Bildung auf Eis gelegt
Als im nationalen Radiosender verkündet wurde, dass Ibrahim Abdulrahman bei den Abiturprüfungen 2020 die besten Leistungen erzielt hatte, wurde er von allen Menschen in seinem kleinen Bergdorf Al-Dambaire im sudanesischen Bundesstaat Nord-Kurdufan gefeiert.
„Meine Freunde konnten die Nachricht kaum glauben“, erzählt Ibrahim. „Ich rannte zu meinen Eltern und erzählte ihnen, dass ich die höchste Punktzahl im Sudan erreicht hatte.“
Er beschreibt die ausgelassene Stimmung im Dorf, als am nächsten Tag führende Persönlichkeiten, darunter auch Regierungsvertreter*innen, seine Schule besuchten, um ihm zu gratulieren.
„Das war ein sehr glücklicher Moment für mich“, sagt er.
Träume auf Eis gelegt
Als Ibrahim die Nachricht hörte, wusste er genau, was er als nächstes tun wollte. Im folgenden Jahr schrieb er sich an der Universität von Khartum ein, um Landwirtschaft zu studieren und seinen lang gehegten Traum zu verfolgen, Landwirtschaftsminister des Landes zu werden.
Dieser Traum wurde kaum zwei Jahre später abrupt unterbrochen, als in der Hauptstadt Khartum heftige Kämpfe ausbrachen.
„Wir hofften, dass sich die Lage bessern würde, um unsere Arbeit und Ausbildung fortzusetzen“, so Ibrahim. „Aber von Tag zu Tag wurden die Kämpfe schlimmer. Nach einem Monat fasste ich den Entschluss, nach Nord-Kurdufan zu meiner Familie zurückzukehren.“
Im zweiten Jahr hat der Krieg im Sudan die Bildung von Millionen von jungen Menschen unterbrochen. Mehr als 90 Prozent der 19 Millionen Kinder im schulpflichtigen Alter im Sudan haben nach Angaben der UN keinen Zugang zu formaler Bildung.
Indem der Konflikt Kinder und Jugendliche ihrer Bildung beraubt, raubt er ihnen die Zukunft“,
sagt Kristine Hambrouck, Vertreterin des UNHCR im Sudan. „Die Ausbildung von Sudans potenziellen Führungspersönlichkeiten wie Ibrahim ist in Gefahr. Ihre Träume werden durch Gewalt und Vertreibung zunichte gemacht.“
Größte Vertreibungskrise
Seit dem 15. April 2023, als der Krieg ausbrach, sind mehr als 10 Millionen Menschen aus ihrer Heimat geflohen. Darunter sind über zwei Millionen, die auf der Suche nach Sicherheit in die Nachbarländer gelangt sind. Dies ist derzeit die größte Vertreibungskrise der Welt.
In Ibrahims Dorf in Nord-Kurdufan plünderten bewaffnete Gruppen die Ernten und zwangen die Menschen, ihre Höfe aufzugeben. Er und seine Familie schlossen sich Hunderten von Menschen aus den umliegenden Dörfern an und flohen um ihr Leben.
Nach einer 15-tägigen Reise, bei der sie sich manchmal im Gestrüpp verstecken mussten, erreichten sie die Stadt Kusti im Bundesstaat Weißer Nil.
„Ich war froh, dass ich in Sicherheit war“, sagt Ibrahim. „Wir sind denjenigen sehr dankbar, die meiner Familie und den anderen Menschen, die hierher gekommen sind, Essen und Unterkunft bereitgestellt haben.“
Allein im Bundesstaat Weißer Nil leben 1,3 Millionen Sudanes*innen in Vertriebenencamps oder wurden von lokalen Gemeinschaften aufgenommen.
Der beispiellose Zustrom hat die ohnehin begrenzten Ressourcen der Gemeinden und die öffentlichen Dienste wie Gesundheitsversorgung und Wasserversorgung weiter belastet.
Der UNHCR arbeitet mit der Regierung und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Vertriebenen wie Ibrahim und seiner Familie lebensrettende Hilfe in Form von Essen, Wasser, medizinischer Versorgung, Haushaltsgegenständen und Bargeld zu leisten. Doch der Bedarf steigt von Tag zu Tag.
„Der UNHCR und andere humanitäre Organisationen im Sudan verfügen nicht über genügend Mittel, um selbst die bedürftigsten Menschen zu erreichen. Wir brauchen dringend mehr Unterstützung, um unsere Hilfe auszuweiten“, so Hambrouck.
Verlorene Zukunft
Im ganzen Land wurden Schulen von Orten des Lernens in Notunterkünfte für Vertriebene umgewandelt. Ibrahims Familie ist jetzt in einer Grundschule untergebracht, in der bis zu 80 Menschen in einem einzigen Klassenzimmer zusammengepfercht leben müssen, das keine Privatsphäre und nicht genügend Platz zum Schlafen bietet. Eine Wand ist mit schwarzem Ruß bedeckt, der von dem offenen Feuer stammt, auf dem die Familien ihre Mahlzeiten gemeinsam zubereiten.
Jeder Tag, den er in diesem Klassenzimmer verbringt, ist eine ständige Erinnerung an die verpasste Bildung. Trotz dieser schwierigen Umstände hält er unbeirrt an seinen Träumen fest.
„Ich hoffe immer noch, dass sich die Lage im Sudan eines Tages zum Guten wendet und der Krieg aufhört“, sagt er. „Wir werden zu unserem normalen Leben zurückkehren und unsere Universitäten wieder besuchen können.“
Ich habe immer noch die Hoffnung, Landwirtschaftsminister oder Wirtschaftsexperte zu werden.“
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