Eine Fluchtgeschichte über Menschlichkeit in unmenschlichen Zeiten
Die 14-jährige Marzia muss mit den Eltern, der kleinen Schwester und den Großeltern vor einem plötzlichen Raketenbeschuss fliehen. Zurück bleibt das nagelneue Bett, das sie so gern aufbauen wollte.
Im Auto des Großvaters, das vollgestopft ist mit ihrem ganzen Hab und Gut, irrt die Familie über das Land. Die angespannte Atmosphäre im Auto, der Streit zwischen den Familienmitgliedern und die gereizten Unterhaltungen spiegeln die Furcht und Verzweiflung der Flüchtenden wider. In Marzias Wahrnehmung stehen sie, eingepfercht in das Auto, stundenlang im Stau und nehmen immer wieder eine falsche Abzweigung auf der Suche nach dem Weg zur rettenden Grenze. Ob dies wirklich die Rettung ist, weiß allerdings niemand, denn der Grenzübergang wird beschossen.
Während der Fahrt versucht Marzia sich abzulenken, indem sie die Erlebnisse aufschreibt. Das einzige Papier, das ihr dafür zur Verfügung steht, ist eine Aufbauanleitung, deren einzelne, in rudimentäres Deutsch übersetzten Schritte, als skurrile Kapitelüberschriften dienen.
Ähnlich wie vorbeiziehende Stationen der Fahrt, folgen die Gedanken und Beobachtungen Marzias hastig und grotesk aufeinander. Wären nicht der ernste Hintergrund und die beängstigende Atmosphäre, könnte man die Irrfahrt der Familie komisch finden. Doch am Straßenrand lauern die Gefahren des Krieges: Sprengfallen, bewaffnete Männer und traumatisierte Menschen.
Marzias Aufzeichnungen sind durchbrochen von unwirklichen Erlebnissen, wie dem Gewitter, das in einen Haufen verschrotteter Fernseher einschlägt und die Bildschirme zum Flackern bringt.
Auf ihrem Weg begegnet das Mädchen schließlich auch einem Schriftsteller, dem sie ihre Aufzeichnungen in zwei verschlossenen Briefumschlägen übergibt, da niemand sagen kann, ob sie die Weiterfahrt überleben wird.
Für Leserinnen und Leser ab 14 Jahren.
Fazit
Marzias Erinnerungen über die Flucht sind bruchstückhaft aneinander gereiht. Um der Geschichte folgen und die Ereignisse einordnen zu können, ist ein gewisses Hintergrundwissen über Krieg und seine Folgen für die Zivilbevölkerung erforderlich. Die surrealen und düster beschriebenen Erlebnisse und auch das offene Ende lassen viel Interpretationsspielraum zu. Sie stehen im Kontrast zu den alltäglichen Familienbeziehungen. Dabei spiegeln sie auch die Ohnmacht und Unfassbarkeit gegenüber dem plötzlichen Ausbruch eines Krieges wider, der dazu führt, dass eine ganz normale Familie mit Tod und Gewalt konfrontiert ist.
Eine beeindruckende und vielschichtige Erzählung – die man nicht so schnell vergisst.
Elektrizität und Himmelsfische
dtv, Reihe Hanser, 2024
Autoren: Andrej Bulbenko , Marta Kajdanowskaja
ISBN : 978-3-423-44480-4
EUR 12.99