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Mein Blick ins Jahr 2024

Peter Ruhenstroth-Bauer, Nationaler Direktor der UNO-Flüchtlingshilfe, über die Herausforderungen des letzten Jahres und die Themen, die uns 2024 begleiten werden.

Wie schafft man es, für die humanitäre Arbeit motiviert und optimistisch zu sein, wenn gleichzeitig die Zahl der Menschen auf der Flucht von Jahr zu Jahr steigt?

Das ist eine Frage, die nicht nur mir und unserem Team der UNO-Flüchtlingshilfe immer wieder gestellt wird, sondern auch den vielen, in ganz Deutschland ehrenamtlich tätigen Helfer*innen und natürlich auch den fast 20.000 UNHCR-Kolleg*innen weltweit. Als ich 2017 bei der UNO-Flüchtlingshilfe angefangen habe, waren rund 68,5 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Und heute sind es über 114 Millionen, die entweder im eigenen Land als Binnenvertriebene oder meist in den Nachbarländern als Flüchtling Schutz und Sicherheit suchen. Fast 50 Millionen Menschen mehr, die in meinen sechs Jahren bei der UNO-Flüchtlingshilfe zur Flucht gezwungen worden sind.

Hoffnung und Solidarität in Zeiten der Not

Da liegt die Frage nahe, wie man motiviert an die Arbeit gehen kann. Im vergangenen Jahr 2023 habe ich ein paar ganz besondere Situationen erlebt, bei denen Leid und optimistischer Blick in die Zukunft ganz nahe beieinanderlagen.

Bei meiner Mission in die Ukraine im Februar 2023 habe ich beides erlebt. Ich musste beim Luftalarm in Lwiw gemeinsam mit meinen Kolleg*innen laufen, um rechtzeitig den Luftschutzbunker zu erreichen. Eine Situation die ich aus den Geschichten meiner Eltern und Großeltern kannte, aber von der ich glaubte, sie nie selbst erleben zu müssen. Banges Warten auf das erlösende Sirenensignal und das Leben außerhalb des Luftschutzkellers geht weiter – bis zum nächsten Alarm. Und heute, während ich diesen BlauPAUSE–Beitrag schreibe, sehe ich auf meiner Luftalarm-App aus der Urkaine, dass wieder viele Ukrainer*innen in den Luftschutzbunkern auf das erlösende Signal warten.

Inmitten des Krieges habe ich aber in der Ukraine auch eine solidarische und starke Zivilgesellschaft kennengelernt. Kinder aus dem Osten des Landes, die jetzt gemeinsam mit Kindern aus dem Westen Pfannkuchen im Erdgeschoss gebacken haben, während im ersten Stock die Mütter von ehemaligen Psychiaterinnen und Ärzten darüber aufgeklärt wurden, wie man erkennt, ob das eigene Kind traumatisiert ist und was man dann zu tun hat.

Dazwischen meine Kolleg*innen des UNHCR, die sich darum kümmern, dass die NGO-Aktivitäten abgestimmt sind und immer wieder dafür sorgen deren Arbeit zu unterstützen. Die Kraft der Solidarität war ein viel stärkerer Eindruck als die Gefahr im Luftschutzkeller zu sitzen und zu hoffen, dass nichts passiert.

Begegnungen, die Mut schenken

Nicht anders war es in Kenia, wo ich letztes Jahr das größte Flüchtlingscamp Kakuma im Norden des Landes besucht habe. Es ist eindrücklich zu sehen, wie hier über 230.000 Menschen Schutz gefunden haben.

Und auch auf dieser Reise habe ich Monica und eine Reihe ihrer Kommiliton*innen in Nairobi kennengelernt. Sie selbst ist Flüchtling und hat in einem Flüchtlingscamp Schutz gefunden.

Über das DAFI-Programm, das jungen Flüchtlingen ein Studium ermöglicht, studiert sie an der Universität in Nairobi. Sie ist mittlerweile AstA-Vorsitzende und sagte mir: „Niemand soll sich dafür schämen, in einem Flüchtlingscamp aufzuwachsen. Jede*r soll anpacken und sein Schicksal selbstbestimmt in die Hand nehmen!“. Eine starke Frau, die viele junge Menschen überzeugen wird.

Gemeinsame Unterstützung für Flüchtlinge weltweit: Ein Ausblick auf 2024

Wie überzeugend auch die Unterstützung für die weltweit Millionen Menschen auf der Flucht ist, konnte ich vergangenen Monat beim UNHCR-Weltflüchtlingsforum in Genf erleben. Regierungen, Unternehmen und die Zivilgesellschaften vieler Länder haben sich getroffen, um aus vielen einzelnen Leistungen eine große und abgestimmte Zusammenarbeit zu vereinbaren.

Und das braucht es auch, nicht nur wenn wir auf die Zahl der Flüchtlinge schauen, sondern insbesondere auch dann, wenn wir Menschen unterstützen wollen, die Opfer der vielen Krisen sind, die sich weit ab von der medialen Öffentlichkeit abspielen: Am Horn von Afrika fliehen die Menschen, weil dort seit Jahren klimabedingte Wetterextreme herrschen. Im Sudan sind seit dem Ausbruch der gewaltsamen Kämpfe in den ersten sechs Monaten über sechs Millionen Menschen geflohen. In Venezuela sind mittlerweile weit über sieben Millionen Menschen auf der Flucht. Dies ist die größte Flucht- und Migrationsbewegung in der jüngeren Vergangenheit Südamerikas.

Mein Ausblick auf das gerade begonnene Jahr 2024 ist leider keiner, der Lösungen für die vielen Krisen parat hält. Aber er ist optimistisch und von der Hoffnung getragen, dass wir gemeinsam an der Seite der Menschen stehen, die sich nicht ausgesucht haben, von jetzt auf gleich ihr Zuhause und ihre Heimat zu verlassen. Hinter der unvorstellbaren Zahl von 114 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht stehen 114 Millionen Schicksale. Für diese Menschen einzutreten, ihnen Unterstützung zukommen zu lassen, ist Antrieb und Motivation für uns.

Dass Sie uns dabei in dem vergangenen Jahr 2023 so sehr unterstützt haben, ist wunderbar. Dafür danken wir Ihnen sehr herzlich, denn ohne Sie wäre nicht nur unsere Arbeit unmöglich, sondern Ihre großartige Unterstützung ist es auch, die mich und meine Kolleg*innen jeden Tag aufs Neue motiviert!

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