Flüchtlingslager Kara Tepe
Flüchtlingslager Kara Tepe

Lesbos – Nothilfe unter schwierigen Umständen

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Wie schafft man innerhalb kürzester Zeit Schutz für tausende obdachlose Flüchtlinge ?

Der Brand im Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos hat Anfang September in einer Nacht mehr als 12.000 Menschen obdachlos gemacht. Die griechische Regierung mobilisierte daraufhin die Armee und humanitäre Organisationen, um schnell Hilfe leisten und Notunterkünfte errichten zu können.

In Kara Tepe hat der UNHCR innerhalb kürzester Zeit mehr als 1000 Familienzelte errichtet, Decken, Matten, Solarlampen und Gesichtsmasken geliefert und für medizinische Notversorgung gesorgt. Alle Organisationen und Initiativen, die an der Hilfe beteiligt waren, haben rund um die Uhr gearbeitet, dass alle Menschen sofortige Unterstützung, Unterkünfte und die wichtigsten Hilfsgüter erhielten.

In der Notunterkunft sind zurzeit rund 7.800 Schutzsuchende untergebracht. Die meisten kommen aus Afghanistan, Syrien und Somalia, rund 65% sind Frauen und Kinder. Doch die Zustände vor Ort stoßen auf heftige Kritik. Es gibt große Lücken in der Wasserversorgung, Hygiene und Gesundheitsversorgung, die dringend angegangen werden müssen.

Der UNHCR und andere humanitäre Partner haben die griechischen Behörden auf Sicherheitsrisiken und Gefahren in Kara Tepe aufmerksam gemacht, die sofortiges Handeln erfordern. Das Gebiet ist anfällig für Überschwemmungen, so dass manche Zelte nach ersten Regenfällen bereits unterspült wurden, und das Camp ist nicht für den nahenden Winter gewappnet.

Was ist die Rolle des UNHCR auf Lesbos?
Wie hat der UNHCR den Menschen vor Ort geholfen und wie geht es jetzt weiter?

Darüber haben wir mit Charlotte Walser gesprochen, die kurz nach dem Brand für einige Zeit auf Lesbos war und aus erster Hand über die Arbeit des UNHCR berichten kann.

Frau Walser, wie hat der UNHCR nach dem verheerenden Brand in Moria auf Lesbos geholfen?

Walser: Der UNHCR hat auf Begehren der griechischen Regierung innerhalb weniger Tage mehr als 1000 Zelte aufgestellt sowie Tausende Schlafsäcke, Schlafmatten, Decken und Solarlampen verteilt. Damit konnte im neuen Lager, das von den griechischen Behörden betrieben wird, rund 9500 Menschen geholfen werden. All das mithilfe von Spenden.

Wie sieht die Arbeit des UNHCR in Griechenland allgemein aus?

Walser: Der UNHCR arbeitet mit den Regierungen zusammen und unterstützt diese dabei, ihre Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention zu erfüllen. In Griechenland ist der UNHCR mit einem Länderbüro in Athen sowie Außenstellen auf den Inseln vertreten. Die Kolleginnen und Kollegen auf dem Festland haben in den vergangenen Jahren unter anderem eine wichtige Rolle bei der Unterbringung von Asylsuchenden gespielt.

Was waren besondere Herausforderungen bei der Nothilfe auf Lesbos?

Walser: Von einem Tag auf den anderen waren Tausende obdachlos. Es fehlte an allem, sogar an Trinkwasser. Die Erfahrung des UNHCR macht es möglich, in einer solchen Situation rasch zu reagieren.

Macht die Hilfe des UNHCR vor Ort einen Unterschied?

Walser: Dank der Hilfe des UNHCR schlafen die Menschen nun wenigstens in Zelten und nicht mehr auf der Straße. Der UNHCR betreibt im Camp außerdem ein Beratungszelt, das stark frequentiert wird. Die Menschen können dort ihre individuelle Situation besprechen. Dabei werden besonders schutzbedürftige Menschen identifiziert, etwa alleinreisende Frauen mit Kindern oder Kranke. Diese werden nach Möglichkeit aufs griechische Festland gebracht.

Wie sieht der Alltag der UNHCR Kolleg*innen vor Ort aktuell aus?

Walser: Viele verbringen einen großen Teil des Tages im Verteil- oder im Beratungszelt von UNHCR. Diese Kolleginnen und Kollegen sind auch immer wieder im Camp unterwegs, wo Flüchtlinge auf sie zugehen und um Hilfe bitten. Mich hat ihr Engagement beeindruckt.

Unermüdlich hören sie zu, beantworten Fragen, begleiten Menschen zum Ärztezelt… Sie versuchen zu helfen, wo sie können. Andere stehen in Kontakt mit Behörden und Medien, organisieren Transfers aufs Festland oder haben Koordinationsaufgaben.

Was für Menschen sind Ihnen unter den Schutzsuchenden auf Lesbos begegnet und ist Ihnen eine Begegnung besonders in Erinnerung geblieben?

Walser: Viele Begegnungen werden mir in Erinnerung bleiben. Besonders jene mit dem afghanischen Vater, dem wir eröffnen konnten, dass der UNHCR seinen 12-jährigen Sohn in Athen ausfindig gemacht hat. Das Kind war vor zwei Jahren auf der Flucht von der Familie getrennt worden. Ich denke auch an die syrische Mutter, deren Baby es nicht gut ging, und an die ältere Frau aus Somalia, die sich mit ihrem verletzten Fuß nur knapp vor dem Feuer retten konnte und der nichts geblieben ist außer einer kleinen roten Tasche. Oder an den Mann, der mich fragte: „Warum dürfen diese Familien abreisen und meine Familie nicht?“

  • Helferin mit Mädchen in Zelt
    © UNHCR/C.Walser

    Charlotte Walser zu Besuch im Familienzelt bei einem syrischen Flüchtlingsmädchen.

  • Somalische Frau in Zelt
    © UNHCR/C.Walser

    Diese somalische Flüchtlingsfrau verlor beim Brand im Flüchtlingslager Moria alles - nur die rote Tasche konnte sie retten. Sie hat nun Obdach im neuen Lager Kara Tepoe gefunden.

  • Syrisches Mädchen, lachend
    © UNHCR/C.Walser

    Dieses syrische Mädchen wollte Charlotte Walser gar nicht mehr los lassen. Vor allem für die Flüchtlingskinder müssen dringend langfristige Perspektiven gefunden werden.

Wie geht es auf Lesbos und den griechischen Inseln in der nahen Zukunft weiter? Was ist die Position des UNHCR zu Kara Tepe?

Walser: Wie es weitergeht, ist ungewiss. Auf Lesbos und anderen griechischen Inseln leben Tausende Flüchtlinge und Migranten unter prekären Bedingungen. Für den UNHCR steht fest, dass das neue Lager Kara Tepe nur eine Notlösung sein kann. Es braucht andere Lösungen, auch angesichts des nahenden Winters. Der UNHCR hat seine Sorge gegenüber den griechischen Behörden zum Ausdruck gebracht. Die Lebensumstände im Lager müssen dringend verbessert werden. Große Mängel gibt es vor allem bei der Hygiene, der Gesundheits- und der Wasserversorgung.

In der Verantwortung stehen aber auch die anderen EU-Staaten. Der UNHCR ruft sie dazu auf, sich auf verbindliche Regeln zur Umsiedelung zu einigen. Ohne politischen Willen in Griechenland und in den anderen europäischen Staaten wird sich die Lage für die Flüchtlinge und Migranten nicht nachhaltig verbessern.

Was würden Sie Menschen in Deutschland entgegnen, die sagen „die Menschen werden im neuen Lager wieder so schlecht versorgt und es ist nur eine Frage der Zeit, bis es auch wieder in Flammen aufgeht“?

Walser: Es stimmt, die Bedingungen sind auch im neuen Lager schlecht. Manche Gruppierungen kritisieren deshalb, dass das Lager errichtet wurde. Nach dem Brand in Moria lebten die Menschen – unter ihnen Tausende Kinder – aber auf der Straße. Das kann keine Option sein.

Wie können die Menschen aus Deutschland helfen?

Walser: Indem sie nicht wegschauen und die Fähigkeit zur Empathie bewahren. Sie können mit einer Spende helfen oder sich für Flüchtlinge engagieren, die in Deutschland angekommen sind.

Der Winter kommt: Wie sieht die Winterhilfe des UNHCR auf den griechischen Inseln aus?

Walser: Es hat bereits erste Regenfälle gegeben. Der UNHCR ist dabei, die Zelte für schlechteres Wetter auszurüsten. Sie werden mit Holzpaletten unterlegt, welche die Menschen vor der Nässe schützen sollen. Auch Isolationsmatten werden verteilt. Daneben muss dafür gesorgt werden, dass das Wasser abfließt. Auch mit diesen Maßnahmen ist das Lager aber nicht geeignet für den Winter.

Der UNHCR warnt...

... vor weiterer Not durch den nahenden Winter und betont, dass das neue Lager keine dauerhafte Lösung sein kann. Es braucht rasche und entschlossene Maßnahmen, um eine weitere Verschlechterung der Lebensbedingungen im Camp zu verhindern und die Unterkünfte auf den Wintereinbruch vorzubereiten.

Der UNHCR hat schon lange die unmenschlichen Zustände in dem völlig überfüllten Lager, nicht nur auf Lesbos, sondern auch auf anderen griechischen Inseln, kritisiert.

Wie ist die Lage für Asylsuchende anderswo in Griechenland – vergleichbar mit Lesbos?

Walser: Auch auf anderen Inseln ist die Situation schwierig. Auf Samos leben fast 4.500 Menschen unter unzulänglichen Bedingungen, in Sommerzelten oder behelfs-
mäßigen Unterkünften im Wald.

Was motiviert Sie bei Ihrer täglichen Arbeit für den UNHCR?

Walser: Dass wir uns für Menschen einsetzen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen müssen.

Woher nehmen Sie die Kraft, trotz der weltweit steigenden Zahlen von vertriebenen Menschen nicht aufzugeben?

Walser: In der Überzeugung, dass Menschen, die schutzbedürftig sind, Schutz bekommen müssen. Dass es sich lohnt, dafür zu kämpfen. Und dass der UNHCR einen Unterschied machen kann.

Welcher Moment ist Ihnen in Ihrer Arbeit für den UNHCR besonders in Erinnerung geblieben?

Walser: Der Moment, als ein Mädchen im Lager auf Lesbos meine Hand nicht mehr loslassen wollte.

 

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