Ukraine: Ein Blitz und plötzlich alles Schwarz
Volodymyr Zayika hatte sich mit seiner Frau Valentyna während des Bombardements im Keller ihres Hauses im Osten der Ukraine versteckt, als das Licht ausging. Ein Einschlag hatte die Stromversorgung unterbrochen. Volodymyr ging nach draußen, um die Leitungen zu kontrollieren, als er spürte, wie sein Fuß an einem Draht hängen blieb.
“Es gab einen Blitz,” erinnert sich der 71-Jährige. “Zu meiner Rechten zischte etwas - dann eine Explosion und dann war alles Schwarz.”
Volodymyr lag in einer Rauchwolke auf dem Boden, mit Blut bedeckt. Er hatte Wunden am Kopf, am Oberkörper, der Leiste und den Beinen. Zwei Nachbarn legten ihn auf einen Karren und brachten ihn zum nächsten Checkpoint. Von dort wurde er ins Krankenhaus gebracht.
“Die Röntgenaufnahme zeigte, dass er 31 Wunden hatte,” erzählt Valentyna. Da sie niemand während der Kämpfe zum Krankenhaus fahren konnte, packte die ehemalige Grundschullehrerin eine Tüte mit ein paar Kleidern und lief zu Fuß dorthin. Nach einem Monat im Krankenhaus, stand das Ehepaar vor dem Nichts: in ihren Heimatort konnten sie nicht mehr zurückkehren - die Einwohner waren alle vor den Kämpfen geflohen. Jetzt leben Volodymyr und Valentyna in der Wohnung eines Verwandten in Toretsk, nur 15 Kilometer von der Frontlinie entfernt.
Was Volodymyr und Valentyna erlebt haben, ist keine Seltenheit in der Ukraine – eines der Länder mit den meisten Landminen. 2018 waren 43 Prozent der Verletzungen von Zivilisten in der Ukraine auf Landminen und nicht explodierte Munition zurückzuführen. Für Kinder sind Minen und Blindgänger die häufigste Unfallursache.
Nach einem Bericht von Landminen Monitor hat sich die Zahl der zivilen Opfer von Minen in der Ukraine in den ersten neun Monaten des Jahres 2022 nach dem russischen Einmarsch, gegenüber dem Vorjahr verfünffacht.
Riskante Lebensrettung
In der Ukraine riskieren Minenexperten täglich ihr Leben um andere vor dieser tödlichen Gefahr zu schützen. Eine von ihnen ist die 37-jährige Tetiana Nikoforva. Die junge Frau weiß genau, was sie tut, nachdem ihr Schwager durch eine Mine starb, die neben ihm explodierte. „Ich habe mich irgendwann gefragt, warum es so viele Opfer gibt“, erzählt Tetiana. “Dann fand ich heraus, wie extrem unsere Felder mit Landminen verseucht sind und ich begann darüber nachzudenken, wie ich dies ändern könnte.” Heute arbeitet Tetiana für die britische Organisation HALO Trust, die in 26 Ländern weltweit, darunter auch die Ukraine, Landminen aufspürt und zerstört.
Die Morgensonne scheint durch die Zweige, als Tetiana nach einem Schluck Tee aus ihrer Thermoskanne, ihr Visier herunterklappt. Dies war einmal ein beliebter Picknickplatz. Jetzt ist er verseucht mit tödlichen Minen und Blindgängern. Tetiana arbeitet sich Zentimeter für Zentimeter vor - ihre Bewegungen sind langsam und konzentriert. Die einzigen Geräusche sind der Vogelgesang und ihr eigener Herzschlag.
Gefahr auf der Flucht und bei der Rückkehr
Landminen und Blindgänger sind für Menschen auf der Flucht und Rückkehrer eine große Gefahr, denn sie halten sich oft in den am stärksten verminten Regionen, den ehemaligen oder aktuellen Kampfgebieten, auf. Auch für eine sichere Rückkehr von Flüchtlingen und Vertriebenen sind Minen ein großes Hindernis, wenn Häuser, Felder und Flussufer vermint sind. Um die Menschen zu schützen, führt das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) neben Minenräumprogrammen auch Schulungen für Erwachsene und Kinder durch, in denen erklärt wird, wie Minen und Blindgänger aussehen und wie man sich verhält, wenn man sie entdeckt.
"Die Jahre werden vergehen und irgendwann werden die Enkel unserer Enkel hier wieder herkommen und sicher durch die Felder laufen”, sagt Tetiana. “Ich hoffe, eines Tages wird die Ukraine ein Land frei von Landminen sein."