationalen Medien darüber berichtet worden, dass Griechenland sog. “black sites” (geheime Auffanglager) unterhalte. Dies wird von Athener Regierungsseite energisch bestritten.

4 2019 erreichten insgesamt mehr als 27.000 Flüchtlinge griechische Inseln. Diese Anzahl entsprach dem addierten Wert von 2017 und 2018 zusammen (Die Zeit, 11. März 2020).

 

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Die hier geäußerten Ansichten und Standpunkte sind die des/der Autor*in und geben nicht notwendigerweise die Positionen der UNO-Flüchtlingshilfe oder des UNHCR wieder.

 

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