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Schuldspruch: Journalist*in

Viele Journalist*innen auf der ganzen Welt sind noch immer Opfer von Verfolgung. Wir haben mit zwei von ihnen gesprochen, die für ihren Job alles aufgegeben haben.

Fatuma Nurye Yimam, Journalistin, Autorin und Aktivistin
Fatuma Nurye Yimam

Autorin: Svenja von Reuss

Wenn Journalisten ins Visier genommen werden, zahlt die Gesellschaft als Ganzes den Preis,“ sagt António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen. Wie sehr diese Aussage noch heute auf viele Teile der Welt zutrifft, wird uns durch prominente Fälle wie Jamal Kashoggi oder Daphne Galicia immer wieder deutlich vor Augen geführt.

Aber diese sind nur die Spitze des Eisbergs: In den letzten zehn Jahren starben über 900 Menschen, weil sie ihren Beruf ausgeübt haben. Journalist*innen leben seit Langem gefährlich. Das belegt nicht nur die Zahl der getöteten Medienschaffenden, sondern auch das Ranking der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen. Viele Länder behindern die Arbeit von Journalist*innen massiv und systematisch, oft werden Medienschaffende entführt, gefoltert oder ermordet. Die Schuldigen werden dort meist nicht zur Rechenschaft gezogen. Von einer Pressefreiheit wie in Deutschland können viele wohl nur träumen.

Die Situation hat sich zwar in Teilen der Welt verbessert, eine Arbeit vergleichbar mit europäischem Standard ist aber weiterhin in vielen Regionen nicht möglich. Das betrifft auch einige Länder in Afrika. Eines der Schlusslichter im Ranking ist Eritrea. Das ostafrikanische Land steht auf dem drittletzten Platz. Nur Nordkorea und Turkmenistan gewähren weniger Pressefreiheit. Selbst die Volksrepublik China schneidet besser als Eritrea ab.

Wie sehr der diktatorisch regierte Staat in Afrika die Menschen verachtet, die ihre Freiheit ausleben möchte, weiß Yirgalem Fisseha Mebrahtu. Die Eritreerin musste für ihre Arbeit psychische und körperliche Folter durchleben. Ihr war klar, dass sie nicht unbehelligt arbeiten könnte. Deshalb ist sie geflohen. Doch ihren Willen und Wunsch nach Freiheit, besonders für Journalistinnen und Journalisten, konnten die staatlichen Behörden nicht brechen.

Anlässlich des „Internationalen Tag zur Beendigung der Straflosigkeit für Verbrechen gegen Journalisten“ konnten wir mit Yirgalem und Fatuma Nurye Yimam, eine ebenfalls geflüchtete Journalistin aus Äthiopien, über ihre Geschichte, ihre Arbeit und ihre Motivation sprechen.


Yirgalem Fisseha Mebrahtu ist eine eritreische Lyrikerin, Journalistin und Schriftstellerin. Bis zu ihrer Freilassung im Januar 2015 musste sie sechs Jahre lang unter schlimmsten Bedingungen im „Mai Swra“ Gefängnis ausharren, in das sie willkürlich ohne Anklage oder Gerichtsverfahren gesperrt wurde. Seitdem droht ihr eine erneute Verhaftung und sie ist auf der Flucht. Seit Dezember 2018 ist Mebrathu Stipendiatin des Writers-in-Exile Programms des deutschen PEN.

Kannst Du uns etwas darüber erzählen, wie du aufgewachsen bist?

Ich wurde in einer kleinen Stadt namens Adikeih 110 km südlich von Asmara - der Hauptstadt Eritreas - geboren. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, die im Vergleich zu eritreischen Familien einen durchschnittlichen Lebensstandard hat. Mein Vater war Kaufmann und meine Mutter Hausfrau. Ich bin das zweite von sieben Kindern. Fünf von uns leben inzwischen im Exil.

Während meiner Schulzeit war ich in meiner Schule und außerhalb davon sehr aktiv. Ich war im Theater- und Literaturclub, habe an Wettbewerb für Allgemeinbildung teilgenommen, war bei Debatten dabei und ich war auch Mitglied der Nationalen Jugendorganisation. Nachdem ich die High School abgeschlossen hatte, musste ich wie alle anderen zum Militär [Anmerkung: Das zwölfte Schuljahr muss in Eritrea in einem Ausbildungslager der Armee absolviert werden]. Nach meiner Zeit dort besuchte ich das Asmara Teachers Training College (ATTC), um mich als Lehrerin ausbilden zu lassen.

Was hat Dich motiviert, als Journalistin zu arbeiten, und mit welchen Themen hast Du dich während Deiner Arbeit in Eritrea beschäftigt?

Als ich in der Grundschule war, gab es einen Tag an dem viele Jungs von meiner Schule ihre Gedichte, die sie geschrieben haben, auf der Bühne vortrugen. Ich war beeindruckt und meine Lehrer haben mich ermutigt, auch zu schreiben und zu lesen. Am nächsten Tag schrieb ich mein erstes Gedicht. Seit diesem Tag (vor fast 27 Jahren) habe ich nicht aufgehört zu schreiben. Als ich in der Mittelstufe war, begann ich, auch für Zeitungen zu schreiben, indem ich ihnen einfach meine Gedichte und Texte schickte. Ende der 1990er Jahre kamen dann mehr und mehr private Zeitungen auf, und ich setzte meine Arbeit für viele von ihnen fort, vor allem für "ZEMEN". Aber ich habe für viele verschiedenen Medien geschrieben.

Du hast in Eritrea einen Literaturclub gegründet. Die staatlichen Behörden in Eritrea waren jedoch nicht einverstanden mit dem Inhalt des Literaturclubs und er musste geschlossen werden. Danach hast Du angefangen, für Radio Bana zu arbeiten. Kannst Du uns mehr über die Ausrichtung des Literaturclubs und des Radios erzählen?

Wie ich bereits erzählt habe, bin ich in Adikeih aufgewachsen, 110 km von der Hauptstadt Asmara entfernt. Gegen Ende der 90er Jahre kam es zum Grenzkrieg zwischen Eritrea und Äthiopien. Da meine Stadt nicht weit von der Grenze entfernt lag, waren viele Angehörige des Militärs bei uns in der Umgebung stationiert. [Anmerkung: In Eritrea gibt es eine Allgemeine Wehrpflicht. Eigentlich soll der sogenannte »national service« 18 Monate dauern, kann aber in der Praxis jahrzehntelang andauern. Bei Bedarf werden Bürger also zwangsverpflichtet] Unter ihnen waren auch Schriftsteller und Journalisten. Einer von ihnen war Melles Negusse und gemeinsam gründeten wir einen Literaturclub. Und dann stießen mehr und mehr Schriftsteller, Journalisten und junge Dichter zu uns. Wir hatten Lesung von Gedichten, Erzählungen und veröffentlichten Artikel. Es gab auch Vorträge von bekannten Schriftstellern, Diskussion, Kritik, und den Austausch von Erfahrungen.

Nachdem die "Regierung" von Eritrea alle privaten [Anm.: und damit oft regimekritischen] Zeitungen geschlossen und Journalisten verhaftet hatte, begann alles langsam zusammenzubrechen. Schließlich mussten wir auch unseren Literaturclub schließen.

2003 schloss ich meine Ausbildung am ATTI ab und ging zum Bildungsministerium und habe als Programmdirektorin für Radio Bana gearbeitet und hauptsächlich Programme zum Thema Gesundheit und Unterhaltung produziert. Insgesamt habe ich rund 5 Jahre dort gearbeitet. Radio Bana war ein Bildungsradio und hat keine Verbindung zum Informationsministerium.

Kannst Du versuchen, für unsere Leser*innen kurz den politischen Hintergrund Eritreas zu skizzieren? Auf diese Weise können wir Deine Geschichte besser verstehen.

Eritrea liegt am östlichen Horn von Afrika an der Küste des Roten Meeres. Nach 30-jähriger Auseinandersetzung mit Äthiopien erlangte Eritrea 1991 seine Unabhängigkeit. Leider wird der Präsident dort auf Lebenszeit ernannt.

Es ist ein kleines, aber wunderschönes Land mit gutem Wetter, wunderschöner Landschaft und sehr respektvollen Menschen. Es ist sehr reich an natürlichen Ressourcen, aber sehr arm an Menschenrechten und Verwaltung.

Die eritreische Regierung ist berüchtigt für die Verletzung grundlegender Menschenrechte und die Zensur der freien Presse. Es gilt als eines der Länder, wo die Pressefreiheit am meisten eingeschränkt ist. Eritrea ist eines der wenigen Länder, das keine Verfassung oder Rechtsstaatlichkeit hat und niemand wirklich zur Rechenschaft gezogen werden kann. Es ist auch ein Land, in dem Bürger willkürlich verhaftet und manchmal jahrzehntelang eingesperrt werden, ohne dass jemand ihren Aufenthaltsort kennt. Viele verschwinden spurlos und tauchen nie wieder auf.

Im Februar 2009 wurden alle Mitarbeiter des Radios verhaftet. Was geschah danach?

Viele meiner Arbeitskollegen, andere Schriftsteller und ich wurden erst in das berüchtigte Militärgefängnis Adi Abeito [wo sie noch Besuch von Freunden und Familie erhalten konnten] und dann nach einigen Monaten in das Hochsicherheitsgefängnis Mai-Serwa gebracht.

Ich wurde verhört, eingeschüchtert und gefoltert, und musste meine Gedichte eines nach dem anderen erklären. Ich wurde auch gezwungen, im Einzelnen darzulegen, mit wem ich befreundet war, welche Art von Medien ich las. Und mir wurde gesagt, wenn ich mich nicht schuldig bekenne und unterschreibe, was man mir vorwirft, würden sie nicht aufhören zu schlagen, bis ich sterbe.

Ich wurde gefoltert; sie banden mir meine Hände und Beine mit einem Seil zusammen. Sie steckten mir einen Lappen in den Mund.

Und sie schlugen mich erbarmungslos.

Einmal wurde ich ins Halibet-Krankenhaus in der Hauptstadt Asmara gebracht. Dort musste ich eine Blut-Infusion bekommen und behandelt werden. Nachdem ich fünf Monate im Krankenhaus verbracht hatte, kam ich wieder ins Gefängnis. Ich blieb weitere vier Jahre dort und wurde 2015 entlassen.

Warum hast Du Eritrea 2018 verlassen und wie ging Dein Leben in den Jahren danach weiter? Wie bist Du zu PEN gekommen?

Nachdem ich so eine schwierige Situation durchlebt hatte, konnte ich dort nicht mehr friedlich leben, und ich dachte, dass die Regierung mich ausspioniert. Ich war nicht sicher.

Nachdem ich aus meinem Land geflohen und in Uganda angekommen war, nahm ich Kontakt zu PEN Eritrea auf. Und PEN Eritrea informierte PEN International. Und PEN Deutschland ergriff die Initiative und half mir, aus Uganda zu kommen.

[Yirgalem versuchte erst, über ein so genanntes Ausreise-Visum das Land zu verlassen, was jedoch abgelehnt wurde. Ein erster Fluchtversuch endete mit einer erneuten Verhaftung, denn in Eritrea ist eine Ausreise ohne gültiges Visum illegal. Insbesondere (politische) Oppositionelle sollen so daran gehindert werden, das Land zu verlassen. Erst ein zweiter Fluchtversuch war erfolgreich.]

Mehr Informationen zu Fluchtursachen

Du bist immer noch schriftstellerisch tätig und hast viel aufgegeben, um Deine Arbeit fortzusetzen. Was ist Deine Motivation?

Ich bin zur Zeit Stipendiatin von Pen Deutschland. Ich schreibe für und spreche mit verschiedenen Medien, um meine Erfahrungen im Gefängnis zu teilen. Ich tue das nur, um eine Stimme für meine eritreischen Landsleute zu sein, die noch immer im Gefängnis sind.

Ich glaube, der Kampf für Meinungsfreiheit ist keine Option, sondern ein Mandat.

Hast Du die Hoffnung, dass Du jemals in Dein Heimatland zurückkehren kannst? Willst Du das überhaupt tun?

Ich weiß nicht, wann, aber ich bin voller Hoffnung, eines Tages in mein Heimatland zurückzukehren. Ich höre nie auf, davon zu träumen, meine Heimat wiederzusehen.

Wie gehst Du mit den Einschränkungen um, die die Corona-Pandemie mit sich gebracht hat?

Natürlich ist die Pandemie sehr gefährlich, aber es war für mich nicht schwierig, mit den Restriktionen umzugehen, die die Corona-Pandemie mit sich gebracht hat.

Mein ganzes Leben war voll von Einschränkungen. Ich wuchs auf und kannte fast nichts außer Einschränkungen.

Zum Beispiel grundlos verhaftet zu werden und über Jahre inhaftiert zu sein.

Wenn ich sehe, wie sich die Leute über den Lockdown beschweren, erinnere ich mich immer nur an meine jahrelange Gefangenschaft. Können Sie sich das vorstellen? In Eritrea sind Menschen immer noch eingeschlossen, viele ohne Wasser, Nahrung, Strom oder medizinische Versorgung. Und Hunderte von Gefangenen befinden sich in winzigen Räumen ohne Versorgung und ohne die Möglichkeit von „social distancing“. Das regt mich noch mehr auf.

Was ist Dein Wunsch für die Zukunft?

Frieden in meiner Heimat und Frieden auf der ganzen Welt.

Für was bist Du besonders dankbar?

Dafür, frei zu sein!

Warum ist freier und unabhängiger Journalismus wichtig? Was sollte die internationale Gemeinschaft tun, um die Meinungs- und Pressefreiheit zu stärken?

Freier und unabhängiger Journalismus ist sehr wichtig. Weil die Menschen freie Medien brauchen, um aktuelle und ausgewogene Informationen zu erhalten.

Die internationale Gemeinschaft sollte Journalisten und alle, die sich für Meinungsfreiheit einsetzen, schützen und ihnen zur Seite stehen.

Was kann Deiner Meinung nach jede*r Einzelne tun, um die Pressefreiheit in seiner/ihrer unmittelbaren Realität zu stärken?

Ich rufe alle dazu auf, dass wir unsere Stimme heben und uns für diejenigen einsetzen, die vielleicht keine Stimme haben und uns für die Einhaltung grundlegender Menschenrechte für alle einsetzen.

Vor ihrer Inhaftierung hatte Fisseha Mebrahtu bereits mehr als 110 Gedichte in privaten und regierungsnahen Zeitungen veröffentlicht, die sie zu einer bekannten Persönlichkeit ihres Landes machten. Die Publizierung ihrer Gedichtsammlung „Envy“ wurde vor der Inhaftierung von der Regierung jedoch aus Zensurgründen abgelehnt. Eine weitere Gedichtsammlung „From Eve“ hat Fisseha Mebrahtu hauptsächlich im Gefängnis geschrieben. Zudem verfasst sie Kurzgeschichten und hat einige nationale Literaturpreise erhalten. Seit Dezember 2018 lebt sie in Deutschland als Stipendiatin des Writers in Exile-Programm. (Quelle: PEN Deutschland)


Die äthiopische Journalistin und Aktivistin Fatuma Nurye Yimam recherchierte über illegale Migrationsrouten nach Dschibuti und andere Nachbarländer Äthiopiens. Sie gründete die Zeitung „Fact“, in der sie Missstände kritisierte. Die Regierung erhob daraufhin Anklage gegen sie, woraufhin sie zunächst in benachbarten Ländern Zuflucht suchte, bevor sie schließlich nach Deutschland kam. (Quelle: PEN Deutschland)

Kannst Du uns etwas darüber erzählen, wie du aufgewachsen bist?

Ich wurde 1991 in der Stadt Kemise im Norden Äthiopiens geboren. Als sich meine Eltern trennten, begann ich bei meinen Großeltern zu leben. Meine beiden Eltern waren Geschäftsleute. Meine Mutter lebt inzwischen nicht mehr.

Ich beendete meine Grundschule in Attaye, 50 km von Kemise entfernt und beendete meine Schulausbildung in Addis Abeba. Ich war damals erst 14 Jahre alt. Bei uns ist es üblich, dass Frauen zwischen 13 und 14 Jahren heiraten. Das ist die Kultur des Landes. In der örtlichen Gesellschaft wandern junge Menschen im Alter von 14 Jahren oft  nach Jemen und Saudi-Arabien aus. Oder die Mädchen heiraten eben. 

Meine Mutter heiratete im Alter von 13 Jahren und bekam bald danach ihr erstes Kind. Sie wollte lernen, konnte es aber aus Gründen der Tradition nicht. Deshalb hat sie mich nach Addis Abeba geschickt, um zu studieren. 

Mit der Unterstützung meiner Familie konnte ich im Gegensatz zu den Kindern unserer Region dem Exil und der frühen Ehe entkommen.

Was hat Dich dazu motiviert, journalistisch zu arbeiten und was waren Themen, mit denen Du dich in Äthiopien beschäftigt hast?

Nach meinem College-Abschluss arbeitete ich als Marketing Manager. Weil ich den Journalisten Negash Mohammed des amharischen Programms der Deutschen Welle seit meiner Kindheit bewundert habe, träumte ich davon, eines Tages Journalist zu werden. Der Journalismus in Äthiopien ist aber mit Gefahren verbunden. Aus diesem Grund hat mich meine Familie nicht dazu ermutigt.

Irgendwann begann ich Artikel für das Magazin "Lemon" zu schreiben. Ich fand sofort Freunde, mit denen ich viel über die Idee diskutierte, ein eigenes Magazin zu gründen. 

Zeitungen und Zeitschriften zu politischen und wirtschaftlichen Themen wurden nach den Wahlen von 2005 verboten. Es wurden nur Magazine für Kunst- und Gesellschaft lizenziert. An eine Zeitungslizenz zu bekommen, war undenkbar. Es war einfach nicht erlaubt.

Zu dieser Zeit hatten wir nicht nur Probleme mit der Erteilung der Genehmigung. Wir hatten auch nicht das Geld, um die Zeitschrift zu betreiben. Daher hat meine Familie uns Geld geliehen. Wir erhielten schlussendlich eine Zeitschriftenlizenzen für den Bereich Social and Art.

Im ersten Jahr konzentrierte sich das Magazin auf soziale Themen. Insbesondere haben wir über die Situation der illegalen Migration geschrieben. Ich war diejenige, die die Studie über die illegalen Migrationsrouten, die von Äthiopien in den Sudan oder nach Dschibuti führen, geschrieben hat. Während meiner Recherche erkannte ich den Ernst des Problems und organisierte daraufhin eine Ausstellung und ein begleitendes Symposium, um der Gesellschaft zu helfen, den Ernst der Migration zu verstehen. Auf diese Weise konnte ich die Community sensibilisieren. 

Du hast in Äthiopien im Jahr 2012 eine politische Zeitschrift namens Fact erst gegründet und dann als Geschäftsführerin geleitet. Die staatlichen Behörden in Äthiopien waren mit der politischen Ausrichtung der Zeitschrift jedoch nicht einverstanden und haben Dich dazu gedrängt, die Veröffentlichung einzustellen. Später musstest Du deswegen sogar nach Dschibuti fliehen. kannst Du uns mehr über die inhaltliche Ausrichtung der Zeitschrift erzählen?

Ab 2013 haben wir begonnen, ausführlich über Politik, Wirtschaft und soziale Themen zu schreiben. Wir haben verschiedene Drohungen von der Regierung erhalten, und sie drohten uns, unsere Zeitschriftenlizenzen nicht zu erneuern. Wir bekomen Drohanrufe und manchmal kamen Leute auch bei uns vorbei. Als sie erkannten, dass die Bedrohung uns nicht von unsere Arbeit abhalten würde, beschuldigten sie uns des Terrorismus. Sie beschuldigten uns, dass wir versuchten, die Verfassung zu stürzen und eine sogenannte Farbrevolution (wie z.B. die Orangene Revolution in der Ukraine) anzustacheln.

Wieso musstest Du 2013 Äthiopien dann verlassen und wie ist Dein Leben in den Jahren danach weitergegangen? Wie bist Du nach Deutschland und zu PEN gekommen?

Ich wurde vom Justizministerium wegen der Veröffentlichung von Falschmeldungen,  der  Anstiftung  von  Gewalt  und der Untergrabung des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Regierung angeklagt.

Ich hörte von meinem Fall, als ich an einem Bericht über die Region Afar gearbeitet habe. Ich habe damals gerade im Hotel zu Abend gegessen, als das nationale äthiopische Fernsehen in den Nachrichten ankündigte, dass "Fatuma Nuriye, Herausgeberin des Fact Magazine, verhaftet und vor Gericht gestellt werden soll". Als ich diese Nachricht hörte, war ich schockiert. Ich war damals in einer anderen Stadt war, nicht etwa um zu fliehen, sondern um für eine Zeitschrift an einem Bericht zu arbeiten.

Also beschloss ich, zum Gericht zu gehen, von dem ich vorgeladen worden war. Als ich mich auf die Abreise nach Addis Abeba vorbereitete, erhielt ich Anrufe von meiner Familie und meinen Kollegen, die mir erzählten, dass sie wiederholt von der Polizei belästigt worden seien und dass mein Fall ernst war.

Die Polizei rief meinen Mann mehrmals an und drohte ihm und sie durchsuchten auch das Haus meiner Familie.

Ich versuchte, das Land zu verlassen. Aber ich konnte nicht über den Flughafen ausreisen, weil die Polizei mich suchte. Meine einzige Möglichkeit war, über die Grenze zu gehen. Die Stadt, in der ich damals arbeitete, war 150 Kilometer von Dschibuti entfernt. Daher entschied ich mich, nach Dschibuti zu gehen.

Als ich in Dschibuti ankam, gab es in der Stadt einen Terroranschlag von al-Shabaab. Infolgedessen überwachten sie die Flüchtlinge genau. Gesuchte Personen waren in Gefahr,  an die äthiopische Regierung übergeben zu werden. Am dritten Tag nach unserer Ankunft in Kenia ging ich zum UNHCR und liess mich als Flüchtling registrieren. Wir erhielten einen Termin für ein Interview, der 6 Monate später lag.

Nach einer langen Woche kamen wir in Nairobi, Kenia an. Auf dem Weg hatten wir mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Besonders schwierig war der Weg von der kenianischen Grenze nach Nairobi. In Moyale (an der Grenze) wurden wir fast von Jugendlichen ausgeraubt. Auf dem Weg versuchten Polizisten wiederholt, Geld von uns zu verlangen.

Ich war es leid, so viele Terminen abgesagt zu bekommen. Also beschloss ich, nach Äthiopien zurückzukehren und mich verhaften zu lassen.

Als ich gerade meine Rückkehr vorbereitete, erfuhren CPJ (Committee to Protect Journalists) und die Organisation "Article 19" von meinem Fall. Sie schrieben das UNHCR an und baten mich, meine Absicht zu ändern.

Ich stimmte zu und entschied mich gegen eine Rückkehr. Innerhalb von zwei Wochen erhielt ich per Telefon vom UNCHR einen Termin für ein Interview. Sechs Monate später erhielt ich eine Flüchtlingsbescheinigung. Ein Freund riet mir, mich bei ICORN (International Cities of Refuge Network) zu bewerben, was ich dann tat. Ich hätte nicht gedacht, dass daraus etwas werden würde und versuchte, nicht daran zu denken. In der Zwischenzeit wurde ich zu einem Interview in der US-Botschaft eingeladen.

Die amerikanische Botschaft hatte uns als Flüchtlinge anerkannt und war dabei, eine Aufnahme in den USA vorzubereiten, als Trump gewählt wurde.  Das erste, was Donald Trump tat, als er an die Macht kam, war die Einreise von Flüchtlingen in die Vereinigten Staaten zu verhindern. Unser Fall blieb stecken.

Ich erhielt dann schnell eine Einladung von PEN Deutschland. Ich nahm die Einladung an und begann, mich auf die Reise vorzubereiten. Am 2. August 2017 sind wir nach Deutschland gekommen.

Wie hat sich Deine Flucht nach Dschibuti gestaltet und was würdest Du sagen ist vielleicht der Unterschied von einem Journalisten auf der Flucht im Vergleich zu einem Menschen auf der Flucht, der einem anderen Beruf nachgeht?

Ich kam mit einem LKW nach Dschibuti. Ich hatte über Verwandte einen Ausweis der Afar-Region (vom Afar Volk bewohnte Region im Nordosten Äthiopiens) bekommen. So konnte ich als Afar-Frau nach Dschibuti einreisen (In Dschibuti leben ebenfalls Afar.

Mit dieser ID der Afar-Region, durch die ich als Afar galt, konnte ich mich in Dschibuti bewegen, ohne dass die Polizei auf mich aufmerksam wurde. Das Leben einer Journalistin hatte mir beigebracht, wie man sich in solchen Situationen zu helfen weiß.

Nach meinem Umzug nach Kenia arbeitete ich zwei Jahre lang für BBN Radio, ein Internetradiosender in Nordamerika. Die Arbeit dort hat uns geholfen, finanzielle Probleme zu vermeiden. Es bestand aber eine große Gefahr, als wir im Radio arbeiteten. Denn es ist gefährlich, sich in Kenia aufzuhalten und an einem Programm mitzuarbeiten, gegen das die äthiopische Regierung etwas hatte. (Anm.: der kenianische Sicherheitsdienst arbeitet eng mit dem äthiopischen zusammen)

Wenn mein Aufenthaltsort bekannt würde, hätte uns die äthiopische Regierung entführen lassen können. Viele andere Flüchtlinge wurden in Kenia entführt.

Also habe ich versucht, mich zu verstecken. Die Organisation "Artikel 1" lehrte uns, wie wir uns mit Hilfe von Technologien schützen konnten. Das Training war sehr hilfreich.

Bei einer Rückkehr in Ihre Heimat drohen Dir bis zu 15 Jahre Haft. Wie gehst Du damit um?

Ja, ich werde verhaftet, wenn ich in das Land einreise. Ich träume davon, nach Äthiopien zu gehen und wieder in den Medien zu arbeiten, mein Magazin wieder zu veröffentlichen. Wenn ich jetzt nach Äthiopien ginge, bestände nicht nur die Gefahr, verhaftet zu werden. Sie könnten mich auch töten.

Wie gehst Du mit den Einschränkungen um, die die Corona-Pandemie mit sich gebracht hat?

Das Corona-Virus erschwert die Situation. Mein PEN-Stipendium endet leider und es ist eine große Herausforderung, in dieser Situation eine Wohnung zu finden, meine Papiere zu erneuern und einen Job zu finden.

Was ist Dein Wunsch für die Zukunft?

Ich habe mein Buch fertig geschrieben und  warte jetzt auf die Veröffentlichung. Wenn es in Äthiopien faire Wahlen gibt und dann Recht und Gesetz herrschen,  habe ich den Traum, wieder nach Hause zu kommen und mein eigenes Radio zu starten. Ich hoffe, dass dieser Tag auch kommt.

Wofür bist Du besonders dankbar?

Ich bin PEN Deutschland sehr dankbar. Ich bin auch meinem Mann sehr dankbar. Er war immer an meiner Seite und ich konnte wegen seiner Kraft viele schwierige Zeiten durchstehen. Ich möchte auch Leander Sukov, dem Leiter des PEN Programms "Writers-in-Exile" danken.

Warum ist freier und unabhängiger Journalismus wichtig? Was sollte die internationale Gemeinschaft zur Stärkung der internationalen Meinungs- und Pressefreiheit unternehmen?

Freier und unabhängiger Journalismus ist für Gleichheit, Gerechtigkeit und Demokratie in einem Land von wesentlicher Bedeutung. Die Demokratie eines Landes wird an freien Medien und Meinungsfreiheit gemessen.

Im Allgemeinen ist der freie und unabhängige Journalismus nicht auf ein Land beschränkt. Es ist der Schlüssel zum Weltfrieden und zur Gleichheit.

Diktaturen unterdrücken die Freiheit der Rede und der Medien nicht nur mit Haft und Mord. Sie nutzen auch ihre Macht, um starke Medien und Journalisten wirtschaftlichen Schwierigkeiten auszusetzen. Man muss viel Arbeit in internationalen Institutionen leisten, um Medien und Journalisten zu unterstützen und zu ermutigen.

Wenn Journalisten erkennen, dass die Meinungsfreiheit auf seiner Seite ist, arbeitet er mit großem Mut für Wahrheit und Gerechtigkeit. Gleichzeitig können Diktaturen geschwächt werden.

Auf diese Weise, glaube ich, können Diktaturen geschwächt werden.

Wenn Diktatoren machtlos sind, gibt es Redefreiheit.

Wie empfindest Du die Meinungs- und Pressefreiheit hier in Deutschland?

Die Meinungsfreiheit in Deutschland ist erstaunlich. Neben den Medien gibt es viele Menschenrechtsorganisationen. Das deutsche System und die Rechtsstaatlichkeit garantieren die Meinungsfreiheit. Deshalb ist Deutschland ein mächtiges Land.

Was kann jede*r Einzelne tun, um die Meinungs- und Pressefreiheit in seiner unmittelbaren Lebenswirklichkeit zu stärken?

Jede*r sollte seine Rechte und Pflichten kennen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung wird gestärkt, wenn ihm beigebracht wird, seine Rechte und Pflichten zu kennen. Wenn man sich seiner Rechte und Pflichten voll bewusst ist, kann man für Gedankenfreiheit kämpfen. Wenn jeder für seine Rechte arbeitet, verschwinden Morde, Verhaftungen und Verfolgung. Die Menschen können in Frieden leben, wo immer sie wollen. Wenn Menschen sich frei ausdrücken können, können sie eine Welt des Friedens, der Liebe und des Glücks schaffen. Mit Hilfe des Schöpfers.


PEN setzt sich seit Jahrzehnten für verfolgte, unterdrückte und zur Flucht gezwungene Schriftstellerinnen und Schriftsteller sowie Journalisten und Verleger ein. PEN International ist beratendes Mitglied in der UN-Kommission für Menschenrechte und der UNESCO. Dr. Regula Vensk ist Präsidentin des Schriftstellerverbandes PEN-Zentrum Deutschland und Präsidiumsmitglied von PEN International, in dem 146 Schriftstellerverbände in über 100 Ländern organisiert sind.

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