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"Viele bittere Geschichten und Angst vor der Zukunft"

Andreas arbeitet in Jordanien. Im Interview erzählt er von der Situation syrischer Flüchtlinge und der rasant steigenden Armut vor Ort.

Ein Jahrzehnt voller Gewalt, Vertreibung und Exil hat zur Hoffnungslosigkeit vieler Millionen Menschen und Perspektivlosigkeit für eine ganze Generation geführt. Es ist dir größte Flüchtlingskrise unserer Zeit - und der UNHCR ist seit Beginn der Krise vor Ort, um die Geflüchteten zu unterstützen.

Andreas Kirchhof arbeitet als Senior Communications Officer für den UNHCR im Regionalbüro in Amman. Im Gespräch mit Svenja von Reuss erzählt er uns von der aktuellen Lage vor Ort und warum die Not der Menschen immer größer wird.

Derzeit bist du in Jordanien im Einsatz. Wo arbeitest du gerade genau und was sind deine Aufgaben?
Ich bin für Kommunikation zuständig, d.h. ich schreibe Presseerklärungen, beantworte Medienanfragen, etc. Unser Regionalbüro in Amman unterstützt die Länderbüros im ganzen Nahen Osten und in Nordafrika. In der Region gibt es viele humanitäre Krisen: Syrien, Jemen, Libyen, ...

Wie sieht dein Alltag während COVID momentan aus?
Derzeit sitze ich zuhause am Schreibtisch. Ins Büro gehe ich nur hin und wieder, denn hier in Jordanien steigen die COVID-19-Zahlen und an manchen Tagen darf man nicht mal mehr auf die Strasse gehen. Viel läuft wegen der COVID-19-Krise per Email, Telefon und Online-Meetings, inklusive der Unterstützung für unsere Teams vor Ort.

Wie können wir uns die aktuelle Situation von syrischen Flüchtlingen in der Region vorstellen?  
Viele haben es wirklich sehr schwer, schlagen sich mit schlecht bezahlten Jobs von Tag zu Tag durch, wohnen auch heute – zehn Jahre nach Beginn der Syrienkrise – noch in schlechten Unterkünften. Vor ein paar Wochen gab es in der gesamten Region einen starken Wintereinbruch, mit Schneestürmen. Da war die Not umso sichtbarer. Zum Glück hatten die Bedürftigsten Hilfe für Heizöl oder warme Decken und Kleidung von UNHCR erhalten.


Wie und wo leben die meisten von ihnen – in Städten oder in Camps? Können sie arbeiten, die Kinder zur Schule gehen?
Die Mehrheit der syrischen Flüchtlinge lebt in den Nachbarländern Syriens – Jordanien, Irak, Libanon, Türkei. Zum Glück wohnen immer weniger in Camps und die grosse Mehrzahl in Dörfern und Städten, wo sie im Idealfall ein halbwegs normales Leben führen können. Viele Kinder wollen zur Schule gehen, können es aber nicht. Kinderarbeit ist ein Problem, für manche ist es eine Überlensstrategie.

Wie hat Covid-19 die Situation verändert?
Wirklich dramatisch! Und damit meine ich auch die wirtschaflichen Auswirkungen, die wachsende Armut. Um die Flüchtlinge und ihre Aufnahmegemeinden besser vor der Pandemie zu schützen, haben wir gleich ganz am Anfang in allen Ländern mit den Gesundheitsbehörden gearbeitet, Krankenhäuser erweitert, Informationskampagnen gestartet. Und bisher muss man sagen, dass das viel geholfen hat.  

Was mir sehr große Sorgen macht, ist die rasant steigende Armut während der Pandemie. Viele haben ihr Einkommen verloren, brauchen Nothilfe.

Der Syrienkonflikt jährt sich diesen März bereits zum zehnten Mal. Wie gehen die Flüchtlinge damit um, dass sie schon so lange aus ihrer Heimat vertrieben sind? Haben Sie noch Hoffnung?
Hoffnung sicher, aber wenige denken, dass sie bald zurückkehren können. Wenn man die Flüchtlinge fragt, hört man viele bittere Geschichten, von Angst um die Zukunft, von Zweifeln über die Rückkehr.

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Was hat sich in den letzten zehn Jahren für Flüchtlinge in Ländern wie Jordanien, dem Libanon oder der Türkei verändert?
Die Aufnahmeländer haben viele positive Initiativen gezeigt, oft gemeinsam mit Hilfsorganisationen. Zum Beispiel hat sich in der Türkei der Anteil der Flüchtlingskinder, die zur Schule gehen können, innerhalb von ein paar Jahren verdoppelt. Jordanien hat immer mehr Flüchtlingen Arbeitsgenehmigungen erteilt.
Aber nun sehen wir mit der steigenden Armut deutliche Verschlechterungen.

Im Libanon ist es am dramatischsten, dort leben inzwischen neun von zehn syrischen Flüchtlingen in extremer Armut und wissen nicht, was der nächste Tag bringt.

Wie hilft der UNHCR vor Ort?
Unsere Kollegen sind vor Ort in der ganzen Region, unterstützen ganz besonders die Flüchtlinge, die den größten Risiken ausgesetzt sind. Das sind zum Beispiel Frauen, die alleine ihre Familie durchbringen müssen, alte Menschen oder Opfer von Gewalt. Hier können wir mit psychosozialer oder rechtlicher Unterstützung of viel bewirken. Daneben helfen wir auch mit ganz konkreten, handfesten Dingen, z.B. mit Unterkünften. Häufig erhalten besonders bedürftige Flüchtlinge auch Finanzhilfen, um lebensnotwendige Dinge selbst kaufen zu können. Das ist in der COVID-19-Krise noch wichtiger geworden.
In Syrien selbst hat UNHCR allein im letzten Jahr hunderttausenden von Menschen auf der Flucht mit dem nötigsten geholfen: mit Hilfsgütern wie Planen oder Decken, Unterkünften und medizinischer Hilfe.

Welche Begegnung hat dich besonders berührt?
In Zaatari, einem der größten Flüchtlingslager der Welt, hat mich ein junger Mann zu sich nach Hause eingeladen, in seinen Wohncontainer, mir von seinen Kindern erzählt und von seinen Hoffnungen für sie. Beim Kaffee hat er mir stolz die Pokale der von ihm trainierten Fussballmannschaft gezeigt. Die Aufgabe als Trainer hat ihm sichtbar ein Stück Stabilität und Kraft gegeben. Ich habe mir in dem Moment auch vorgestellt, was aus der Familie geworden wäre, wenn Jordanien sie nicht als Flüchtlinge aufgenommen hätte.

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