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Frauenpower: Ehrenamtliches Engagement auf Augenhöhe

Zarifa Raji musste als afghanische Frau ihr Heimatland verlassen, um dem Krieg sowie der Unterdrückung durch die Taliban zu entkommen. Als Multiplikatorin im Projekt von Ärzte der Welt setzt sie nun ihre Erfahrung dafür ein, Menschen mit ähnlichem Schicksal zu helfen. Ein Interview zum Weltfrauentag.

UNO-Flüchtlingshilfe: Kannst Du uns ein wenig über Deine Flucht erzählen?

Zarifa Raji: Ich bin seit einem Jahr und zwei Monaten in Deutschland. Ich hätte mir zuhause nie vorgestellt, dass meine Welt sich von einem Tag auf den anderen so verändern würde und ich dazu gezwungen wäre, aus meiner Heimat zu fliehen. Niemand weiß, wie der Krieg unsere Einstellungen und Werte verändert. Alles hat sich völlig verändert, vielleicht hat sich innerhalb eines halben Tages oder ein paar Stunden der Name, das Gesetz oder die Flagge unseres Landes verändert. Einer der ersten Befehle der Taliban war es, Frauen vom öffentlichen Leben auszuschließen und sie haben uns die Erlaubnis zum Studieren und Arbeiten entzogen. Da wurde mir klar, dass Afghanistan kein Ort ist, an dem Frauen noch leben können.

Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder konnte ich die Zerstörung meiner Träume in meinem Heimatland miterleben oder ich verließ mein Heimatland und suchte einen sicheren Ort für mich.

Mehr Informationen zur Situation in Afghanistan

UNO-Flüchtlingshilfe: Wie würdest Du Deine Erfahrungen im AnkER-Zentrum beschreiben?

Zarifa Raji: Das Leben im AnkER-Zentrum war ein neues Erlebnis für mich mit vielen neuen Herausforderungen. Es gab auch Positives: Zum Beispiel habe ich dort viele Freunde gefunden und habe verschiedene Kulturen, Sprachen und Religionen kennengelernt. Wir haben alle unter einem Dach gelebt und trotz aller Unterschiede in der gleichen Kantine unser Brot gegessen.

Aber wie die anderen Flüchtlinge, musste ich lange in dem AnkER-Zentrum bleiben. Für mich war es ein Leben ohne Plan und mit einer ungewissen Zukunft. Ich konnte mir kein eigenes Essen kochen und musste das ungesunde Kantinenessen essen. Ich wusste nicht, wie meine Zukunft aussieht, aber ich hoffte und träumte jeden Tag. Ich sah, dass alle große Probleme hatten und machte mir Sorgen um ihre Asylanträge und ihre Zukunft. Viele Menschen litten unter großen psychischen Belastungen, nicht nur wegen ihrer vergangenen traumatischen Erlebnisse, sondern auch wegen der Ungewissheit ihrer Zukunft in Deutschland und den allgemeinen Lebensbedingungen im Zentrum. Es war für alle schwierig, verlässliche Informationen über das Asylsystem und unsere Rechte in diesem System zu erhalten, insbesondere für Personen, die kein Englisch sprechen. Es war nicht einfach, einen Arzttermin zu bekommen. Der Arzt kam nur zweimal in der Woche und konnte nicht allen Bedürftigen einen Termin geben.

Was sind AnkER-Zentren?


"Ankunfts-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen", kurz AnkER-Zentren, wurden in Deutschland zur Unterbringung von Asylsuchenden eingerichtet. In diesen Zentren werden Asylsuchende während des gesamten Asylverfahrens untergebracht, bis entschieden wird, ob sie in Deutschland bleiben dürfen oder zurückgeführt werden. Diese Einrichtungen sind sehr umstritten, da sie oftmals keine menschenwürdigen und integrationsfördernden Zustände vorweisen.

UNO-Flüchtlingshilfe: Wie kam es dazu, dass Du als Multiplikatorin im AnkER-Zentrum arbeitest?

Zarifa Raji: Ärzte der Welt hatte in unserem AnkER-Zentrum einen Workshop für afghanische Frauen begonnen, der einmal pro Woche stattfand. Dort traf ich die Projektkoordinatorin von reach.out, wie das Projekt von Ärzte der Welt heißt. Ich erfuhr von ihren Zielen, nämlich dem Schutz von Asylbewerbern und Flüchtlingen. Ich wollte sowohl innerhalb als auch außerhalb des AnkER-Zentrums mehr mit ihnen zusammenarbeiten. Zum Glück konnte ich dann in ihrem neuen Projekt als eine sogenannte Multiplikatorin mitarbeiten.

UNO-Flüchtlingshilfe: Warum ist Dir diese Arbeit so wichtig?

Zarifa Raji: Als ich nach Deutschland kam, merkte ich vom ersten Tag an, dass ich über viele Fragen des Asylverfahrens und der deutschen Gesetze nicht informiert war. Ich brauchte jemanden oder eine Organisation, die mich mit Informationen und Methoden versorgten, um in Deutschland zu leben.

Es stimmt, dass es viele Menschen gab, die vor mir nach Deutschland kamen und die das Asylverfahren durchlaufen hatten. Es gab Informationen über diese Flüchtlinge – aber ich braucht noch mehr Details. Ich wollte mit ihnen zusammenarbeiten und die anderen Menschen unterstützen, die in der gleichen Situation waren, wollte Informationen über ihre Rechte während des Asylverfahrens zusammentragen, über Gesundheitsvorsorge und auch über Organisationen und juristische Hilfe für Immigranten. Als ich im AnkER-Zentrum lebte, lernte ich viele Menschen und Familien kennen, die alle unterschiedliche Probleme und Fragen hatten und die versuchten, eine Person oder eine unterstützende Stelle zu finden, dem oder der sie vertrauen konnten und wo sie den besten Rat erhielten. Ich hörte von dem neuen Projekt von Ärzte der Welt, dessen Ziel es war den Immigranten zu helfen und sie besser und weitreichender zu informieren. Dort wollte ich als Freiwillige mithelfen.

Das reach.out-Projekt


Ärzte der Welt bietet Flüchtlingen in bayerischen AnkER-Zentren und Gemeinschaftsunterkünften das Programm reach.out an, um ihre Gesundheitskompetenz zu stärken und besonders vulnerable Menschen zu unterstützen. Das Programm umfasst unter anderem die Qualifizierung von ausgewählten Flüchtlingen zu Multiplikator*innen. Diese ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen werden zu Themen wie Gesundheit und genderbasierter Gewalt sowie über ihre Rechte und Handlungsmöglichkeiten geschult, um ihre Mitbewohner*innen als niedrigschwellige Ansprechpartner*innen zu unterstützen.

Mehr Informationen zu reach.out

UNO-Flüchtlingshife: Wie ünterstützt Du andere Frauen, die sich in einer ähnlichen Situation wie Du befinden?

Zarifa Raji: Ich kläre sie über ihre Rechte auf, über die verschiedenen Möglichkeiten und Hilfsangebote. Viele afghanische Frauen sprechen weder Englisch noch Deutsch und sind Analphabetinnen. Es ist sehr schwierig für sie, sich im Asylverfahren auszukennen. Ich informiere sie, zum Beispiel, wie sie einen “Krankenbehandlungsschein” bekommen, den sie für einen Arztbesuch benötigen. Ich mache für sie Arzttermine. Und ich helfe ihnen bei juristischen Fragen. Ich kann ihnen zum Beispiel sagen, an welche Organisation sie sich wenden können, wenn ihr Antrag auf Asyl abgelehnt wurde. Ich spreche mit den afghanischen Frauen über Fragen der psychischen Gesundheit und erkläre ihnen, dass ihre Symptome normal sind für Menschen, die Gewalt erlebt haben und für diejenigen, die in belastenden Situationen wie dem Asylverfahren leben. Ich unterstütze sie dabei, Termine bei Psychiatern zu bekommen, wenn es nötig ist.

UNO-Flüchtlingshilfe: Wie gehst Du mit kulturellen Unterschieden und mit sensiblen Themen wie geschlechtsspezifischer Gewalt um?

Zarifa Raji: Über Themen wie geschlechtsspezifische Gewalt oder sexuellen Missbrauch zu reden, kann heikel sein und ist oft ein Tabu. Frauen sind ein wichtiger Teil der Gesellschaft. Leider ist ein großer Prozentsatz der Frauen auf der Welt Opfer von Gewalt und Missbrauch. Obwohl die meisten Opfer und Überlebende von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt Frauen und Mädchen sind, können davon auch LGBTQ-Mitglieder, Jungen und Männer betroffen sein.

Leider sind die meisten Frauen, mit denen ich in den Lagern in Kontakt gekommen bin, wissentlich oder unwissentlich von irgendeiner Form von Gewalt betroffen - einschließlich emotionaler und sexueller Gewalt, sozialer und wirtschaftlicher sowie häuslicher Gewalt.

Gewalt ist oft Folge von kulturellen Bräuchen, wie Frühehen und Polygamie. Als wir an den Workshops teilnahmen, die Ärzte der Welt in unserem Camp organisierte, und etwas über die Arten von Gewalt lernten, wurde uns klar, dass viele von Gewalt betroffene Frauen nicht genügend Informationen über ihre Rechte und Werte in Deutschland haben. Wir hatten das Glück, etwas über unsere Rechte zu erfahren, aber viele derjenigen, die vor und nach uns im Lager waren, hatten oft keine genauen Informationen. Die meisten von ihnen haben immer noch große mentale Probleme aufgrund der Sorgen und Probleme, denen sie auf dem Weg nach Deutschland ausgesetzt waren, und der langen Zeit, die sie in den Lagern verbrachten.

Ich konnte mit Frauen zusammenarbeiten und ihnen nützliche Informationen über zuverlässige Stellen und Rechtsberatungsbüros geben. Aber natürlich sollte dieser Prozess der Informationsweitergabe dauerhaft stattfinden, denn keine Frau sollte von Gewalt betroffen sein und ihre Rechte jederzeit verteidigen können.

UNO-Flüchtlingshilfe: Was wünscht Du Dir für die Zukunft?

Zarifa Raji: Das Projekt, für das ich als Multiplikatorin arbeite, läuft über zwei Jahre. Ich möchte wieder an Projekten wie diesem teilnehmen, damit wir wichtige Informationen an Einwanderer, insbesondere Frauen und Kinder, weitergeben, sie auf ihre Rechte aufmerksam machen und gegen Gewalt und Geschlechterungleichheit kämpfen können.

Ich hoffe, dass die Welt eines Tages ein idealer Ort für alle Frauen sein wird.

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