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"All we need ist Radio Gargaar" - Wie Flüchtlingskinder doch nicht zu Verlierern werden müssen

Über die dramatische Lage der Bildung für Flüchtlinge in Zeiten von Corona - Resümee des UNHCR-Bildungsberichtes

Autor: Marius Tünte

Lesedauer: 7 Minuten

Einen Text über Bildungschancen von Flüchtlingskindern mit statistischen Zahlen zu beginnen liegt nahe. Oder mit einem Zitat eines der besten Fußballer der Welt, Mohammed Salah vom FC Liverpool, der sich für bessere Schulbildung für Kinder engagiert. Denkbar wären auch Appelle hoher Repräsentanten des UNHCR, dessen nationaler Partner die UNO-Flüchtlingshilfe ist, an Weltgemeinschaft und Zivilgesellschaft.

Ich starte mit einer Anspielung auf Queen: All we need is Radio Gargaar

Heute hat das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) seinen jährlichen Bildungsbericht veröffentlicht. Inmitten von Krieg und Konflikten wird Bildung oft als Luxus angesehen. Doch Bildung ist ein Menschenrecht und sie ist unverzichtbar, um Flüchtlingen wieder Hoffnung und Perspektive zu geben.

Was sagen die Zahlen ?

Die Daten basieren auf Berichten aus zwölf Ländern, die mehr als die Hälfte der Flüchtlingskinder weltweit beherbergen. Und die Ergebnisse sind ernüchternd:

  • Während 77 Prozent der Flüchtlingskinder in die Grundschule gehen, besuchen nur 31 Prozent der Jugendlichen die Sekundarschule.
  • Lediglich 3 Prozent der jungen Flüchtlinge sind in einer Hochschule eingeschrieben.


Das alles war vor Corona.

Negative Folgen der Pandemie

Zwar haben auf der ganzen Welt Schüler*innen unter den Auswirkungen der Pandemie gelitten, geflohene Kinder sind aber noch zusätzlich benachteiligt. Vor der Pandemie war die Wahrscheinlichkeit, dass ein Flüchtlingskind keine Schule besuchen kann, doppelt so hoch wie die eines anderen Kindes. Dieses Ungleichgewicht wird sich jetzt noch weiter verstärken und viele Flüchtlingskinder werden nicht zum Unterricht zurückzukehren können. Gründe sind zum einen Schulschließungen, fehlender Zugang zu digitalen Technologien und zum anderen zu hohe Kosten für Unterricht, Schuluniformen und Bücher für Familien, die aufgrund der Corona-Schutzmaßnahmen jede Einkommensmöglichkeit verloren haben.

Für Flüchtlingsmädchen ist die Situation besonders dramatisch. Sie haben bereits jetzt weniger Zugang zu Bildung als Jungen und die Wahrscheinlichkeit, dass sie in der Sekundarstufe in die Schule gehen, halbiert sich. Auf der Grundlage von UNHCR-Daten schätzt der Malala-Fonds, dass infolge von COVID-19 die Hälfte aller Flüchtlingsmädchen in der Sekundarschule nicht mehr zurückkehren wird, sobald die Klassenräume wieder geöffnet sind.

Den UNHCR-Bildungsbericht "Coming Together for Refugee Education" („Zusammen für die Bildung von Flüchtlingen“) können Sie in unserer Mediathek als pdf herunterladen.

UNHCR-Bildungsbericht 2020

Corona-Pandemie trifft Flüchtlingskinder besonders hart

Frank Remus, Repräsentant des UNHCR in Deutschland betont, dass Einschränkungen durch die Pandemie Flüchtlingskinder viel härter getroffen haben als deutsche Kinder. Seit März seien zwar aufgrund der bundesweiten Schulschließungen viele innovative digitale Angebote entstanden. Kinder aus Flüchtlingsfamilien hätten aber oftmals die notwendigen technischen Tools für diese Unterrichtsformen nicht, keinen ruhigen Platz zum Lernen und die Eltern könnten aufgrund von Sprachbarrieren oder dem eigenen Bildungshintergrund nicht ausreichend Unterstützung anbieten. Eine gezielte Förderung wäre also wichtiger denn je.

Radio Gargaar zeigt Perspektiven auf

Das alles sind Zahlen und Einschätzungen, die nachdenklich und traurig machen. Und da hilft es nur bedingt, den Queen-Song „Radio Gaga“ laut aufzudrehen.

Viel mehr zeigt das Beispiel des kenianischen Senders Radio Gargaar, was nötig ist, um Nachdenklichkeit, vielleicht auch Frust, umzudrehen in Perspektive und Innovation. Denn für viele Schüler*innen im Flüchtlingslager Daddab in Kenia heißt es „All we need is Radio Gargaar“.

Amina gibt Fern-Unterricht im Radio

In normalen Zeiten würde Amina Hassan vor einer Klasse von 100 Kindern in einer Schule im Flüchtlingscamp Dadaab im Osten Kenias stehen. Derzeit ist sie jedoch zu einer Radiomoderatorin geworden, mit einer der weltweit ungewöhnlichsten interaktiven Telefon-Radio Sendungen.

Dadaab hat mehr als 67.000 Schüler*innen, die auf nur 22 Grund- und sechs weiterführende Schulen verteilt sind. Diese bieten den Flüchtlingskindern und -jugendlichen zusammen mit den Schüler*innen aus den Gastgebergemeinden eine in Kenia anerkannte Ausbildung.

Nach der Schließung aufgrund der COVID-19 Maßnahmen, fiel landesweit sehr viel Unterricht aus. Armina als qualifizierte Lehrerin in Kenia nutzt den Rundfunk, um die Unterrichtsstunden an ihre fünfte Klasse über den Gemeindesender zu übertragen. Der Sender Radio Gargaar heißt übersetzt aus dem Somalischen „Hilfe“ oder „Unterstützung“.

Manchmal rufen sie den Sender an, um mir Fragen zu stellen. Ich glaube, sie lernen, auch wenn ich sie nicht sehen kann.
 

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Lehrerin Amina

 

Innovative Unterrichtsförderung nötiger denn je

Gleichzeitig haben der UNHCR und Partnerorganisationen die schulische Zwangspause genutzt auf vorhandene Schulprogramme aufzubauen. Darin eingeschlossen ist das Instant Network Schools (INS), welches von der Vodafone Stiftung unterstützt wird. Im Rahmen der INS werden Schulen und Gemeindezentren mit einem Multimedia Center erweitert. Darin enthalten sind digitale Materialien wie Tabletts, Laptops, Projektoren, Lautsprechersysteme sowie ein Solarenergiesystem für die Elektrizität. Eine Verbindung über Satelliten und mobile Netzwerke stellt sicher, dass Schüler*innen Zugriff auf digitale Lernmaterialien haben.

Der UNHCR bemüht sich, dass Flüchtlingskinder zu jeder Zeit eine Schule besuchen können bzw. Zugang zu Bildung haben – möglichst auch während der akuten Nothilfe. Und das weltweit.

Wenn Schüler nicht in die Schule dürfen... kommt die Schule zu ihnen

Tanzen, Singen, Malen – und lernen, wie man sich vor dem Corona-Virus schützt – das ist die Agenda einer jungen Gruppe an Venezolanern in La Paz, Bolivien. Die Kinder können derzeit nicht in die Schulen, also kommt die Schule zu ihnen.  Aula Mobile (Mobiles Klassenzimmer) ist ein Projekt, geleitet vom UNHCR und Partnerorganisationen. Es ist für venezolanische Flüchtlings- und Migrantenkinder, die wegen der Corona-Maßnahmen keinen Zugang zu formaler Bildung, Fernunterricht oder Freizeitaktivitäten haben.

Aula Mobile gibt Kindern und Familien die Möglichkeit, ihrer Energie und ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen. Auch wenn die Mitarbeiter*innen von Kopf bis Fuß in Schutzkleidung sind, gewöhnen sich auch die Jüngsten schnell daran und nehmen die vielen Informationen über den Virus, der ihr Leben drastisch verändert, schnell auf.

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Bolivien

 

Es geht um die Zukunft unserer Kinder - wir alle sind gefordert

Solche Projekte sind nur dank unserer Spender*innen möglich, die mit ihrem Engagement die Arbeit vor Ort erst umsetzbar machen. Dadurch bekommen Flüchtlingskinder eine Chance, ihre Talente zu entdecken und Perspektiven zu entwickeln und ihre Zukunft mitzugestalten.

Der UNHCR-Bildungsbericht fordert die Regierungen, den Privatsektor, die Zivilgesellschaft und andere wichtige Interessengruppen auf, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Die nationalen Bildungssysteme müssen gestärkt und zertifizierte Ausbildungen ermöglicht werden. Zudem ist die Finanzierung von Bildung zu sichern. Ohne ein solches Vorgehen, warnt der Bericht, riskieren wir eine verlorene Generation von Flüchtlingskindern, denen die Bildung vorenthalten wird.

Nur relativ selten zitiert man einen Fußballer im Zusammenhang mit Bildung. Mohammed Salah, ägyptischer Nationalspieler vom FC Liverpool, bringt allerdings in seinem Schlusswort des Berichts alles Wesentliche auf den Punkt:

Wenn nicht jeder seinen Teil dazu beiträgt, werden Generationen von Kindern - Millionen von ihnen in einigen der ärmsten Regionen der Welt - eine düstere Zukunft vor sich haben. Aber wenn wir als Team, als eine Einheit arbeiten, können wir ihnen die Chance auf eine würdige Zukunft geben, die sie verdienen. Lassen wir uns diese Chance nicht entgehen.

 

Sie können uns dabei helfen, Flüchtlingen den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Wie? Ganz einfach mit Ihrer Online-Spende.
 

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