Der Community etwas zurückgeben: Anns Geschichte
Der Bildungsweg von Ann begann unter Eukalyptusbäumen im Flüchtlingscamp Kiryandongo in Uganda. Das Camp ist für sie zur Heimat geworden, dabei stammt ihre Familie aus dem Südsudan. Als ihre Eltern vor dem Krieg im Sudan fliehen mussten, zu dem damals der Südsudan gehörte, kam sie an der Grenze zu Uganda zur Welt. Heute studiert Ann in Berlin Film, Fernsehen und digitales Storytelling. Dorthin hat sie es mit viel Talent und großer Willenskraft geschafft. Mit einem DAFI-Stipendium konnte sie zwischenzeitliche Herausforderungen erfolgreich überwinden. In diesem Blogbeitrag gibt sie sehr persönliche Einblicke in ihren Lebensweg und ihre Motivation, niemals aufzugeben:

Auch wenn ich nicht im Flüchtlingscamp geboren bin, ist es für mich der Ort, den ich als meine Heimat betrachte, weil ich dort aufgewachsen bin und dort auch meine Schulbildung begann. Zunächst ging ich in die sogenannte „Nursery School“, was in etwa dem Kindergarten entspricht. Anschließend besuchte ich eine Grundschule. Wir mussten keine Schulgebühren im klassischen Sinne zahlen. Stattdessen brachten wir Dinge wie Mais aus der eigenen Landwirtschaft mit, die dann zum Beispiel für unser Frühstück verwendet wurden.
Dann fand mein Vater eine Anstellung bei einer italienischen NGO und wir konnten das Camp vorübergehend verlassen. Wir zogen gemeinsam nach Kampala, wo er nun in der Lage war, die Schulgebühren für uns zu zahlen. Mein Vater erkannte den Wert von Bildung und wollte, dass meine Geschwister und ich bessere Lernmöglichkeiten hatten als die, die uns im Camp geboten wurden. Dort gab es zwar Schulen, aber der Unterricht fand oft unter freiem Himmel statt und war sehr unstrukturiert. Es kam vor, dass Kinder einfach draußen blieben und den ganzen Tag spielten, statt am Unterricht teilzunehmen. In Kampala schloss ich die Schule bis zur siebten Klasse ab. Danach wurden die Dinge schwieriger.
Vom Flüchtlingscamp zur Universität
Als Kind wusste ich nicht, wie sehr mein Vater kämpfen musste, aber offenbar hat er es geschafft, mir eine Art Stipendium zu besorgen. Dank dieses Stipendiums konnte ich meine Schullaufbahn fortsetzen und bis zum Highschool-Abschluss kommen, der die Voraussetzung für den Universitätszugang war. Doch dann verlor mein Vater seine Arbeit und konnte mich und meine Geschwister finanziell nicht mehr unterstützen. Also musste ich selbst einen Weg finden und kehrte ins Flüchtlingscamp zurück.
Dort begann ich, mich ehrenamtlich bei verschiedenen Organisationen zu engagieren. Ich arbeitete unter anderem als Teil eines Gesundheitsteams im Dorf und setzte mich für Themen wie reproduktive Gesundheit, Aufklärung von Frauen und Mädchen sowie sexuelle Bildung ein. Als Freiwillige bekam ich lediglich eine Aufwandsentschädigung für das Mittagessen, kein richtiges Gehalt. Dieses Geld sparte ich ein Jahr lang. So konnte ich schließlich dank meiner Ersparnisse aus der ehrenamtlichen Arbeit mein Studium an der Universität beginnen.
Journalismus als Weg zur Aufarbeitung
Ich habe mich für ein Studium in Journalismus und Massenkommunikation an einer Universität in Uganda entschieden, weil ich schon immer ein sehr kommunikativer Mensch war, der gerne mit anderen in der Gemeinschaft interagiert, Fragen stellt und Geschichten erzählt. Bereits in der Schule habe ich an Schreibwettbewerben teilgenommen, und mein größter Erfolg war, als ich bei einem landesweiten Wettbewerb in Uganda den ersten Platz belegt habe. Meine Geschichte wurde in einer der führenden Zeitungen des Landes veröffentlicht, was für mich ein ganz besonderes Erlebnis war.

Ich erhoffte mir, durch die erlernten Fähigkeiten im Studium auch mehr über meine Community zu erfahren und dazu zu recherchieren. Etwa über die Unsicherheiten in unserer Heimat, die Gründe, warum meine Familie ihr Land verlassen musste und warum ich mein ganzes Leben lang in einem Flüchtlingscamp verbracht habe. Besonders beschäftigt mich die Frage, warum meine Eltern nie darüber nachgedacht haben, in den Südsudan zurückzukehren.
Ich weiß nicht, welches Trauma sie erlebt haben, aber sie haben nie mit uns darüber gesprochen, und ich habe das Gefühl, dass es eine tiefere Geschichte dahinter gibt."
Während meines Studiums habe ich bereits versucht, als Freiberuflerin in den Medien Fuß zu fassen, aber als Flüchtling ist es schwierig, fair auf dem Arbeitsmarkt zu konkurrieren. In Uganda gibt es eine klare Trennung zwischen Flüchtlingen und Einheimischen, was die Chancen ungleich verteilt.
Trotzdem hatte ich das Glück, während meines Studiums eine Schulung im konfliktsensitiven Journalismus zu absolvieren. Dieses Thema lag mir besonders am Herzen, da ich mich auf Berichterstattung über Flüchtlingsfragen spezialisieren wollte – ein Bereich, der oft sehr sensibel ist und in meinem Studium nicht ausreichend behandelt wurde.
Nach der Schulung wurde ich ins Feld geschickt, um eine Geschichte in einem Flüchtlingscamp im Norden von Uganda zu recherchieren. Mein Beitrag war so gut, dass ich es ins Finale schaffte und ich nach Nairobi in Kenia eingeladen wurde, um mich mit anderen geflüchteten Journalist*innen auszutauschen. Dort konnte ich viel über die Lebensbedingungen von Flüchtlingen in Kenia und Uganda lernen und Geschichten sammeln. Leider hatte ich Schwierigkeiten, meine Berichte zu veröffentlichen, da einige Medien nur an spezifischen Themen interessiert waren. Das hat mich frustriert, weil ich der Meinung war, dass eine gute Geschichte auch ohne spezielle Vorgaben wertvoll sein sollte. Trotzdem war die Schulung eine der besten Erfahrungen, die ich gemacht habe, da ich Fähigkeiten erlernt habe, die ich bis heute nutze.

Finanzielle Herausforderungen während des Studiums
Das erste Studienjahr habe ich dank meiner Ersparnisse gut überstanden. Ich bin generell sparsam und achte darauf, wie ich mein Geld ausgebe, besonders weil ich weiß, wie schwierig es ist, Geld zu verdienen. Ich war mir meiner Herkunft bewusst und wusste, dass ich klug mit meinen begrenzten Mitteln umgehen musste, im Gegensatz zu anderen Studierenden, die aus wohlhabenden Familien kamen und sich keine Sorgen um Geld machen mussten. Im zweiten Jahr wurde es jedoch sehr schwierig und für das dritte und letzte Jahr fehlten mir dann die finanziellen Mittel: Während meine Kommiliton*innen wieder mit dem Studium begannen, konnte ich nicht mehr zur Universität zurückkehren.
Ich erfuhr vom DAFI-Stipendium durch Erzählungen von Freund*innen im Flüchtlingscamp Kiryandongo und über Aushänge in den Gemeinschaftszentren. Der Bewerbungsprozess war damals recht aufwendig, da es noch weniger Technologie und Digitalisierung gab: Man musste zu einem Büro gehen, das mit dem DAFI-Programm zusammenarbeitete, um die Bewerbungsformulare abzuholen. Dort waren alle Anforderungen aufgelistet, einschließlich der Belege über die vorherige Schulbildung. Man musste die Formulare vollständig ausfüllen und Informationen zu den besuchten Schulen, den gewünschten Universitäten und Studiengängen angeben. Dann hieß es, die Frist abzuwarten und auf die Liste der ausgewählten Namen zu achten, die an den Aushängen veröffentlicht wurde. Nur wer dort stand, war für die Interviews qualifiziert. Wenn der Name nicht dabei war, erhielt man keine Rückmeldung. Nach einigen Wochen wurden dann die endgültigen Namen der ausgewählten Stipendiat*innen veröffentlicht.
Damals wurden die Bewerber*innen nicht persönlich benachrichtigt, sondern nur per Aushang informiert, später bekamen die Ausgewählten auch Anrufe. Erst nach mehreren Anläufen erhielt ich eine positive Rückmeldung. Meine dritte Bewerbung war erfolgreich, und ich bekam das Stipendium und konnte mein Studium zum Glück fortsetzen.

Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.
Ich bin so dankbar, dass es das DAFI-Stipendium gibt und dass es schon so vielen Menschen geholfen hat.”
In unserem Instagram-Post erzählt Ann über ihre Erfahrungen und darüber, was ihr das DAFI-Stipendium bedeutet.
Der schwierige Weg zur Bildung für geflüchtete Frauen
Meine Eltern wurden oft gefragt, warum sie ihr knappes Geld für mich ausgeben sollten, wenn ich ohnehin bald heiraten und die Familie verlassen würde. Diese Einstellung gibt es nicht nur bei uns, sondern überall – Mädchen wird weniger Aufmerksamkeit geschenkt als Jungen. Man glaubt, dass Jungen später die Familie stärker unterstützen können. Eine ungewollte Schwangerschaft kann dazu führen, dass Mädchen die Schule abbrechen, während Jungen ihre Ausbildung fortsetzen können, auch wenn sie ein Mädchen geschwängert haben. Nach einer Geburt denkt kaum jemand daran, dass die junge Mutter wieder in die Schule zurückkehren könnte. Solche Herausforderungen erschweren die Situation für Mädchen und Frauen zusätzlich.
Mein Rat an andere Flüchtlingsfrauen ist: Die Chancen sind da, auch wenn sie begrenzt sind – man muss nur tiefer graben und genauer suchen. Es gibt viele Stipendien, und obwohl der Zugang schwierig ist, sollte man nicht aufgeben. Es gibt auch Informationslücken zu dem Thema Bildungszugang für Frauen, und ich denke, dass Organisationen mehr tun sollten, um sicherzustellen, dass Informationen über Bildungschancen die Frauen erreichen, egal wo sie sich befinden.
Ich möchte allen sagen: Gebt nicht auf. Beharrlichkeit zahlt sich aus. Ich selbst hatte nie geglaubt, dass ich meine Ausbildung fortsetzen oder sogar ein Masterstudium machen würde. Nach meinem Bachelor dachte ich, das sei genug. Aber heute bin ich dabei, meinen Master zu machen. Ich hätte das nie für möglich gehalten, aber durch harte Arbeit und Durchhaltevermögen bin ich bis hierhin gekommen.
Zum Wandel beitragen und inspirieren
Ich habe große Pläne und ich hoffe, dass ich sie bald verwirklichen kann, denn die Zukunft wartet nicht. Mein Traum ist es, ein Licht auf die bisher unerzählten Geschichten von Menschen in meiner Community zu werfen. Und wenn ich von meiner Community spreche, meine ich die gesamte Flüchtlingsgemeinschaft, nicht nur ein bestimmtes Camp.
Es geht darum, die Geschichten zu erzählen, die bisher nicht gehört wurden, und zwar aus der Perspektive von jemandem, der diese Erfahrungen selbst gemacht hat."
Ich möchte Dokumentarfilme produzieren, die Menschen weltweit zeigen, wie Flüchtlinge wirklich leben. Ich möchte dafür Bewusstsein schaffen und Menschen dazu bringen, sich mit dieser Realität auseinanderzusetzen.
Gleichzeitig möchte ich ein Vorbild für junge Mädchen sein und ihnen zeigen, dass sie trotz aller Hindernisse und Herausforderungen ihre Bildungsziele erreichen können. Das ist mein Traum: einen Wandel für meine Community vorantreiben und andere dazu inspirieren, ihren eigenen Weg zu gehen.
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