blauPAUSE

Teilen

Blog

Die Rolle des UNHCR in der Klimakrise

Die Wechselwirkungen zwischen klimatischen Veränderungen und Vertreibung beeinflussen auch die Arbeit des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) zunehmend. 2020 wurde Andrew Harper deshalb zum Sonderbeauftragten des UNHCR für Klimamaßnahmen ernannt. Im Interview spricht er über Verantwortung und über Maßnahmen, die jetzt umgesetzt werden müssen.

UNO-Flüchtlingshilfe: Welche Verantwortung trägt der UNHCR für Menschen, die durch die Klimakrise zur Flucht gezwungen sind?

Andrew Harper: Wo immer es zu Vertreibung kommt, die sein Schutzmandat auslöst, setzt sich der UNHCR dafür ein, dass die betroffenen und vertriebenen Menschen angemessen geschützt werden und dass die bestehenden Rechtsinstrumente korrekt ausgelegt und konsequent angewendet werden. Dies gilt auch für Vertreibungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel.

Der Klimawandel allein führt nicht zur Vertreibung von Menschen, aber die Intensität und Häufigkeit von extremen Wetterereignissen wie ungewöhnlich starken Regenfällen, anhaltenden Dürren, Hitzewellen und Wirbelstürmen nimmt zu. Solche Gefahren führen bereits jetzt dazu, dass jedes Jahr etwa 23 Millionen Menschen ihre Heimat verlassen müssen.

Wenn eine Person im Zusammenhang mit dem Klimawandel gezwungen ist, über eine Grenze zu fliehen, kann es Situationen geben, in denen die Flüchtlingskriterien des internationalen und regionalen Flüchtlingsrechts zur Anwendung kommen können. Menschen können zum Beispiel einen berechtigten Anspruch auf den Flüchtlingsstatus haben, wenn die negativen Auswirkungen des Klimawandels mit bewaffneten Konflikten und Gewalt zusammenwirken.

Haben Sie ein Beispiel für uns?

Die Wechselwirkungen zwischen Konflikten und Klimaauswirkungen lassen sich etwa in der afrikanischen Sahelzone beobachten, wo die Temperaturen 1,5 Mal schneller steigen als im globalen Durchschnitt und die Klimakrise den Wettbewerb um Wasser und andere Ressourcen verschärft. Der Wasserstand des Tschadsees ist in den letzten 60 Jahren um bis zu 95 Prozent gesunken, und schwelende Streitigkeiten zwischen Hirten, Fischern und Landwirten um die knappen Wasserressourcen in Kameruns äußerster Nordregion entluden sich im Dezember 2021 in Gewalt. Die daraus resultierenden Zusammenstöße vertrieben mindestens 100.000 Menschen aus ihren Häusern, sowohl innerhalb des Landes als auch in den benachbarten Tschad.

Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf die Arbeit des UNHCR?

Die Klimakrise ist eine humanitäre Krise, vertriebene Menschen stehen dabei an vorderster Front. Die meisten Flüchtlinge und Binnenvertriebenen leben in den klimatisch am stärksten gefährdeten Ländern und Gemeinschaften, wo die Zeit für Anpassungen knapp wird. Viele leben in prekären Situationen, ohne Zugang zu lebensrettenden Informationen und Unterstützung, um ihre Widerstandsfähigkeit zu stärken und sich auf weitere klimatische Schocks vorzubereiten. Ohne ausreichende Anpassungshilfe werden sich die Zyklen von Krisen und Vertreibung fortsetzen und verschlimmern.

Zudem sind sichere und nachhaltige Lösungen für Vertriebene immer schwieriger zu erreichen, da der Klimawandel zu den gefährlichen Bedingungen in den Herkunfts- und Zufluchtsgebieten beiträgt. Klimaschocks gießen Öl ins Feuer der anhaltenden Krisen- und Vertreibungszyklen: Neun von zehn Konfliktvertriebenen sind 2021 in Länder oder Situationen zurückgekehrt, die durch den Klimawandel besonders gefährdet sind.

Mit der Verschärfung der Klimaauswirkungen wird die Kluft zwischen dem humanitären Bedarf und den Ressourcen zur Bewältigung dieses Bedarfs immer größer: Die Verzögerungen bei der Bereitstellung der versprochenen Klimafinanzierung und Unterstützung für gefährdete Länder und Gemeinschaften fordern einen immer höheren Tribut. Bei den UNHCR-Einsätze werden wir Zeug*innen der herzzerreißenden Realität klimabedingter Vertreibung weltweit, wobei Schäden und Verluste voraussichtlich zunehmen werden und die damit verbundenen Kosten zwischen 290 und 580 Milliarden US-Dollar liegen.

Welche Hilfsmaßnahmen setzt der UNHCR zum Schutz von Flüchtlingen ein, die vor dem Hintergrund des Klimawandels fliehen müssen?

Der UNHCR verstärkt seine Maßnahmen, um den durch die Klimakatastrophe verschärften humanitären und Schutzbedürfnissen gerecht zu werden: Das beginnt bei der Vorbereitung und Reaktion auf katastrophenbedingte Vertreibungen über die Umsetzung umweltfreundlicher Programme zum Schutz von Mensch und Umwelt bis hin zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit von Vertriebenen und Aufnahmegemeinschaften gegenüber Klimaschocks.

So mussten beispielsweise 2021 in der Flüchtlingssiedlung Tunaydbah im Sudan der UNHCR und seine Partnerorganisationen Flüchtlinge evakuieren, deren Unterkünfte durch starke Regenfälle und Überschwemmungen beschädigt worden waren. Es wurde eine topografische Untersuchung des Gebiets durchgeführt, um besser zu verstehen, welche Bereiche der Siedlung am stärksten von Überschwemmungen bedroht sind, und um solche Auswirkungen in Zukunft zu vermeiden, abzumildern und sich darauf vorzubereiten.

Der UNHCR gibt auch Leitlinien heraus und führt einen Dialog mit den Staaten über rechtliche Fragen, um sicherzustellen, dass sie gut gerüstet sind, um den Schutzbedürfnissen der Vertriebenen im Kontext des Klimawandels gerecht zu werden. In Zusammenarbeit mit seinen Partnerorganisationen hilft der UNHCR außerdem bei der Entwicklung und Sicherstellung der korrekten Anwendung von Gesetzen und Strategien zum Schutz und zu dauerhaften Lösungen für Vertriebene.

Welche langfristigen und nachhaltigen Strategien und Ziele verfolgt der UNHCR bei seinen Projekten?

Der UNHCR hat die "Operative Strategie für Klimaresilienz und ökologische Nachhaltigkeit 2022-2025" verabschiedet, die Umweltaspekte und -risiken in die Vorbereitungsaktivitäten, die operativen Maßnahmen und das Angebotsmanagement einbeziehen. So wollen wir den ökologischen Fußabdruck von Vertreibungsmaßnahmen verringern und gleichzeitig die Klimaresilienz verbessern, insbesondere in Bereichen wie Siedlungsplanung, Unterkünfte, WASH und Energie.

Im Rahmen der Strategie wurden zwei wichtige innovative Initiativen ins Leben gerufen: der Refugee Environmental Protection (REP) Fund und Project Flow. Der REP-Fonds ist ein nachhaltiger Finanzierungsmechanismus, der in größere Aufforstungs- und Clean-Cooking-Programme von Flüchtlingen und Aufnahmegemeinschaften investiert und diese gleichzeitig als verifizierte Kohlenstoffgutschriften registriert. Project Flow zielt darauf ab, das Hindernis der hohen Kapitalkosten zu überwinden, die für die Umstellung von Dieselgeneratoren auf erneuerbare Energien erforderlich sind. Der UNHCR hat bereits 41 Prozent der Wasserpumpensysteme auf Solarenergie umgestellt, doch viele Umrüstungen erfordern einen erheblichen Kapitalaufwand. Dieses Problem löst Project Flow, indem es die Einsparungen bei den Brennstoffkosten in einen revolvierenden Fonds einfließen lässt.

Prioritäten des UNHCR in der Klimakrise

 

Schützen: Der UNHCR stellt sicher, dass die Rechte von Menschen, die im Kontext des Klimawandels fliehen müssen, wirksam geschützt werden.

Vorbereiten: Geflüchtete und Aufnahmeländer, die sich häufig in den Hotspots des Klimawandels befinden, werden auf extreme Wetterereignisse und andere Klimaschocks vorbereitet.

Anpassen: Geflüchtete und Aufnahmeländer werden beim Schutz ihrer Umwelt und bei der Anpassung an ein sich änderndes Klima unterstützt.

Empowern: Menschen auf der Flucht werden gestärkt, ihre eigenen Lösungen im Umgang mit dem Klimawandel zu finden.

Verhindern: Grundursachen von Vertreibung werden bekämpft und integrierte Ansätze für die menschliche Mobilität unterstützt, um zukünftige Vertreibungen zu minimieren.

Verringerung der Treibhausgasemissionen: Die CO₂-Emissionen des UNHCR werden bis 2030 um 45 Prozent gegenüber 2010 minimiert.

Auf der Klimakonferenz 2022 (COP27) stand das Thema „Schäden und Verluste“ bzw. „Loss & Damage“ zum ersten Mal auf der offiziellen Tagesordnung. Was bedeutet das für die Praxis des UNHCR?

UNHCR begrüßt die Aufnahme von „Loss and Damage“ auf die offizielle Agenda und die historische Einrichtung eines neuen Fonds für „Loss and Damage“ für Klimafolgen in Entwicklungsländern, insbesondere die Einbeziehung von Vertriebenen. Die Operationalisierung des Fonds auf der COP28 im Jahr 2023 ist eine wichtige Aufgabe, bei der sich der UNHCR weiterhin für die Einbeziehung der Schutzbedürfnisse von Vertriebenen und Staatenlosen und die Bereitstellung neuer und zusätzlicher Finanzmittel einsetzen wird. Eine Priorität für den UNHCR ist es, sicherzustellen, dass die Mittel die Menschen in den am stärksten gefährdeten und von Konflikten betroffenen Ländern erreichen, wo die Unterstützung am dringendsten benötigt wird.

Was bedeutet „Loss & Damage“?

 

Der Begriff „Loss & Damage“ steht für Verluste und Schäden, die durch die zerstörerischen Auswirkungen des Klimawandels entstehen und nicht durch die Verringerung der Treibhausgasemissionen (Mitigation) oder Anpassungsmaßnahmen (Adaption) vermieden werden können. Auf der letzten Weltklimakonferenz (COP27) stand das Thema erstmals auf der offiziellen Agenda und berücksichtigt damit auch die fatalen Konsequenzen der Klimakrise für Geflüchtete.

Was sollte Ihrer Meinung nach unternommen werden, um noch schlimmere Szenarien zu verhindern?

Es müssen dringend zusätzliche Finanzmittel und Unterstützung für Anpassungsmaßnahmen und die Beseitigung von Schäden bereitgestellt werden, um das Leid von Millionen von Vertriebenen und ihren Aufnahmegemeinschaften zu verringern.

Wir fordern außerdem dazu auf, Vertriebene und ihre Gastgeber in die Entscheidungen einbeziehen, die ihr Leben beeinflussen: Sie verfügen über Wissen und Fähigkeiten, die für wirksame und integrative Klimaschutzmaßnahmen von entscheidender Bedeutung sind, aber allzu oft werden sie aus der globalen Diskussion ausgeklammert. Ihre sinnvolle Beteiligung an politischen Prozessen und lebensrettenden Entscheidungen ist sowohl ihr Recht als auch notwendig für wirksame Lösungen. Initiativen in lokaler Trägerschaft, die von den Menschen geführt werden, die den Realitäten vor Ort am nächsten sind, haben die besten Fähigkeiten, dauerhafte Widerstandsfähigkeit aufzubauen und den Kreislauf von Krisen, Vertreibung und Abhängigkeit von externer Hilfe zu durchbrechen. Ihre Stimmen und ihr ungenutztes Potenzial müssen zusammen mit anderen, die sich in klimatisch gefährdeten Situationen befinden, Gehör finden.

Nicht zuletzt muss das 1,5 Grad Ziel weiter konsequent verfolgt werden, um die schlimmsten Verlust- und Schadensszenarien abzuwenden, indem Verpflichtungen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen verstärkt und umgesetzt werden.

Wir freuen uns, wenn Sie Anmerkungen oder Feedback zu unseren Blogbeiträgen hinterlassen. Um eine faire und sachliche Diskussionskultur zu gewährleisten und sicherzustellen, dass die Kommentare unseren Communitystandards entsprechen, werden die Beiträge nach einer kurzen Überprüfung freigegeben.

Kommentare und Antworten

×

Name ist erforderlich!

Geben Sie einen gültigen Namen ein

Gültige E-Mail ist erforderlich!

Gib eine gültige E-Mail Adresse ein

Kommentar ist erforderlich!

* Diese Felder sind erforderlich.

Teilen Sie Ihre Gedanken mit uns.